943 Geschichte Deutschlands
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"Räterepublik Mannheim"
(2000)
Das politische System des Kaiserreichs war den Belastungen des 1. Weltkrieges nicht mehr gewachsen, als der Glaube des deutschen Volkes an einen Sieg ins Wanken geriet. Nach dem militärischen Offenbarungseid der Obersten Heeresleitung Ende September 1918, daß der Krieg für Deutschland verloren und ein sofortiger Abschluß eines Waffenstillstandes erforderlich sei, wurde die Reichsregierung parlamentarisiert. Die Forderungen nach der Abdankung Kaiser Wilhelms II. wurden trotz weiteren Verfassungsreformen Ende Oktober lauter. Als am 28. Oktober die vor Wilhelmshaven liegende Hochseeflotte erneut auslaufen sollte, verweigerten die Matrosen ihren Gehorsam, da es sich nach ihrer Ansicht hierbei um eine „Todesfahrt“ handelte. Dieser passive Widerstand griff auf die Soldaten und Arbeiter über, und die Aufstandsbewegung breitete sich von Kiel über Hamburg, Hannover, Frankfurt bis nach Berlin aus. Überall auf den Straßen bildeten sich spontan Arbeiter- und Soldatenräte. Sie waren von der Dauer und dem Verlauf des Krieges ermattet, sehnten sich nach Frieden und ihre Hauptstoßrichtung war primär gegen die militärischen Kommandobehörden, erst in zweiter Linie gegen die Bürokratie gerichtet.
Gemeinnützig wohnen
(2000)
Mitte der Zwanziger Jahre verschärfte sich auch in Mannheim die Wohnungsnot drastisch, weil der privat finanzierte Mietwohnungsbau fast zum Erliegen gekommen war und sich die Schere zwischen Miethöhe und Einkommen immer weiter öffnete. Unter diesen Verhältnissen litt nicht allein die Arbeiterschaft, auch für kleine Angestellte wurde es immer schwerer,
angemessenen Wohnraum zu finden. In dieser Situation gründete die Stadt Mannheim 1926 die Gemeinnützige Baugesellschaft mit einem Grundkapital von RM 100 000, um durch großzügige Neubauten Wohnraum und im gleichen Moment Arbeitsplätze zu schaffen. Noch im selben Jahre begannen die Bauarbeiten am Erlenhof, einer großzügig geplanten Wohnanlage mit 51 Häusern und 393 Wohnungen, die schon im folgenden Frühjahr bezugsfertig waren. Die Anlage im Stil des Neuen Bauens wurde durch ihre rationale Grundrißgestaltung, den klar strukturierten Aufbau und die großzügig angelegten Innenhöfe zu einem auch heute noch sehenswerten und stadtteilprägenden Ensemble. Es folgten in den Jahren bis zur Weltwirtschaftskrise noch eine Reihe weiterer Wohnblöcke, bis die Probleme der Finanzierung dieser Form der Wohnraumbeschaffung ein Ende setzten.
Im April 1999 trat bei Bauarbeiten in der Mannheimer Kreuzkirche unter dem Altar der Grundstein von 1933 ans Tageslicht. In der in ihm verborgenen Kassette befanden sich neben den üblichen Grundsteinbeigaben eine von den damaligen Vertretern der Kirchengemeinde verfaßte Urkunde mit einem den Nationalsozialismus verherrlichenden Text. Er war am 17.10.1933 in den Grundstein eingelegt worden. Der Bezirk Mannheim der Badischen Heimat ließ die örtliche Presse von dem Fund wissen. Unter der Überschrift „Erinnerungen an ,unselige Tage‘“ berichtete der Mannheimer Morgen am 24.4.99 über den Fund.
Der offizielle Hurrapatriotismus des Kaiserreichs und die fast einhellige Kriegsbegeisterung im städtischen Bildungsbürgertum, anfängliche Siegesmeldungen von der Front, bald aber auch Nachrichten von vielen Verwundeten und Gefallenen versetzten die Pfarrer in den Heimatgemeinden bereits vom August 1914 an unter einen besonderen Erwartungsdruck ihrer Gemeindeglieder. Die Kriegsstimmung musste aufgenommen werden; bei den meisten Predigern geschah es bis zuletzt mit überzeugtem Nationalismus. Andererseits galt es, Verantwortungsträger zu ermutigen und Leidtragende zu trösten sowie eine Deutung des Geschehens und Weisung zu geben. Die Predigten waren somit meist weniger Bibeltextauslegungen als Thema- oder Mottopredigten, eben „Zeitpredigten“ (Ernst Lehmann). Die älteren Pfarrer an der „Heimatfront“ wurden, trotz immer wieder neuer Mobilmachungsaktionen, durchweg als unabkömmlich eingestuft, jedoch neben ihrem eigentlichen Gemeindedienst als Garnison- oder Lazarettpfarrer eingesetzt. Ihre Kriegspredigten und Kriegsandachten ließen sie oft drucken, damit sie auch ihren Gemeindegliedern im Felde zugesandt werden konnten oder um mit dem Verkaufserlös Hilfsmaßnahmen zu unterstützen.
Im ersten Band des Jahrbuchs für badische Kirchen- und Religionsgeschichte hat Prälat Gerd Schmoll als Zeitzeuge berichtet, wie er Krieg und Nachkriegszeit und die Kirche in dieser Zeit erlebt hat. Wie schon oft stellte sich mir die Frage: Wie habe eigentlich ich dies alles erlebt, 1929 in Mannheim geboren und dort aufgewachsen, zuerst als Kind, dann als Mädchen, und noch später als Heranwachsende, als Frau? Wie vermag ich heute in der Rückschau dies zu sehen? Ich bin viereinhalb Jahre älter als Gerd Schmoll und habe fast immer in Mannheim gelebt und auch gearbeitet, wobei allerdings die nicht einmal zwei Jahre, die ich aus Kriegsgründen in St. Blasien verbringen musste, von nachhaltiger Bedeutung für mich waren. Viereinhalb Jahre Altersunterschied kommen für die Zeit des „Dritten Reiches“ und der Nachkriegszeit geradezu einem Generationen-Unterschied gleich. So will ich es wagen, will einiges von meinem Erleben oder Erspüren versuchen zu benennen.
Die Adresse ist im heutigen Mannheim nicht zu finden. Die Menschen, das Haus, sogar die Straße sind verschwunden. Die Hausbewohner fehlen im Adressbuch der Stadt seit 1940. In Archiven dagegen geben schriftliche Dokumente Auskunft. Auch in den Erinnerungen ehemaliger Mannheimer in den USA und in Israel leben das Mietshaus und seine Bewohner in schmerzlicher Erinnerung fort. Einige wenige der früheren Bewohner oder Besucher haben überlebt. Sie, die hier als Kinder oder junge Menschen ein und aus gingen, erinnern sich durchaus. Juden lebten hier bis zum 22. Oktober 1940, dem Tag, an
dem die Reise in die Todeslager begann. Wie konnten über 2000 unschuldige Menschen einer Stadt mit Wissen der
Bevölkerung aus ihren Wohnungen abgeführt, deportiert und später getötet werden? Was war da vorausgegangen, wie sah die psychologische und technische Vorbereitung aus, wie konnte alles mit Wissen, vielleicht sogar mit Billigung der Nachbarn geschehen? Eine gültige Antwort wird es wohl nie geben. Dieser Beitrag ist der Versuch einer Rekonstruktion der Ereignisse in einem Wohnhaus.
Auch das zweihundertjährige Jubiläum der Erhebung Mannheims zur Stadt im Jahr 1807 fiel in eine schwierige Zeit. Die fortwährenden Kriege Napoleons gingen einher mit einer Phase des politischen und auch wirtschaftlichen Umbruchs in Europa, in deren Verlauf die alte Welt des Ancien Regime zu Grabe getragen wurde. Diese Entwicklung machte auch nicht vor der ehemaligen kurpfälzischen Residenzstadt Mannheim halt, die zu einer abgelegenen badischen Provinzstadt degradiert wurde.
Außer Spesen nichts gewesen?
(2003)
In wenigen Jahren wird Mannheim wieder einmal sein Stadtjubiläum begehen: 400 Jahre Verleihung der Stadtprivilegien sind ein Grund zur Rückschau, zur Freude, zum Feiern - und zugleich ein Ansporn, bis dahin etwas Besonderes auf die Beine zu stellen. Da kann es hilfreich sein, einen Blick auf frühere Aktivitäten zu werfen und besonders das erste Jubiläum, die Hundertjahrfeier von 1707, einmal näher zu betrachten. Dass am 24. Januar 1707 überhaupt ein großes Fest gegeben wurde, könnten wir zunächst einmal als Beleg für den ungebrochenen Lebenswillen und die Lebensfreude der kurpfälzischen Bewohner werten. Schließlich befand sich ihre Stadt nach der radikalen Zerstörung in den Jahren 168/89 noch mitten im Wiederaufbau, begonnen nach Ende des Pfälzischen Erbfolgekriegs mit dem Friedensvertrag von Rijswijk im Herbst 1697.
Das Fundament bildeten in Mannheim die von Kurfürst Johann Wilhelm gewährten Stadtprivilegien vom 31. Oktober 1698, die eine relativ autonome Stadtverfassung schufen.Der Wiederaufbau ging allmählich und gewiss von mancherlei Rückschlägen und Kriegswirren begleitet voran. Letztere machten auch vor dem Stadtjubiläum 1707 nicht Halt, als die Franzosen unter Marschall Villars vorübergehend Mannheim besetzten. Von größeren Schäden dieser Besetzung ist jedoch nichts bekannt.
Am 2. Juni 1803 betrat Kurfürst Karl Friedrich von Baden erstmals den Boden der ehemaligen Kurpfalz, die ihm im Reichsdeputationshauptschluss vom 25. Februar 1803 zugesprochen worden war. Erstes Ziel seiner Reise war Mannheim, die ehemalige Residenzstadt der Kurpfalz, die er am späten Nachmittag erreichte. Vor dem Heidelberger Tor angekommen, wurde er mit Glockengeläut und Salutschüssen empfangen und in ergreifenden Reden vom Mannheimer Stadtdirektor und Stadtgerichtsassessor willkommen geheißen. Flankiert von der Schuljugend sowie zahlreichen jubelnden Bürgern, zog der Tross des Kurfürsten durch die Planken über den Paradeplatz hin zum Schloss, wo der Adel und die hohen Verwaltungsbeamten ihren neuen Landesherren empfingen. Tags darauf war ein umfangreiches Programm vorbereitet: Im Nationaltheater sah sich Karl Friedrich ein ihm zu Ehren geschriebenes Schauspiel sowie eine Oper an. Im Anschluss gab er bekannt, dass er die hohen Schulden des Theaters übernehmen und den künftigen Betrieb mit Hilfe eines jährlichen Zuschusses aufrecht erhalten lassen wolle. In den folgenden Tagen war der Kurfürst der schier unbegrenzten Devotion der Mannheimer ausgesetzt. Ob beim Besuch der religiösen Gemeinden oder beim Empfang von Schulklassen, überall wurde er in Gedichten, Liedern oder Aufführungen gefeiert.