943 Geschichte Deutschlands
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Zeugnisse aus schwerer Zeit
(2021)
Vielerorts wurde im Jahre 2020 an die letzte
Phase des Zweiten Weltkrieges (1939 – 1945) und
an die erste Nachkriegszeit erinnert. Gern bin ich
der Einladung von Herrn Prof. Edgar Tritschler
nachgekommen, wenig bekannte Dokumente aus
dem Dekanat Villingen den Lesern dieses Jahrbuchs vorzustellen. Am 17. Mai 1945, bald nach der bedingungslosen Kapitulation der Wehrmacht (8.5.1945),
forderte Conrad Gröber (1872 – 1948, Erzbischof
von Freiburg 1932 – 1947) die Pfarrer der Erzdiözese Freiburg auf, Ereignisse in der Pfarrei vor,
während und nach der Besetzung zu schildern;
weiter sei zu berichten über Schäden an kirchlichen Gebäuden, über die allgemeine Lage und das Verhalten ehemaliger Nationalsozialisten.
Die in die Pflicht Genommenen verfügten über
große Freiheit; sogar zum Tabuthema „Vergewaltigungen“ sollten sie sich äußern!
Auf Schritt und Tritt sieht man sich in Freiburg an die Geschichte erinnert. Das ist wörtlich zu
verstehen. Man tritt auf Kanaldeckel, die das Bild eines Siegels der Stadt schmückt; man stutzt
angesichts von ,Stolpersteinen', die an Verfolgte des NS-Regimes erinnern. Freiburg steht zu
seiner Geschichte - dort mit Stolz, da nur mit Scham und Trauer. Wer nach baulichen Zeugen
der Vergangenheit fragt, hält mit dem Stadtplan, den Berent Schwineköper vor Jahrzehnten
erarbeitet hat, einen zuverlässigen Führer in Händen.[1] Aus der Fülle darin verzeichneter und anderer Erinnerungsmale soll eine Auswahl präsentiert werden.
Das Münster ist ein Ort, an dem Erinnerungen in vielerlei Gestalt sichtbar werden: in der
Architektur, in Skulpturen, Bild- und Glasmalereien, in Wappen, Epitaphien und weiteren Inschriften, in Sonnen- und Räderuhren, in liturgischen Geräten und vielem anderen. Im Münster
wollen Menschen Gottes Wort vernehmen und zu ihm beten; damit verweist es auf Wurzeln der
weltgeschichtlich einzigartigen Erinnerungskultur, die das Abendland, die von Rom geprägte
lateinische Christenheit, ausgebildet hat. Aus diesem Boden ist auch das Verlangen nach sichtbaren Zeichen der Erinnerung gewachsen, wie sie im Folgenden vorgestellt werden.
Die Adelhauser Urbare stammen aus dem Oberrheingebiet, aus dem bemerkenswert
viele Urbare erhalten sind. Anders als die Germanisten haben die Historiker
noch kaum mit der systematischen Aufarbeitung und Auswertung der umfangreichen
und vielseitigen Urbarbestände des südwestdeutschen Sprachraumes begonnen.
Die meisten mittelalterlichen Grundherrschaften hatten Grundbesitz an einer Vielzahl
von Orten. Sollte solcher Streubesitz vor Entfremdung geschützt werden, so
bot sich die Anlage von Güterverzeichnissen an. Da zahlreiche Orte in mehreren
Urbaren erwähnt werden, wäre es reizvoll, bei der Auswertung oberrheinischer
Urbare von den einzelnen Orten auszugehen: Mehrere Urbare werden danach
befragt, welche Besitztümer, welche darauf ruhenden Rechte und Pflichten an
einem Ort bestanden. Eine derartige, vom einzelnen Ort auf die Region sich aus weitende Untersuchung könnte vielleicht sogar quantitative Daten zur Bevölkerungsgeschichte
liefern. Derartige Analysen stoßen sonst für das Mittelalter infolge
der ungünstigen Quellenlage auf kaum zu überwindende Schwierigkeiten.
Trotz der angedeuteten Vorteile einer auf wenige Orte beschränkten Untersuchung
der Urbare verschiedener Grundherrschaften, sollen in diesem Beitrag zwei
Urbare als ganze in den Mittelpunkt gestellt werden.
Am 17. Mai 1945, wenige Tage nach der bedingungslosen Kapitulation der Wehrmacht (08.05.1945), forderte Erzbischof Gröber die Pfarrseelsorger der Erzdiözese auf, Ereignisse in der Pfarrei vor, während und nach der Besetzung sowie etwaige Schäden an kirchlichen Gebäuden zu schildern und über die allgemeine Lage zu berichten. Mit den Stichworten „Plünderungen, Vergewaltigungen, andere Schwierigkeiten“ war den in die Pflicht Genommenen große Freiheit eingeräumt; sogar zu einem Tabuthema durften, sollten sie sich äußern! Das Erzbischöfliche Ordinariat hat die Anordnung mehrfach wiederholt. Bis Ende 1947 sind mehr als tausend Berichte eingegangen, viele schon im Sommer 1945. Das ist bemerkenswert, weil der Briefverkehr nur langsam wieder in Gang kam – wegen kriegsbedingter Zerstörungen und Anordnungen der Besatzungsmächte (der Nordteil der Erzdiözese gehörte zur amerikanischen, der Südteil mit Hohenzollern zur französischen Besatzungszone). Man war erfinderisch bei der Übermittlung von Nachrichten.
„Schlimmer als die Franzosen 1945 in Baden werden es die Russen in Pommern nicht getrieben haben.“ Als Franz Hundsnurscher, von 1967 bis 1998 Leiter des Erzbischöflichen Archivs Freiburg (EAF), in den 1980er-Jahren beiläufig diese Vermutung äußerte, wird er an Akten in seinem Hause gedacht haben. Das harte Urteil sei relativiert. Die „Kriegsberichte“ halten auch fest, dass Franzosen, kaum dass sie eingerollt waren, Deutschen entgegengekommen sind. Um Bewohner zu schonen, hat sich in Nordweil (heute Ortsteil von Kenzingen) einer der Besetzer gar geopfert. Versehentlich hatte er eine Handgranate abgezogen und, statt sie gleich fortzuwerfen, nur laut gewarnt: „Attention! Attention!“ Niemand verstand ihn. Die Granate explodierte, zerriss dem Mann die Hände und verwundete ihn im Gesicht und an der Brust; er starb kurz darauf. Von den Umstehenden trugen zwei Kinder harmlose Schrammen davon. Der Pfarrer hat diesen Teil seines Berichtes abgeschlossen mit „Ehre seinem Andenken, R. i. P.“). Das eingangs gebrachte Wort kam mir in den Sinn, als ich 2017 im EAF an einer Quellensammlung arbeitete. In einem Gespräch mit Dr. Christoph Schmider, dem Leiter des EAF, ergab sich Folgendes: Die „Kriegsberichte“ werden seit Jahrzehnten genutzt; mangels Personal und Geld konnte man sie bislang nicht einem größeren Leserkreis zugänglich machen.
Der »neue Geist« des Nationalsozialismus fiel in Hockenheim auf fruchtbaren Boden. Schon
früh ließen sich Männer und Frauen von den nationalsozialistischen Ideen vereinnahmen,
doch es gab auch Widerstand. Im Zuge der Gleichschaltung gaben alle demokratisch gewählten
Gemeinderäte ihre Mandate zurück. Für die Jugend baute die Stadt ein Jungvolkheim.
Große Sonnenwendfeiern fanden nach germanischer Sitte statt. Ein NS-Zensor wachte über
die Presseberichte der Zeitungen. Im Heldenkeller misshandelten die Ortsnazis Andersdenkende.
Jüdische Familien wurden aufgefordert, Hockenheim zu verlassen. Die bereits publizierten
Werke über das Dritte Reich verharmlosen das Ausmaß der Gräueltaten, welche
Hockenheimer ihren Mitmenschen angetan haben.
Zum Schuljahr 1938/39 hat ein Lehrer des
Durlacher Gymnasiums ein selbst verfaßtes
und in Loseblattform gedrucktes Geschichtsbuch
für seine Klasse vorgelegt und im Unterricht
benutzt. In einem Aktenordner gesammelt,
ist dieses Werk erhalten geblieben
und beweist eine beachtliche Distanz des Autors
zum Geschichtsbild der Nationalsozialisten,
dessen Beachtung von den Schulbehörden
damals zur Pflicht gemacht wurde. Der
Lehrer – es handelte sich um den Stellvertretenden
Direktor Professor Rudolf Imgraben
– hat mit seinem Vorgehen freiheitliche
Gesinnung und Unabhängigkeit des Denkens
bewiesen.
In der kleinen Stadt Zabern, französisch Saverne, im Elsaß mit ihren rund 9000 Einwohnern lagen vor dem ersten Weltkrieg zwei
Bataillone des Infanterieregiments Nr. 99 der reichsdeutsch-preußischen Armee. Zahlreiche Zaberner Einwohner lebten von dem
hier stationierten Militär; dementsprechend deutschfreundlich war auch die öffentliche Meinung am Ort. Zabern war der einzige
Wahlkreis des Reichslandes Elsaß-Lothringen, von dem ein Vertreter einer reichsdeutschen Partei in den Berliner Reichstag entsandt
wurde. Im übrigen wählte das Volk in den ehemals französischen Gebieten, die vom neu gegründeten Deutschen Kaiserreich 1871
annektiert wurden, durchweg eigene Parteien, die der Unzufriedenheit mit der staatsrechtlichen Situation des Landes Ausdruck gaben.
Wirtschaftlich ging es der Region nicht schlecht, sie nahm an der Konjunktur der "Gründerzeit" teil. Viele Bauten aus der damaligen
Zeit zeigen das heute noch, besonders in Straßburg.
Aus Anlass und für die Dauer der Sonderausstellung hat das Schloss sein Gesicht verändert: Vor dem Haupteingang erhebt sich ein haushohes Gerüst aus Eisenstangen, das mit bunter Kunststoff -Folie bespannt ist. Darauf sieht man die gelbliche Schlossfassade in hellem Grau abgebildet, also sozusagen kopiert. In der Mitte zeigt diese Installation eine riesengroße rote Kuckucksuhr mit einer Öffnung aus der ein roter Teppich herausleckt. Der ist für den Ankömmling ausgerollt und leitet ihn zum Eingang, wenn er nicht gerade vom Wind hochgewirbelt wird. Zum Glück ist das Schlossportal aber auch noch über die Rampen rechts und links erreichbar.
Karlsruher Kindheit im Krieg
(2008)
Unser Gedächtnis kann Erinnerungen
nicht völlig unverändert aufbewahren. Es beruht
auf einem komplexen System von Neuronen,
das seine Inhalte immer wieder aufruft,
durcharbeitet und mit neuem Wissen verbindet.
Die frühesten Erinnerungen sind diesem
Vorgang im Laufe des Lebens am häufigsten
unterworfen worden. Da sie aber in der Regel
besonders einprägsam waren, können sie einer
Verwandlung auch besonders gut widerstehen,
zumal dann, wenn es sich um stark emotional
besetzte Erfahrungen gehandelt hat.