943 Geschichte Deutschlands
Filtern
Erscheinungsjahr
Dokumenttyp
- Wissenschaftlicher Artikel (805) (entfernen)
Sprache
- Deutsch (805)
Gehört zur Bibliographie
- nein (805)
Schlagworte
- Geschichte (107)
- Nationalsozialismus (107)
- Baden (88)
- Villingen im Schwarzwald (48)
- Judenverfolgung (35)
- Weimarer Republik (35)
- Freiburg im Breisgau (34)
- Weltkrieg 〈1914-1918〉 (32)
- Offenburg (31)
- Drittes Reich (30)
Im ersten Band des Jahrbuchs für badische Kirchen- und Religionsgeschichte hat Prälat Gerd Schmoll als Zeitzeuge berichtet, wie er Krieg und Nachkriegszeit und die Kirche in dieser Zeit erlebt hat. Wie schon oft stellte sich mir die Frage: Wie habe eigentlich ich dies alles erlebt, 1929 in Mannheim geboren und dort aufgewachsen, zuerst als Kind, dann als Mädchen, und noch später als Heranwachsende, als Frau? Wie vermag ich heute in der Rückschau dies zu sehen? Ich bin viereinhalb Jahre älter als Gerd Schmoll und habe fast immer in Mannheim gelebt und auch gearbeitet, wobei allerdings die nicht einmal zwei Jahre, die ich aus Kriegsgründen in St. Blasien verbringen musste, von nachhaltiger Bedeutung für mich waren. Viereinhalb Jahre Altersunterschied kommen für die Zeit des „Dritten Reiches“ und der Nachkriegszeit geradezu einem Generationen-Unterschied gleich. So will ich es wagen, will einiges von meinem Erleben oder Erspüren versuchen zu benennen.
Sehr geehrte Frau Lehmann, sehr geehrte Damen und Herren, ich freue mich sehr, dass die Evangelische Stadtkirchengemeinde Durlach gemeinsam mit der Evangelischen Erwachsenenbildung Karlsruhe und Durlach und dem Freundeskreis Pfinzgaumuseum/Historischer Verein Durlach des 70. Jahrestages der Reichspogromnacht mit einer außerordentlich eindrucksvollen Veranstaltungsreihe gedenkt. Im Rahmen dieser Veranstaltungsreihe bin ich gern heute zu Ihnen nach Durlach gekommen. Dies gibt mir die Gelegenheit, öffentlich und im Namen unserer Evangelischen Landeskirche in Baden zu jener schweren Schuld zu stehen, die unsere Kirche in den Jahren der nationalsozialistischen Herrschaft auf sich geladen hat. Darum ist es mir ein besonderes und persönliches Anliegen, Ihnen, verehrte Frau Lehmann, die Grüße unserer
Kirchenleitung zu überbringen und sie in ihrem Namen um Vergebung zu bitten für das, was die badische Kirchenleitung Ihrem Vater an schwerem Unrecht zugefügt hat.
Beschäftigt man sich mit Gerhard Ritter und dem deutschen Widerstand gegen den Nationalsozialismus, so werden zwei Sachverhalte schnell deutlich: Zum einen war Ritter einer der wenigen deutschen Historiker, die sich am Widerstand gegen das
nationalsozialistische Gewaltregime beteiligten, und zum anderen war er einer der ersten deutschen Historiker, die nach Kriegsende über den Widerstand publizierten. Der vorliegende Beitrag beschäftigt sich mit beiden Facetten des Themas und arbeitet dabei vor allem das konservative sowie das christliche Moment in Ritters Denken und Handeln heraus.
Mit dem Erscheinen des sechsten und zugleich Registerbandes der Quellenedition „Die Evangelische Landeskirche in Baden im ,Dritten Reich‘“ im Jahr 2005 wurde eines der großen editorischen Langzeitprojekte der deutschen kirchlichen Zeitgeschichte abgeschlossen. Anders als bei der Dokumentation des württembergischen Kirchenkampfes durch Gerhard Schäfer – für sich genommen eine geradezu singuläre Dokumentationsleistung – steht bei dem im Auftrag des Evangelischen Oberkirchenrats Karlsruhe in Kooperation mit dem Verein für Kirchengeschichte in der Evang. Landeskirche in Baden zustande gekommenen Editionsprojekt nicht die „Kirchenkampf“-Geschichte im engeren Sinn im Vordergrund. Das Karlsruher Projekt hat sich, wie bereits das Geleitwort von Landesbischof Dr. Klaus Engelhardt zum ersten, 1991 erschienenen Band zeigt, die Kontextualisierung der Auseinandersetzung zwischen Landeskirche und NS-Regime in der Kirchen- und Allgemeingeschichte des 20. Jahrhunderts zum Ziel gesetzt.
Die reichsweit stattgefundenen Versteigerungen jüdischen Hausrates, organisiert
durch die staatlichen Finanz- und Zollämter, waren Teil der sogenannten „Arisierung“ jüdischen Besitzes. Deren Ziel war, die jüdische Bevölkerung aus dem
Wirtschaftsleben zu verdrängen und die Zwangsenteignung jüdischen Besitzes
zugunsten des Staates und der „Arier“ zu organisieren.
Betroffene dieser fiskalischen und materiellen Enteignung durch staatliche
Organe waren auch Mitglieder der Villinger Familien Haberer, Schwarz und
Schwab. Zusammen mit insgesamt 6.500 badischen und Saarpfälzer Juden wurden sie am 22. Oktober 1940 in das Lager Gurs in den Pyrenäen deportiert. Der
beschlagnahmte Hausrat wurde schon einige Wochen später im Auftrag des
örtlichen Finanzamtes öffentlich versteigert.
Eine weitere Versteigerung fand im April 1942 statt. Zum Verkauf kamen
die Wohnungseinrichtungen von Michael Bloch und der Familie Gideon. Sie
konnten noch wenige Tage vor Beginn des Krieges in die Schweiz emigrieren. Der
zum Abtransport verpackte Hausrat wurde jedoch von Gestapo- und Zollbeamten beschlagnahmt und bis zur Versteigerung – 2 1/2 Jahre später – eingelagert.
Im Folgenden soll aufgezeigt werden, wie die jüdische Bevölkerung seit der
Machtübernahme durch die Nationalsozialisten mit Hilfe erlassener Gesetze und
Verordnungen systematisch ihres Besitzes und Vermögens beraubt wurde,
wobei die öffentlichen Versteigerungen der Wohnungseinrichtungen und des
Hausrates einen Schlusspunkt der Ausplünderung darstellten. Es stellt sich die
Frage, wer – neben dem Staat – an der Enteignung des jüdischen Besitzes beteiligt war und zu den örtlichen Profiteuren der Versteigerungen gehörte
Die Lampe des Nachtarbeiters
(2003)
Über die Anfänge der Stadt Karlsruhe ist eine erstaunlich frühe Geschichtserzählung auf uns gekommen. Sie ist nicht wie die Akten der Behörden Teil der Ereignisse selbst und erst einmal nur für die Zeitgenossen bestimmt, sondern versteht sich von vornherein als historiographisches Werk mit der Zielsetzung, das Geschehen um den Ursprung der Stadt und in ihren ersten
Jahren mit literarischem Anspruch und in würdiger Form der Nachwelt zu überliefern. Diese erste Stadtgeschichte ist 1728 in dem 13 Jahre jungen „Caroli-Hesycheum" auf Lateinisch gedruckt worden. Sie ist bisher niemals auf Deutsch erschienen und deshalb nur von wenigen benutzt und kaum so gewürdigt worden, wie sie es verdient - bei aller Umständlichkeit ihrer Gedankenführung und trotz der Begrenztheit ihres Quellenwertes.
Eine einheitliche Zeit ist für uns Mitteleuropäer heute selbstverständlich im Alltagsleben - es sei denn, wir begeben uns auf eine Fernreise, führen ein Ferngespräch oder nutzen die Möglichkeit des weltumspannenden Internet-Chats. Dann stellen wir fest, dass es beispielsweise zwischen Mannheim und London einen einstündigen Zeitunterschied gibt, während die Uhrzeit der amerikanischen Ostküste gegenüber unserer Zeit sechs Stunden zurückliegt. Innerhalb Deutschlands gilt seit 1893 die Mitteleuropäische Zeit und seit 1980 in den Sommermonaten die Mitteleuropäische Sommerzeit. Kaum vorstellbar ist es jedoch für uns heute, dass noch in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts die Zeit mit Sonnenuhren nach dem jeweiligen Sonnenstand vor Ort bestimmt wurde. Das hatte zur Folge, dass z. B. in Südwestdeutschland nicht nur die Uhren Stuttgarts, Mannheims, Karlsruhes oder Kaiserslauterns, sondern auch benachbarter Dörfer je nach Längengrad unterschiedlich gingen. Im Alltag spielte das kaum eine Rolle. Viele Menschen lebten, wohnten und arbeiteten an einem Ort. Und wer verreiste, tat dies zu Fuß oder war tage- und wochenlang mit der Postkutsche unterwegs.
Alte Klöster - neue Herren
(2003)
Mit Großen Landesausstellungen versucht das junge Bundesland Baden-Württemberg von Zeit zu Zeit, sich seiner historischen Wurzeln zu versichern. So wird mit der Ausstellung ,,Alte Klöster - neue Herren" Säkularisation im deutschen Südwesten eine Reihe landesgeschichtlicher Themen fortgesetzt, die 1977 mit der „Staufer-Schau" begann, mit Ausstellungen über die Alamannen, das badisch-württembergische Vorderösterreich bis hin zum ,,Mittelalter am Oberrhein" fortgesetzt wurde. Zu erwähnen sind auch die Ausstellungen zu ,,Baden-Württemberg im Zeitalter Napoleon" aus Anlass des 125jährigen Jubiläums des Württembergischen Landesmuseums und die Landesausstellung „1848/49: Revolution der
deutschen Demokraten in Baden". Die Landesausstellungen widmen sich aber nicht nur landesgeschichtlichen Themen, sondern sind über das Historische hinaus gedacht als Festigung des „Image Baden-Württemberg als Kulturland" und als Identifikationsangebot für die Bürger mit dem Land. Das Thema der Säkularisierung bietet sich insofern für eine
Landesausstellung an, da sie Bedingung war für die Schaffung der Mittelstaaten Baden und Württemberg als „wohlarrondierte Territorialstaaten" im Sinne und Interesse Napoleons. Erhielt doch „Württemberg das Vierfache seiner tatsächlichen Verluste, Baden das Siebenfache".
Dorf und Landesherrschaft
(2003)
1803 - diese Jahreszahl steht in Südwestdeutschland für „die" Säkularisation, ,,den" Übergang vieler geistlicher und einiger weltlicher Fürstentümer an Baden oder Württemberg, ,,das" Ende des Alten Reiches und damit des territorialen Flickenteppichs am Oberrhein. Die vermeintliche Eindeutigkeit der Begriffe, die auch an eine Einheitlichkeit der Abläufe und ihrer Folgen denken lässt, will uns glauben machen, es könne hier über ein klar bestimmbares Ereignis und dessen Auswirkungen gesprochen werden. Einheitlich, gewiss, war manches: die Inbesitznahme der Städte und Dörfer in den Entschädigungsländern durch badische Kommissare, das Anschlagen der markgräflichen Patente, das Befestigen der neuen landesherrlichen Wappen. Bei näherem Hinsehen aber erschöpft sich das Einheitliche im bloß Äußerlichen, während die Voraussetzungen und vor allem die Folgen der Ereignisse von 1802/03 von Ort zu Ort, von Region zu Region höchst unterschiedlich waren, vor allem auch hinsichtlich ihrer Intensität und Reichweite. Dass etwa ein Dorf wie Schielberg bei Frauenalb, praktisch die Arbeitersiedlung der dortigen Klosterbediensteten, durch die Aufhebung der Nonnengemeinschaft in seiner Struktur deutlich massiver betroffen war als eine beliebige Bauerngemeinde ohne direkte ökonomische Verflechtungen mit einer Ordensniederlassung, liegt auf der Hand.
Durch eine Resolution des Großherzogs von Baden vom 10. Oktober 1806 wurde das Kloster St. Blasien für aufgehoben erklärt, und am 28. Oktober erhielt dann der Abt die offizielle Mitteilung. Schon am 5. November kam Staatssekretär Baron Joseph Albrecht von Ittner, ehemals Kanzler der Malteser in Heitersheim, in das Kloster im Albtal, um den Abt zu eröffnen,
dass die Klostergemeinschaft nunmehr nicht mehr bestehe und das Vermögen der Mönche dem Staat gehöre. Damit war die ruhmreiche Geschichte des Benediktinerklosters St. Blasien beendet.
Zu einem fürstlichen Hof, sei er weltlich oder geistlich, gehörten Sammlungen verschiedenster Art. Der absolutistische Regent repräsentierte in seiner Person und seiner Hofhaltung sein ganzes Land und dessen Wohlstand. Der ganze Kosmos mit allen seinen Aspekten sollte in den Sammlungen vertreten sein, so entsprach es dem universalen Bildungsanspruch frühneuzeitlicher Gelehrter. Nicht nur Wissenschaftler pflegten ein derartiges Bildungsideal. Adelige erhielten in ihrer Jugend
in der Regel eine umfassende Ausbildung, die ihnen zwar nicht unbedingt Expertenwissen vermittelte, es ihnen aber ermöglichte, in Gesprächen über Kunst, Philosophie, Literatur und Geschichte ebenso wie Naturwissenschaft, Wirtschaft und Technik sachkundig mitzureden. Wissenschaftliche und künstlerische Interessen zu pflegen, war Teil ihres Selbstverständnisses. Dies gilt für Adelige beiderlei Geschlechts, wobei die Frauen sich zumeist nur den „schönen Künsten" widmeten. Je nach persönlichem Interesse vertieften sich einzelne Persönlichkeiten derart intensiv in bestimmte
Themenbereiche, dass ihr Wissen von Fachleuten anerkannt und ihre Sammlungen weithin berühmt wurden. Markgräfin Caroline Louise, die erste Gemahlin Karl Friedrichs, trug beispielsweise eine große Zahl von Gemälden vor allem niederländischer Künstler zusammen. Für die Porzellansammlung der Markgräfin Sibylla Augusta bildet das sogenannte
„Porzellanschloss" Favorite bei Rastatt einen prächtigen Rahmen.
Die Säkularisation der Klöster und Bischofsresidenzen brachte den badischen Staat in den Besitz nicht nur der Gebäude und Ländereien, sondern auch des gesamten beweglichen Ausstattungsguts, von Möbeln und Hausrat bis zu den Kirchenschätzen. Aus den Konventsgebäuden, die ihre Nutzung verloren, wurde das Mobiliar ausgeräumt und verwertet. Gleiches galt für die Klosterkirchen, soweit sie nicht als Gemeindepfarrkirchen eine neue Funktion erhielten. Vor Ort verblieb nur dasjenige, was für den Gottesdienst und, sofern es eine solche gab, für die Wallfahrt benötigt wurde.
Persönliche Initiativen
(2003)
Unter den persönlichen Unternehmungen, kirchliches Kunstgut zusammenzutragen und zu bewahren, ragen Eigeninitiativen einzelner Geistlicher immer wieder heraus. Ob in Übernahme einer neuen Pfarrei, eines Lehramtes oder auch als Domkapitular treten die Theologen aktiv als Sammler oder Vermittler der eingezogenen, beiseite geschobenen, weggegebenen oder verkauften Werke ein. Sie haben das Schicksal von so manchem Kunst- und kirchlichen Gebrauchsgegenstand wesentlich mitbestimmt. Starken Auftrieb erhielten kaufkräftige und sachkundige Kunst- und Antiquitätenhändler, die wiederum von ebensolchen Interessenten konsultiert wurden. Die Händler kauften auf den öffentlichen Versteigerungen, die in nahezu jedem aufgehobenen Kloster von badischen Beamten organisiert worden sind, oder streiften durchs Land, um entbehrliches Kirchengut zu erwerben. Über den Kunsthandel gelangte kirchliches Gut zunächst zunehmend in private Sammlungen, später in die neubegründeten Museen. Was an den einzelnen Orten von Privatpersonen geborgen oder „gerettet" werden konnte, ist selten schriftlich fassbar.
Seit 1981 öffnet sich Schloss Bruchsal erstmals wieder im Hauptgeschoss für eine große Sonderausstellung. Zu sehen gibt es eine Vielfalt von Zeitzeugen, anhand derer bekannte und unbekannte Seiten der Säkularisation aufgeschlagen werden. Wer die prächtigen, lehrreichen und faszinierenden Stücke betrachtet, staunt, woher sie überall zusammengetragen wurden. Die Staatlichen Schlösser und Gärten Baden-Württemberg veranstalten zusammen mit der Stadt Bruchsal die facettenreiche Präsentation beeindruckender Objekte, vor allem aus dem badischen, aber auch ausgewählte Beispiele aus dem württembergischen Gebiet. Der Blick auf die Säkularisationsjahre 1802-1806 - 200 Jahre danach - führt uns in eine spannende Phase der Geschichte des heutigen Baden-Württemberg. Eine der größten Umbruchzeiten, die es in der europäischen Geschichte gegeben hat, war in Gang. Der Name Napoleon steht für diese Zeit. Er hat die neue Ordnung eingeführt, zunächst in Frankreich, dann in ganz Mitteleuropa. Besitzungen und Rechtstitel der Klöster und geistlichen Herrschaften wurden in weltlichen Besitz umgewandelt. Neue Territorialgebilde entstanden. Schloss Bruchsal, als vorherige Residenz der Fürstbischöfe von Speyer war selbst ein Schauplatz der Säkularisation. Durch die Auflösung des kleinen eigenständigen geistlichen Staates verlor es seine zentrale Rolle als Hauptstadt.
Am 25. Februar 1803 verabschiedete ein Ausschuß des Reichstags zu Regensburg, eine sogenannte Reichsdeputation, einen Beschluß, der die Auflagen von vorangegangenen internationalen Friedensverträgen in Reichsrecht umsetzen sollte. Die Folge war eine völlige Umgestaltung des Alten Reiches. Obwohl auch weltliche Reichsstände betroffen waren, nämlich die rechtsrheinische Kurpfalz und die allermeisten Reichsstädte, ist mit dem Reichsdeputationshauptschluß in der historischen
Erinnerung vor allem der Begriff der Säkularisation verbunden. In der Tat stellte die große Säkularisation von 1802/03 für den Süden Deutschlands gewiß das einschneidendste und folgenreichste Ereignis des allgemeinen Umbruchs jener Jahre dar. Man könnte sogar sagen, sie habe das, was am Alten Reich nach den Erschütterungen der Reformation und des Dreißigjährigen Krieges noch mittelalterlich geblieben war, endgültig und noch dazu radikal beseitigt. Obwohl sie beileibe kein Einzelfall in der europäischen Geschichte war, blieb es ihr vorbehalten, als die Säkularisation schlechthin ins öffentliche Bewußtsein einzugehen. Dabei ist das Urteil über sie je nach weltanschaulicher Orientierung oder konfessioneller Gebundenheit durchaus gespalten; denn der Horizont an historischen Erklärungsmöglichkeiten der jetzt Lebenden reicht noch in jene Zeit zurück. Um die gravierenden Wirkungen verstehen und besser in den Gesamtzusammenhang einordnen zu
können, fragt man am besten nach den Ursachen der Verläufe, die zur Säkularisation geführt haben, wobei aber auch die individuelle Verantwortung der damals politisch Handelnden nicht ausgeblendet werden sollte.
Man kennt sich nicht mehr aus in unserm Vaterland". Mit diesen Worten resümierte bei der Übernahme des fürstbischöflichen Meersburg in das markgräfliche Baden ein badischer Kommissar die umwälzenden Veränderungen durch die immensen Gebietszugewinne, die seit 1802 in die Tat umgesetzt wurden. Aufklärerische Utopien und territoriale Verluste an Frankreich waren der Auslöser für die staatliche Umstrukturierung des deutschen Südwestens. Herrschaftliche Wechsel ereigneten sich in kurzen Zeitabständen. Im Breisgau regierte von 1801 an sogar der oberitalienische Herzog von
Modena, der für seine verlorengegangenen Besitzungen entschädigt worden war. Was durch die Einführung der Reformation 1534/35 im württembergischen und badischen Territorium und in der Kurpfalz gelang - die Auflösung und Eingliederung zahlreicher Klosteranlagen - fand am Anfang des 19. Jahrhunderts in weit umfangreicherem Maße statt. Mächtige und reiche Klöster mussten schließen, ihr Vermögen wurde eingezogen und neue Nutzer zogen in die nach dem Auszug der ehemaligen Bewohner leerstehenden Gebäude ein. Kirchengut wurde vereinnahmt, sortiert und verteilt oder zu purem Geldwert „versilbert". Der Aufbruch in eine neue Ordnung zog sich über mehrere Jahrzehnte hinweg.
Die badische Markgrafschaft war einer der großen Gewinner, begünstigt von der politischen Konstellation vor 200 Jahren, der mit der Ausbeute aus Säkularisation und Mediatisierung in der Folge der Französischen Revolution zu einem 900 000 Einwohner zählenden Territorium (also verfünffacht) von 14 000 qkm (bislang knapp 4000) anwuchs und sich als Kurfürstentum feiern lassen durfte, ab 1806 gar als Großherzogtum anerkannt wurde. Die mit der „großen Revolution" und mit dem „Phänomen Napoleon" verbundenen Auseinandersetzungen führten in ganz Europa zu dramatischen Umwälzungen, Einschnitten, Neuordnungen - alles in der Regie Frankreichs und auf Kosten des „Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation", dessen Oberhaupt letztlich, auf ein Ultimatum Napoleons, des neuen Kaisers, hin, am 6. August 1806 die römisch-deutsche Kaiserwürde niederlegte und damit das Ende des ,,Reichs" dokumentierte.
Gegen Ende des Jubiläumsjahres, genau am 12. Dezember, eröffnete der Ministerpräsident das Haus der Geschichte Baden-Württemberg in dem „Kulturmeile" genannten Abschnitt der Konrad-Adenauer-Straße von Stuttgart. Er sprach von einem „herausragenden Geburtagsgeschenk, das sich das Land und alle Bürgerinnen und Bürger zum 50jährigen Jubiläum macht".
Eine reichliche Stunde dauert die Führung durch dieses neue Museum. Es ist vom Architekturbüro Wilford/Schupp nach dem Masterplan des Star-Architekten James Stirling entworfen und bietet eine Dauerausstellung zur Landesgeschichte der letzten 200 Jahre, die ein kleiner Arbeitsstab seit 1987 vorbereitet hat. Auch historisch versierten Besuchern ist die Teilnahme an einer Führung zu empfehlen, weil ihnen sonst einige Ausstellungsgags entgehen. So meint man z. B. im Raum der Revolution 1848/49 auf reparaturanfälligen Bodenplatten zu stehen, bis einem gesagt wird, dass damit der brüchige Untergrund dieser Zeit angedeutet werden soll. Und noch viel mehr ist von einer der 16 Führungskräfte zu erfahren, akademisch gebildeten Fachleuten, die auch über die Konzeption, die Vorzüge und Mängel des Hauses, über die Reaktionen der Zuhörer und vieles
Wichtiges mehr berichten, wenn man vor allem auch an der Wirkung dieser Institution interessiert ist.