943 Geschichte Deutschlands
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August 1947: »Es wird beantragt, den Betroffenen in die Gruppe der Hauptschuldigen einzureihen«; Juni 1948: »Der Betroffene ist Belasteter«; Juni 1949: »Der Betroffene ist Minderbelasteter«. Was war das für ein Trümmerfeld, in das
Ferdinand Ostertag 1946 aus amerikanischer Kriegsgefangenschaft zurückkehrte: Deutschland, zugrunde gerichtet von ihm
und seinesgleichen. In seiner eigenen Wahrnehmung hatte er alles erdenkliche Gute für dieses Land getan. Das Bild, das er von sich selbst zeichnete, zeigt einen fortschrittlichen, pflichtbewussten, korrekten, fairen, selbstlosen Mann, einen Diener des Gemeinwohls. Und eben Deutschlands. Um das er sich besonders in der Stadt bemühte, in die sein Lebensweg ihn geführt hatte – in Ludwigsburg: als Direktor der Bausparkasse GdF Wüstenrot, als Fraktionsvorsitzender der NSDAP im Gemeinderat, als ehrenamtlicher Bürgermeister.
Zu Ende des 17. und zu Beginn des 18. Jahrhunderts trafen für die ehemals wohlhabende Amtsstadt Marbach mehrere Ereignisse zusammen, die zu einem Niedergang
führten, der noch heute Auswirkungen hat: Der Stadtbrand im Jahr 1693 sowie der
Bau von Schloss und Stadt Ludwigsburg.
Seit 1677, bis 1693 unter Vormundschaft, regierte in Württemberg Herzog Eberhard Ludwig. 1697 schenkten ihm Stadt und Amt Marbach 50 Dukaten zur Hochzeit, ohne zu ahnen, was er wenige Jahre später zu ihrem Nachteil ersann. Der absolutistische Herrscher legte 1704 den Grundstein des Ludwigsburger Schlosses, dem
der planmäßige Ausbau der gleichnamigen Siedlung folgte. Diese vom Herzog begünstigte Ansiedlung, die auch auf Kosten von Marbach einen eigenen Amtsbezirk
erhielt, sollte in den Folgejahren zu einem großen Hindernis für die Entwicklung der
1693 abgebrannten Amtsstadt Marbach und zu einer finanziellen Belastung für das
ganze Amt werden. Außer Marbach, das noch an den Folgen der Zerstörung von
1693 litt, waren auch Stuttgart, das um seinen Charakter als Residenzstadt nicht zu
Unrecht fürchtete, und Markgröningen, das seinen jahrhundertealten Amtssitz an
die junge Stadt abtreten musste, betroffen.
300 Jahre Ludwigsburg
(2009)
»Geschichte begreifen, Zukunft gestalten, kreativ sein, Feste feiern – Ideenreich Ludwigsburg«, so heißt das Motto unseres Jubiläumsjahres 2009 mit 120 Veranstaltungen und Projekten. Dazu lade ich Sie ein und heiße Sie heute Abend ganz herzlich willkommen! »Geschichte begreifen«, das heißt zunächst: zurückzublicken aus unserer heutigen, globalisierten Zeit mit ihren Risiken und Chancen, zurückzublicken aus der friedlichsten Epoche, die Europa jemals hatte, auf eine Zeit häufiger militärischer Auseinandersetzungen. Das heißt auch: zurückzublicken als Gesellschaft, die nicht mehr wie im Jahrhundert der Stadtgründung von Herzog und Hofstaat absolutistisch regiert wird. Wir haben heute das Recht und die Verantwortung, demokratisch zu wählen. Darüber hinaus besteht für Bürgerinnen und Bürger die Chance, sich an Prozessen und
Entwicklungen zu beteiligen, Verantwortung zu übernehmen, sich ehrenamtlich zu engagieren und damit Gegenwart und Zukunft maßgeblich mitzugestalten. Doch bevor wir uns mit dem Thema »Zukunft gestalten« beschäftigen, wollen wir
uns im Sinne von »Geschichte begreifen« zunächst dem Stadtgründer widmen. Was hat Eberhard Ludwig, der nach dem frühen Tod seines Vaters Herzog Wilhelm Ludwig im Jahr 1677 schon im Alter von neun Monaten Herzog geworden war, später zum Bau des Schlosses und der Stadt inspiriert? Wie kam er zu dieser Idee und weshalb erschien Ludwigsburg innerhalb weniger Jahre auf der europäischen Landkarte? Wie ist die Stadtgesellschaft mit Glanz und Elend, mit Hoffen und Bangen, mit immer neuen Herausforderungen und Chancen umgegangen?
Am 13. November 1897 versammelte sich im Ludwigsburger Bahnhotel eine respektable Runde von Honoratioren der Stadt, um den »Historischen Verein für Ludwigsburg und Umgebung« zu gründen. Der neue Verein, der heute »Historischer Verein
für Stadt und Kreis Ludwigsburg« heißt, erhielt natürlich auch eine Satzung. In dieser
Satzung wird als Aufgabe und Zweck des Vereins definiert, »die Geschichte Ludwigsburgs und der Umgebung zu erforschen […] und den Sinn für Altertumskunde zu
wecken und zu pflegen«. Dieses Ziel sollte unter anderem mit öffentlichen Vorträgen
und mit der »Herausgabe einer unter dem Titel ›Ludwigsburger Geschichtsblätter‹ erscheinenden Vereinsschrift« erreicht werden.
Maßgeblicher Initiator und der eigentliche Spiritus rector des neuen Vereins war
Christian Belschner, der dann auch im November 1899 in der Nachfolge von Oberbürgermeister Gustav Hartenstein zum 1. Vorsitzenden des Vereins gewählt wurde.
Christian Belschner war es dann auch, der im Jahre 1900 im Auftrag des Vereins den
ersten Band der »Ludwigsburger Geschichtsblätter« herausgab. Das in der »Kgl. Hofbuchdruckerei Ungeheuer & Ulmer« hergestellte Heft enthält auf 87 Seiten sechs
Beiträge, die sich mit unterschiedlichen Themen aus der Heimatgeschichte befassen.
Drei Beiträge hat Belschner selbst beigesteuert: einen mit dem Titel »Kurze Geschichte
der Entstehung der Stadt Ludwigsburg«, die zwei anderen handeln von der Schulgeschichte Ludwigsburgs und von »Reichsgraf Johann Carl von Zeppelin und sein
Grabmal«. Es ging freilich nicht nur um Ludwigsburger Geschichte. Der Verein nahm
seinen Namenszusatz »für Ludwigsburg und Umgebung« von Anfang an sehr ernst.
Dies verdeutlichen namentlich der Aufsatz von Dr. Karl Weller, der den Lesern des
ersten Ludwigsburger Geschichtsblattes »Die wirtschaftliche Entwicklung der Ludwigsburger Landschaft bis zur Gründung der Stadt« vorstellte, und der Beitrag »Einiges über das Straßenwesen im Herzogtum Wirtemberg und der Bau der Landstraße
Stuttgart–Kornwestheim–Ludwigsburg« von Oberpostsekretär Dr. Friedrich Haaß.
Vergessen wäre gefährlich! »Verbrechen gegen die Menschlichkeit, unter anderem:
Mord, ethnische Ausrottung, Versklavung, Deportation und andere unmenschliche
Akte gegen die Zivilbevölkerung oder: Verfolgung aufgrund von rassistischen, politischen und religiösen Motiven; unabhängig davon, ob einzelstaatliches Recht verletzt wurde.« So lautet die Definition der Londoner Charta vom 8. August 1945.
Mit dem Begriff »Verbrechen gegen die Menschlichkeit« versuchten 1945 die Staaten, deren Armeen das nationalsozialistische Deutschland niedergerungen hatten, die
Verbrechen der Deutschen zu beschreiben und Maßstäbe zu ihrer Verurteilung zu
schaffen. Dass sie einen ganz wichtigen rechtsstaatlichen Grundsatz unterliefen,
indem sie den Straftatbestand erst definierten, nachdem die Taten begangen waren,
war allseits bewusst. Angesichts der jahrelangen, geplanten, massenhaft praktizierten
ungeheuerlichen Brutalität des Terror-Regimes und aller, die es unterstützten, wurde
dieser Verstoß gegen einen formalen Rechtsgrundsatz in Kauf genommen. Unter anderem auch, weil »Verbrechen gegen die Menschlichkeit« zwar eine neue Formulierung war, im Kern aber nur gewachsene Grundlagen des modernen Rechts zusammenfasste – bis hin zu biblischen Grundsätzen wie »Liebe deinen Nächsten wie dich
selbst« oder eben »Du sollst nicht töten«. Diese und alle darauf aufbauenden Gebote
und Verbote brauchten angesichts der zwölf Millionen Menschen, die von den Nazis
gezielt ermordet worden waren, dringend neue Schubkraft.
Die Ermordung des österreichischen Thronfolgers Erzherzog Franz Ferdinand und
seiner Gemahlin im bosnischen Sarajewo am 28. Juni 1914 durch einen serbischen
Nationalisten war zwar der Anlass, nicht aber die Ursache für den Ersten Weltkrieg.
Schon seit Jahren schien eine militärische Lösung der wachsenden politischen
Spannungen in Europa unvermeidlich. Für Österreich-Ungarn spielten dabei
der Interessenkonflikt mit Russland auf dem Balkan sowie die aggressive nationalistische Politik Serbiens eine zentrale Rolle; Österreich-Ungarn befürchtete den
Zusammenbruch der Monarchie, weshalb es der serbisch-russischen Expansionspolitik Einhalt gebieten wollte. Das Deutsche Reich indes hatte sich durch eine
ungeschickte Außenpolitik ins Abseits manövriert und die Bildung der »Entente
cordiale« zwischen Frankreich, Großbritannien und Russland nicht verhindern
können. Der Dreibund von Deutschland, Österreich-Ungarn und Italien war kein
stabiles Bündnis, nicht zuletzt wegen der italienischen Gebietsansprüche gegen
Österreich.
Die Donaumonarchie nahm das Attentat zum Anlass, mit Serbien abzurechnen,
wobei sie sich der Unterstützung des Deutschen Reiches sicher sein konnte. Das
von Österreich-Ungarn gestellte Ultimatum vom 23. Juli, das die Einbeziehung
von österreichischen Behörden bei den Ermittlungen gegen die Hintermänner des
Attentats und deren strafrechtliche Verfolgung vorsah, war für Serbien von vornherein unannehmbar. Allerdings konnte nie ein Zusammenhang zwischen dem
Attentat und der serbischen Regierung bewiesen werden. Da Serbien auf das
Ultimatum nicht einging, brach Österreich-Ungarn seine diplomatischen Beziehungen zu dem Balkanstaat ab. Nun mobilisierten beide Staaten ihre Streitkräfte,
wobei Serbien mit der Rückendeckung Russlands rechnen konnte. Schließlich erfolgte am 28. Juli die österreichisch-ungarische Kriegserklärung an Serbien, wenn
man so will aus veralteten Ehrbegriffen, einer versagenden Diplomatie und in Verkennung der Realitäten. Russland antwortete mit Mobilmachung, die sich nicht
nur gegen die Donaumonarchie, sondern auch gegen ihren Verbündeten Deutschland richtete.
Stadt werden
(2018)
Ludwigsburg ist eine typisch europäische Stadt. Nach Walter Siebel (Die europäische Stadt, Frankfurt 2014) zeichnen sich europäische Städte durch fünf Merkmale aus, anhand derer ich meinen Vortrag gliedere. Erstens: Präsenz einer vormodernen Geschichte im Alltag der Stadtbewohner/innen. Hier ist die bürgerliche Gesellschaft entstanden und viele Bauten, die häufig unter Denkmalschutz stehen, belegen diese Geschichte. Die Bewohnerinnen und Bewohner der Stadt Ludwigsburg können bezeugen, dass die Stadt mit ihrer ganz besonderen Gestalt, der Residenz, den Anlagen und der Garnisonsgeschichte ihnen ein Gefühl der Identität, der Orientierung, des Wohlbefindens und der Anerkennung gibt. Historische Gebäude vermitteln in ihrer Dauerhaftigkeit und Schönheit das Gefühl, an einem einzigartigen Ort zu leben.
Der Anlass des heutigen Vortrags, ja der ganzen Veranstaltungsreihe, in deren Rahmen er stattfindet, ist ein vergleichsweise unspektakuläres Schriftstück vom 3. September 1718. Es ist keine feierliche Stadterhebungsurkunde, sondern ein einfaches Reskript, ein nüchterner fürstlicher Befehl, der innerhalb der Landesverwaltung publiziert und an den Geheimen Rat des Herzogtums gerichtet war. Herzog Eberhard Ludwig – »von Gottes Gnaden Herzog zu Württemberg und Teckh, Graf zu Mömpellgard, Herr zu Heydenheimb, der römischen kayserlichen Mayestät, des heyligen römischen Reichs und des löblichen schwäbischen Creyses Generalfeldmarschall, auch Obrister über drey Regimenter zu Roß und Fuß« – gibt darin folgenden Beschluss (»unsere gnädigste resolution«) bekannt: Seiner Residenz Ludwigsburg sollen das bisherigen Amt Gröningen sowie Asperg, Hoheneck, Neckarweihingen, Kornwestheim und weitere Orte »incorporiert und ein Oberamt daraus gemacht« werden. Es folgen weitere Anordnungen über die Verwaltung der bisherigen Ämter und des neuen Oberamtes, der Amtskellerei, der Besteuerung sowie der geistlichen Jurisdiktion. Eberhard Ludwig verfügt weiterhin, dass Ludwigsburg zwei Jahrmärkte, je acht Tage nach der Frankfurter Messe, erhalten soll und dass alle inkorporierten Orte, insbesondere aber auch die Kaufleute aus Stuttgart dort ihre Waren anbieten sollen. Ferner sollen die Handwerkerzünfte aller württembergischen Ämter ihre Zentralen nach Ludwigsburg verlegen. Dann schließlich folgt der für Ludwigsburg wichtigste Satz: »wobei Wir mehrbesagter Unserer Residenzstadt Ludwigsburg noch diese Prägrogatio aus Landesfürstlicher Macht und Hoheit ertheilen, daß selbige die dritte Haubtstatt Unseres Herzogthumbs seyn, bey Unserer treugehorsambsten
Landschaft mit zum engern Ausschuß gezogen werden und das Stattgericht daselbst das Privilegium eines Obergerichts wie Stuttgart und Tübingen dergestalt haben solle, daß auch andern Stätten, außer denen incorporierten, dahin zu appelliren frey stehe«.