943 Geschichte Deutschlands
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Wir schreiben das Jahr 1973, als sich in einem Strafprozess im Heidelberger Amtsgericht zwei Parteien gegenüber stehen – allesamt Angehörige der Pädagogischen Hochschule Heidelberg (PH): der ASTA-Vorsitzende Wilhelm Pauli auf studentischer Seite sowie die Professoren Karl Kollnig und Wilhelm Schwab als Vertreter des Lehrkörpers. Gegenstand des Strafprozesses ist eine Anklage gegen den Studenten wegen beleidigender Äußerungen in einem Artikel der Hochschulzeitung „Asta-Info“ vom 30. April.
Otto Ehrlich (1909–1971) schloss sein Medizinstudium in Heidelberg im Dezember 1936 mit dem Staatsexamen ab. Bald darauf reichte er seine Dissertation ein und bestand die Doktorprüfung, doch der Erhalt des „Diploms“ war zu diesem Zeitpunkt keine Selbstverständlichkeit mehr. Ehrlich musste vielfältige Anstrengungen unternehmen und bürokratische Hürden überwinden, „um das Doktordiplom zu erhalten, da dies für mich für meine Auswanderung von lebenswichtiger Bedeutung ist“. Seine Bemühungen spiegeln sich in umfangreicher Korrespondenz und führten letztlich zum Ziel. Exemplarisch zeigen die von uns bearbeiteten Dokumente die sich verstärkenden Einschränkungen für jüdische Promovierende, die detaillierte bürokratische Regulierung und die verschiedenen Stellen, die mit dem Anliegen zu befassen waren – diese reichten von der Ebene der Universität mit Dekanat und Rektorat über das Badische Ministerium für Kultus und Unterricht in Karlsruhe bis zum Reichserziehungsministerium. Bürokratische Spielräume auf lokaler Ebene scheint es aufgrund
der direkten Kontrolle durch das Reichsministerium im Einzelfall kaum gegeben zu haben. Dennoch stellt sich die Frage nach der Umsetzung der Vorgaben an der Heidelberger Medizinischen Fakultät. Welchen Einfluss hatten die beteiligten Ministerien und die verschiedenen Ebenen der Universitätsverwaltung? Handelten sie streng nach Vorschrift? Versuchten sie, eigene Handlungsimpulse umzusetzen, entweder
um den Betroffenen zu helfen oder um die Aushändigung des Doktordiploms zu verhindern? Wir gehen den genannten Fragen an zwei Beispielen nach. Zunächst stellen wir kurz die Entwicklung der Gesetzeslage dar, um dann die „Fallgeschichten“ von Otto Ehrlich und Lore Hirsch einordnen zu können.
Tatort Heidelberg
(2019)
Auf der Grundlage einer Verordnung der Reichsregierung vom 21. März 1933 wurden reichsweit Sondergerichte gebildet, deren Zuständigkeit sich zunächst auf Delikte erstreckte, die nach zwei Notverordnungen strafbar wurden, mit denen die Nationalsozialisten
zum Zwecke ihrer Machtübernahme den Rechtsstaat aushöhlten: die sogenannte Reichstagsbrandverordnung („zum Schutz von Volk und Staat“) vom 28. Februar und die Verordnung „zur Abwehr heimtückischer Angriffe gegen die Regierung der nationalen Erhebung“ vom 21. März 1933. Letztere kriminalisierte unter anderem Aussagen, die „das Wohl des Reiches oder eines Landes oder der Reichsregierung
oder einer Landesregierung oder der hinter diesen Regierungen stehenden Parteien oder Verbänden“ schwer schädigten. Damit wurde den Justizbehörden quasi eine Generalvollmacht erteilt, dissentierende politische Meinungsäußerungen, auch wenn sie nicht öffentlich vorgebracht wurden, zu unterdrücken. Für die Sondergerichte, deren Zuständigkeiten später noch erheblich ausgedehnt wurden, zum Beispiel auf Vergehen nach der Verordnung „gegen Volksschädlinge“ vom 5. September 1939, wurde die Strafprozessordnung in mehreren Punkten aufgeweicht, um ihre Verfahren zu beschleunigen: Mündliche Verhandlungen über den Haftbefehl fanden ebenso wenig statt wie gerichtliche Voruntersuchungen, die Ladungsfristen konnten auf 24 Stunden herabgesetzt werden, Vernehmungsergebnisse mussten in die Hauptverhandlungsprotokolle nicht aufgenommen werden, und gegen Entscheidungen der Sondergerichte waren Rechtsmittel nicht zulässig.
„Heidelbergs Verbundenheit mit der Saar“ – so titelte das Heidelberger Volksblatt am 7. Januar 1935. Anlass war die feierliche Enthüllung eines „Saarmahnmals“ an der Südwestecke des Rathauses am Vortag durch Oberbürgermeister Carl Neinhaus. Das „Saar-Bekenntnis“ der Stadt Heidelberg erfolgte nur wenige Tage vor dem 13. Januar, an dem die Saarländer in einer Volksabstimmung für die Eingliederung des 1920 geschaffenen Saargebiets in das „Dritte Reich“ stimmten. Das Saargebiet und sein zukünftiges Schicksal waren zu diesem Zeitpunkt in der deutschen Öffentlichkeit gleichsam allgegenwärtig. Dies war nicht zuletzt auf eine intensive prodeutsche Propaganda verschiedener Protagonisten zurückzuführen. Versuche, durch Kommunikation und diverse Methoden der Öffentlichkeitsarbeit das Zusammengehörigkeitsgefühl zwischen dem Saargebiet und dem Deutschen Reich zu fördern, wurden aber nicht nur im direkten Vorfeld der Abstimmung von 1935, sondern bereits unmittelbar seit Schaffung des Saargebiets durch den Versailler Friedensvertrag unternommen. Zielgruppe dieser Propaganda waren dabei nicht nur die Saarländer selbst, sondern auch die Bevölkerung im unbesetzten Deutschland, die
über die Verhältnisse an der Saar „aufgeklärt“ und zum Einsatz für die Rückgliederung des Saargebiets mobilisiert werden sollte.
Dreipfeil gegen Hakenkreuz
(2018)
Erinnern und Gedenken
(2018)
Geschichtsunterricht ist idealerweise quellenbasiert. Lässt sich doch nur aus Quellen lernen, was die Zeitgeschichte ausmacht und was unsere Identität bis heute nachhaltig prägt. In der 9. Klasse des Gymnasiums ist die NS-Zeit Pflichtprogramm. Dieses Thema kann fächerübergreifend unter Einbezug von Religion, Kunst und Musik unterrichtet werden. So wird die Gleichschaltung des gesamten Alltags im Nationalsozialismus deutlich. In Gemeinschaftskunde der 9. Klasse bezieht sich der Bereich „Recht und Gesetz“ darauf. Da das NS-Regime Gesetzesänderungen auf dem Boden
der Verfassung vollzog, wirft dies vor allem aus heutiger Sicht die Frage auf, ob das, was auf dem Boden des Gesetzes geschieht, auch immer „Recht“ ist.
In einer Zeit, die bald ohne Zeitzeugen sein wird, die uns das Geschehene vor Augen führen, muss verstärkt daran gearbeitet werden, die Erinnerungskultur am Leben zu erhalten. Dabei sind Ansätze gefragt, die unsere schnelllebige Zeit überdauern und dem raschen Konsum von Bildern trotzen. Da Quellen alleine mitunter nicht für sich sprechen, ist die intensive Beschäftigung mit einem Projekt eine Möglichkeit, Nachhaltigkeit zu schaffen.
Auch die Provinzstadt Lahr blieb am 10. November 1938 nicht von den reichsweiten Ausschreitungen der sogenannten Reichskristallnacht verschont. Die Lahrer SS, die seit der Machtübernahme 1933 nun bereits zum SS-Sturmbann aufgestiegen war, kam ihrem Tagesauftrag äußerst regime- und führertreu nach, indem sie 103 jüdische Männer ins Konzentrationslager Dachau überstellte. Als ich erfuhr, dass es 1949 einen Lahrer Synagogenprozess gegeben hatte, wollte ich als Polizeibeamter wissen, welche Täter für diese 103 Festnahmen zur Verantwortung gezogen worden waren. Deshalb nahm ich Einblick in die Ermittlungsakten, die im Staatsarchiv in Freiburg archiviert sind, und ließ mir im Bundesarchiv in Berlin die Personalakten von einigen NSDAP- und SS-Männern kopieren, um die Abläufe während der Reichskristallnacht in Lahr rekonstruieren zu können. Bevor ich jedoch meine Rechercheergebnisse vorstelle, möchte ich darstellen, wie es im Deutschen Reich überhaupt zu diesen judenfeindlichen Maßnahmen kam.
Vor über 79 Jahren, am 2. Mai 1933, wurden die Freien Gewerkschaften von den Nationalsozialisten zerschlagen, die Gewerkschaftshäuser besetzt, ihre Funktionäre verhaftet. Das beschlagnahmte Vermögen wurde schließlich zur Einrichtung der politisch-propagandistischen Zwecken dienenden, nur vorgeblichen Arbeitervertretung „Deutsche Arbeitsfront“ benutzt. Die den Gewerkschaften geraubten Mittel flossen auch in die der DAF angeschlossene NS-Freizeit- und -Reiseorganisation KdF (Kraft durch Freude), später noch in das von der DAF errichtete Volkswagenwerk. Neun Jahre zuvor in der Zeit der Weimarer Republik erstattete das Heidelberger Gewerkschaftskartell eine Anzeige, die sich in einer heute beim Generallandesarchiv Karlsruhe verwahrten Akte des Badischen Amtsgerichts Heidelberg findet. Es geht um die Strafsache gegen den ledigen Studenten Wilhelm E., geboren 1901 in Mannheim, wohnhaft in Heidelberg, den ledigen Kaufmann Hans S., geboren 1904 in Dorndorf, wohnhaft in Jena, und den ledigen Studenten Liberatus B., geboren 1900 in München, später wohnhaft in Gießen. Am Beispiel dieser in Heidelberg begangenen Tat mit politischem Hintergrund, an der „frühe“ Nationalsozialisten beteiligt waren, soll auf die Frage eingegangen werden, ob das darauf folgende Strafverfahren zuverlässig rechtsstaatlich verlief. Oder hat das Gericht versagt, agierte die hier tätig werdende Justiz politisch, war sie – wie die Beurteilung für die Weimarer Republik im Allgemeinen lautet – auf dem rechten Auge blind?
Der traditionsreiche Stadtteilverein „Alt-Heidelberg e.V.” hat sich 2016 der Aufarbeitung eines der dunkelsten Kapitel seiner Geschichte angenommen. Im Jahr 1935 beteiligte sich dessen Vorstand an der von Oberbürgermeister Carl Neinhaus veranlassten und von den städtischen Behörden ausgeführten Vertreibung der in Heidelberg ansässigen Sinti-Familien. Diese Aktion markierte den Beginn einer Verfolgungsgeschichte, welche für mindestens drei Personen und ein Neugeborenes mit dem Tod im Vernichtungslager Auschwitz Birkenau endete.
„Warum erinnern? Wäre es nicht viel leichter einfach zu vergessen? Warum Vergangenes in unserer Gegenwart und Zukunft weiter ,erleben‘, wenn wir es zeitlich schon längst überlebt haben?“ So leitet eine Schülerin aus dem Philosophiekurs des Hölderlin Gymnasiums ihren Essay ein, in dem sie sich mit der Frage auseinandersetzt, wie ihre Generation mit der NS-Zeit siebzig Jahre nach Kriegsende umgehen soll. Die hier aufgeworfenen Fragen
beschreiben sehr gut die Herausforderungen einer heutigen Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus in der Schule. Für einen Großteil der heutigen Jugendlichen ist die faschistische Diktatur Geschichte aus dem Schulbuch geworden, es fehlen mittlerweile familiäre Bezüge. Daher muss die Schule andere Zugänge liefern, die den Schülern nach wie vor die Wichtigkeit einer intensiven Aufarbeitung dieser Zeit vor Augen führt. Ein Beispiel für eine schülerorientierte Annäherung an dieses zentrale Thema der deutschen Geschichte ist ein umfassendes Projekt mit sehr unterschiedlichen schulischen und außerschulischen Heidelberger Akteuren, das im Folgenden vorgestellt werden soll.
Eine französische Lehrerin aus dem besetzten Elsass, Hélène Garnier, wird umgeschult, nach Wieblingen und Edingen versetzt und unterrichtet dort bis zum Einmarsch der Amerikaner 1945. Die zwangsweise Umschulung elsässischer Lehrer und Lehrerinnen nach der Besetzung des Elsass ist ein wenig bekanntes Kapitel der deutsch-französischen Geschichte des Zweiten Weltkriegs, das wir – Daniel Morgen und Günter Lipowsky – in dem 2014 erschienenen Buch mit Hilfe von etwa hundert Zeitzeugenaussagen und an Hand der vorhandenen Archivalien in den Archiven des Oberrheins
schildern und analysieren.
Dem aus Schlesien stammenden Dichter Joseph Karl Benedikt Freiherr von Eichendorff (1788–1857) sind in Heidelberg mehrere Orte der Erinnerung gewidmet. Der heutige Eichendorffplatz im Stadtteil Rohrbach, dessen Fläche ein nach Norden ausgerichtetes asymmetrisches Trapez bildet, wird von vier Straßen eingefasst: von der Karlsruher und der Heidelberger Straße an den Langseiten, von der Eichendorffstraße im Norden und von der Karlsluststraße im Süden. Der alte „Denkstein“ von 1938 ist heute von Efeu überwuchert. Seinen heutigen Namen erhielt der Platz 1938, vorher wurde dieses Areal „Kreuz“ (oder „Am Kreuz“, „Kreuzplatz“) genannt, nach einem steinernen Kruzifixus von 1732, der damals auf den Friedhof versetzt wurde, wo er heute noch steht.
Der folgende Aufsatz beschäftigt sich mit der Frage, welche Faktoren eigentlich bei der „Erklärung“ eines historischen Phänomens beachtet werden müssen. Genauer gesagt geht es um die Frage, wie der Aufstieg des Nationalsozialismus in den heutigen Stadtteilen von Lahr - damals noch selbständigen Dörfern - „erklärt“ oder beschrieben werden kann. Was war eigentlich ausschlaggebend? Die politische oder soziale „Großwetterlage“? Oder das politische Personal vor Ort? Strukturen oder Menschen?
Kriegsende in Lahr 1945
(2019)
Der Zweite Weltkrieg endete in Europa erst, nachdem das Deutsche Reich von den Alliierten militärisch besiegt und besetzt worden war. Zwar hatten die Westalliierten bereits seit Herbst 1944 versucht, durch eine Intensivierung des Luftkriegs die Moral der deutschen Zivilbevölkerung zu brechen, das NS-Regime zu destabilisieren und so ein schnelles Kriegsende herbeizuführen, doch kam es in den letzten Kriegsmonaten seitens der Zivilbevölkerung allenfalls zu lokal isolierten Widerstandshandlungen. Diese waren in der Regel nicht politisch motiviert, sondern spontane Aktionen Einzelner oder kleiner Gruppen mit dem Ziel, die (weitere) Zerstörung des persönlichen Lebensumfeldes durch letzte Rückzugsgefechte der Wehrmacht zu verhindern und die eigene (materielle) Existenz zu sichern. Die an einer möglichst langen Fortführung des Krieges interessierte nationalsozialistische Führungselite reagierte auf diese Auflösungserscheinungen innerhalb der ,Heimatfront' mit brutalen Mitteln. Der „Flaggenbefehl“ Himmlers von Anfang April 1945, wonach Angehörige der Polizei und Wehrmacht „[g]egen das Heraushängen weisser Tücher, das Öffnen bereits geschlossener Panzersperren, das Nichtantreten zum Volkssturm und ähnliche Erscheinungen[ ... ] mit härtesten Massnahmen durchzugreifen“ hatten, war hierfür symptomatisch. Für den Gau Baden sind zahlreiche Fälle belegt, in denen Angehörige der Wehrmacht, der SS, der Polizei und Parteifunktionäre Zivilisten erschossen, die sich nicht bereit gezeigt hatten, ihre Stadt, ihr Dorf oder ihr Haus zu verteidigen.
Die Häß ist ein ausgesprochen schwatzhaftes, vorlautes Weib, die über alles zu meckern und zu kritisieren hat und vom Nationalsozialismus nicht das Geringste wissen will. Genau so steht es im Original des Ermittlungsberichts der Geheimen Staatspolizei vom 1. Juli 1942 an den Oberstaatsanwalt beim Sondergericht in Freiburg. Wenige Tage zuvor, am 16. Juni 1942, hatte die damals 49-jährige Gast- und Landwirtin Lina Häß aus Ottenheim in einer Gastwirtschaft im elsässischen Erstein bei der Ankündigung einer Sondermeldung des Oberkommandos der Wehrmacht mit einer abweisenden Handbewegung folgende Äußerung gemacht: Ach was, es ist ja doch nicht wahr, was gesagt wird. Johann Klumpp, ein Oberwächter der Festungsdienststelle Karlsruhe und vermutlich ein überzeugter Nationalsozialist, hatte den Ersteiner
Gendarmerieposten über den Vorfall unverzüglich fernmündlich informiert. Lina Häß wird festgenommen und am 26. August 1942 vor dem Sondergericht Freiburg wegen eines Vergehens nach dem „Gesetz gegen heimtückische Angriffe auf Staat und Partei und zum Schutz von Polizeiuniformen“ angeklagt. Nicht einmal drei Monate nach „der Tat“, am 10. September 1942, wird sie vom Sondergericht Freiburg zu einer Gefängnisstrafe von neun Monaten ohne Bewährung verurteilt.
„Die Feuerwehr ist eine gemeinnützige, der Nächstenhilfe dienende Einrichtung der Gemeinde [...]. Sie ist in ihrer Einrichtung von der Polizei unabhängig.“ (§ 1 Feuerwehrgesetz von Baden-Württemberg) Diese Formulierung ist das Ergebnis von zwölf Jahren Erfahrung im sogenannten „Dritten Reich“, in der die Feuerwehren von der NS-Regierung als Hilfspolizei für politische und vielerlei andere Zwecke missbraucht wurden. Davor waren Feuerwehren weitgehend unpolitisch. Die gemeinsame Aufgabe des Brandschutzes war wichtiger als die Einstellung des einzelnen Wehrmannes. Die Feuerwehr schützte jeden, denn aus einem kleinen Brand konnte ganz schnell ein Großbrand werden, der eine ganze Gemeinde bedrohte. Im „Dritten Reich“ jedoch wurden auch die Feuerwehren zu Werkzeugen der NS-Politik, sie wurden gleichgeschaltet und dem Einfluss und der Kontrolle der Partei unterworfen. Auch sie hatten den Zielen des Regimes zu dienen, das sich schon ab 1934 heimlich auf den Krieg vorbereitete. Die Wehrmänner verhielten sich dazu auf ihre Weise, ihre Reaktion konnte von begeisterter Mitwirkung bis zu Verweigerung reichen. Am Beispiel der Freiwilligen Feuerwehr Unterkirnach lässt sich die schleichende Entwicklung exemplarisch beobachten, wie aus einer traditionellen
Gemeindeeinrichtung ein staatlich gesteuertes Organ zur Disziplinierung, ideologischen Manipulation und vormilitärischen Ausbildung wurde.
Dr. med. Hans Foerster (Förster) (5. Juni 1894–30. April 1970), geboren in Barmen, Wuppertal, als Sohn des Chemikers und Dendrologen Dr. phil. Hans Foerster (1864– 1917) und seiner Frau Elise Mayer (1871–1963). Aufgewachsen und Abitur in Barmen. 1914 freiwillige Meldung zum Kriegsdienst, Feldhilfsarzt 1918. Auszeichnungen: EK II (1916), Verwundetenabzeichen in Schwarz (1915). Nach 1918 Mitglied des Stahlhelm, Bund der Frontsoldaten und Parteimitglied der Deutschnationalen Volkspartei (DNVP). 1912 Beginn des Studiums der Humanmedizin in Heidelberg und Marburg. Im Sommersemester 1920 ärztliche Hauptprüfung (Examen) in Heidelberg, Approbation 1920; Promotion zum Dr. med. bei Prof. Carl Menge, Universitätsfrauenklinik Heidelberg. 1922 Eheschließung, Umzug von Heidelberg nach Radolfzell und Gründung einer Arztpraxis, seit 1926 Wohnräume und Praxis in der Seestraße 57. In zweiter Ehe 1928 verheiratet mit Charlotte Peters (1903–1980) aus Abtlöbnitz, Kreis Naumburg a. d. Saale. Am 5. Dezember 1928 Geburt des Sohnes Wolf-Dietrich Foerster in Radolfzell; bis 1944 bekommt das Paar sechs weitere Kinder. 1934 Bezug des eigenen Hauses in der Walther-Köhler-Str. (heute: Mettnaustr.) 23; 1938 Erwerb des angrenzenden Baugrundstücks Scheffelstr. 42. Arztpraxis weiter in der Seestr. 57 (seit 1933, nach Umbenennung und Neunummerierung, Schlageterstr. 27). Ab 1. Mai 1933 Mitglied der NSDAP, seit 1933 auch im Nationalsozialistischen Deutschen Ärztebund (NSDÄB).
Bei den Großdeportationen der südwestdeutschen jüdischen Bevölkerung durch die NS-Gauleiter Adolf Wagner und Josef Bürckel vom 22. Oktober 1940 handelte es sich um terminlich koordinierte, aber separate Abschiebungs-Aktionen. Dies zeigt sich deutlich auch an der unterschiedlichen Durchführung der Transporte. Gemeinsam hatten sie das Ziel Südfrankreich, worüber in Mannheim sogar offiziell und schon am frühen Morgen durch den Gestapo-Chef informiert wurde. Auch der Gestapo-Referent „für Judensachen“ Philipp Haas gab in Karlsruhe diese Auskunft und fügte, vielleicht zur eigenen Beruhigung, hinzu, „die Fahrt gehe nach dem Süden, in ein warmes Land“. Dass die Massenvertreibung rücksichtslos und zynisch auf das jüdische Fest „Sukkot“ gelegt wurde, könnte Anlass geben, dahinter eine besonders bösartige Schikane des Antisemitismus
zu vermuten. Als Erklärung bietet sich aber auch der Umstand an, dass die Kinder schulfrei hatten und nicht aufsehenerregend aus den Schulen abgeholt zu werden brauchten.
Nacht über Bretten
(2022)
In diesem Beitrag geht der Autor der Frage nach, wie sich die politischen Ereignisse im Jahr 1933, dem Jahr der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten, in den Beiträgen des Brettener Tagblattes widerspiegeln. Es wird aufgedeckt,
wie die Bevölkerung der Stadt Bretten und ihres Umlandes durch die Nationalsozialisten vereinnahmt wurde und wie sie auf die offensichtliche Beseitigung der Demokratie reagierte. Dabei ist sehr deutlich festzustellen, wie rasch die Nationalsozialisten ihre Ideologie und die damit verbundenen Zwangsmaßnahmen umsetzten.
Die katholische Kirche mit ihren Gläubigen war die Institution in Meßkirch, die den Nationalsozialisten während ihrer 12-jährigen Herrschaft wohl die meisten Unannehmlichkeiten bereitete. Zu Beginn war es vor allem der Redakteur Albert Zimmermann von der katholischen Zentrumszeitung „Heuberger Volksblatt“, welcher schon lange vor 1933 offen gegen die Nationalsozialisten Stellung bezog. Leider ist dieser mutige Mann bis heute in Meßkirch verkannt, wie die Straßennamendebatte um die Jahreswende 2013/14 beweist. Vorgeschlagen von der SPD-Fraktion und vom gesamten Meßkircher Gemeinderat bereits beschlossen, wurde eine Albert-Zimmermann-Straße wenige Wochen später vom gleichen Gremium revidiert. Nach zum Teil polemischen Leserbriefen, die nachweislich falsche Behauptungen enthielten, wurde die
Straßenbenennung von den beiden anderen Gemeinderatsparteien nun abgelehnt. Bemerkenswert daran sind zwei Dinge: Einmal, dass der Vorschlag zur Zimmermannstraße von der Meßkircher SPD kam, der Partei, die zu Zimmermanns Zeiten seine erklärte Gegnerin war. Zum anderen, dass die CDU, deren Wurzeln in der von Zimmermann vertretenen katholischen Zentrumspartei liegen und für deren Überzeugungen er sein Leben lang eintrat, den Vorschlag ablehnte.