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„allemahl eine Herzstärkung“
(2017)
Johann Heinrich Jung-Stilling, geboren 1740 in einem kleinen Dorf im Siegerland, ist in mancherlei Hinsicht eine der wohl eigenartigsten Persönlichkeiten seiner Zeit. Nicht nur sein Aufstieg aus kleinsten Verhältnissen vom Schneiderlehrling zum Universitätsprofessor in Marburg und schließlich zum geistlichen Berater des Markgrafen Karl Friedrich von Baden und geheimen Hofrat in Karlsruhe ist dabei bemerkenswert. Auch seine vielseitigen Tätigkeitsfelder lassen ihn äußerst interessant erscheinen: Nach der Schneiderei und einigen Jahren als Hauslehrer begann er vergleichsweise spät mit einem Medizinstudium in Straßburg und arbeitete zeitlebens nebenberuflich als Augenarzt, wobei er sich in erster Linie als Staroperateur einen Namen machte. Hauptberuflich lehrte er dann jedoch Kameralwissenschaften und Staatswirtschaft, begann daneben allerdings bereits kurz nach Ende seines Studiums 1772 mit einer umfangreichen schriftstellerischen Tätigkeit insbesondere zu religiösen Themen, die ihn als Vertreter des Pietismus berühmt machen sollte und ihm den Ruf eines „Patriarchen der Erweckung“ eintrug, der im Spannungsfeld von Aufklärung und religiös begründetem Antirationalismus seine Positionen suchte.
Am 23. Mai 1958 wurde von der Landessynode die Grundordnung der evangelischen Landeskirche in Baden beschlossen, die mit zahlreichen Veränderungen durch insgesamt 16 Novellierungen größeren und kleineren Ausmaßes Bestand hatte, bis sie im Jahre 2007 völlig neu gefasst worden ist. Zunächst musste es nach dem Zusammenbruch des „Dritten Reiches“ darum gehen, handlungsfähige kirchenleitende Organe zu bilden. Dabei erwies sich die Tatsache als vorteilhaft, dass „das Amt des Landesbischofs und der Oberkirchenrat ordnungsgemäß besetzt waren“. Es fehlte aber die 1934 aufgelöste Landessynode. Seitdem waren außerdem die Befugnisse des erst im Juni 1933 geschaffenen erweiterten Evangelischen Oberkirchenrats auf den Evangelischen Oberkirchenrat übertragen worden.
Simon Sulzer (1508–1585)
(2017)
Als Professor Ehmann sich vor gut sechs Jahren zum ersten Mal mit mir über die möglichen Themen für mein Promotionsprojekt unterhielt, rauchte er noch Pfeife. Es glich daher einem antiken Orakel, als seine Stimme wie aus der Wolke zu mir sprach: „Schauen Sie sich mal diesen Simon Sulzer an. Der könnte was für Sie sein.“ Von Simon Sulzer hatte ich bis dahin zugegebenermaßen nicht viel gehört. Die einschlägigen Lexikonartikel wie auch der Titel des heutigen Vortragsabends verraten immerhin, dass Simon Sulzer, geboren 1508, Basler Antistes und Generalsuperintendent in Südbaden war; Basler Antistes seit 1553 und Generalsuperintendent in Südbaden, genauer im Markgräfer Land, seit der badischen Reformation 1556. Wer tiefer gräbt, findet schnell heraus, dass Sulzer seit Anfang 1554 versuchte, den badischen Markgrafen zur Reformation zu bewegen, dass er 1556 möglicherweise an der Beratung der badischen Kirchenordnung beteiligt war, und dass er anschließend die oberländischen Herrschaften der Markgrafschaft Baden-Durlach (also Rötteln, Badenweiler, Hachberg und Sausenberg) mit Pfarrern und Vikaren aus Basel versorgte. Von zuvor 66 katholischen Geistlichen waren 1556 nur neun zur Reformation übergetreten. Von den 57 vakanten Stellen konnte Sulzer mindestens 32 mit Basler Absolventen besetzen.
Der frühneuzeitliche Kanton Kraichgau der freien Reichsritterschaft war Teil des schwäbischen Ritterkreises, und die wohl nicht zuletzt daher rührende Vorstellung, der Kraichgau sei eine schwäbische Landschaft, ist weit verbreitet. Tatsächlich aber ist der Kraichgau eine fränkische Landschaft. Das alte fränkische Stammesgebiet umfasst sogar nicht allein den Kraichgau, sondern reicht im Süden über das Zabergäu und den Enzgau hinaus bis in den Glemsgau und in den Würmgau. Die Grenze zwischen dem früh- und hochmittelalterlichen Franken und Schwaben verläuft zwischen
Weil der Stadt und Böblingen beziehungsweise zwischen Calw und Herrenberg; die Landschaften südlich dieser Linie sind altes schwäbisches Stammesgebiet, die Landschaften nördlich davon – und mithin auch der Kraichgau – gehören zum Gebiet des alten Franken. Davon zeugt nicht zuletzt die hierzulande noch heute verbreitete südrheinfränkische Mundart. Unser Wissen um die alten Stammesgrenzen beruht indes keineswegs primär auf dialektgeographischen Beobachtungen, die naturgemäß einem ständigen Wandel unterliegen, sondern in allererster Linie beruht es auf uralten kirchlichen Grenzen, nämlich auf den bis in die napoleonische Zeit bestehenden alten Diözesangrenzen. Würmgau, Enzgau, Glemsgau, Zabergau und Murrgau mit Weil der Stadt und Hirsau gehörten demnach zur alten – fränkischen – Diözese Speyer, ebenso wie die südwestliche Hälfte des Kraichgaus. Die nordöstliche Hälfte des Kraichgaus war in älterer Zeit Teil der selbstverständlich ebenfalls fränkischen Diözese Worms.
Wer heute Veranstaltungen an einer evangelisch theologischen Fakultät besucht, wird mit großer Wahrscheinlichkeit viele Frauen antreffen. Immer wieder heißt es, das Pfarramt „verweibliche“. Was heute als Alltag an den theologischen Fakultäten und in unseren Kirchengemeinden betrachtet werden kann, war lange Zeit nicht nur außergewöhnlich, sondern gänzlich unmöglich. Bereits seit mehr als 100 Jahren können zwar Frauen in Deutschland Theologie studieren, aber es ist nicht einmal 50 Jahre her, dass Männer und Frauen in unserer badischen Landeskirche gleichberechtigt als Pfarrerinnen und Pfarrer arbeiten können. Und doch nahm vor 100 Jahren, im August 1917, die erste badische Theologin, Elsbeth Oberbeck, ihren Dienst in der Heidelberger Heiliggeistgemeinde auf.
Der Osnabrücker Kirchenhistoriker Martin H. Jung behandelt 2014 in seinem inzwischen zu einem Standardwerk avancierten Studienbuch „Kirchengeschichte“ auch die Bedeutung von Kirchengeschichte in der Region: „Geschichte hat immer regionale und lokale Bezüge […] häufig kann die große Geschichte gerade an der Lokal- und Regionalgeschichte anschaulich werden. […] Unsere unmittelbare Umgebung ist wie ein aufgeschlagenes Religionsbuch oder ein geöffnetes Archiv.“ Zur „unmittelbaren Umgebung“ von Menschen, die in unserer Landeskirche tätig sind, gehören häufig die Pfarrämter und Dekanate mit ihren teilweise ausführlichen Archiven. In vielen Pfarrämtern findet sich neben der Sammlung der Verhandlungen der Badischen Landessynode meist auch das Gesetzes- und Verordnungsblatt. Beide
Publikationen sind also gut greifbar und bilden über die Jahrzehnte hinweg einen interessanten Schatz zur regionalen Kirchengeschichte Badens.
Unser Gesamtthema ist so vielschichtig, dass es sinnvoll erschien, die einzelnen Aspekte der Bekenntnisfrage unter unterschiedlichen Perspektiven abzuhandeln. Zwei Aspekte sind mir wichtig: Ich möchte meinen Beitrag verstehen allein als historische und theologiegeschichtliche Erinnerungsarbeit zweier Jahrhunderte. Vieles davon ist bekannt, manches vielleicht nicht; ein Mehrwert wird also am ehesten darin bestehen, die Bekenntnisfrage im Zusammenhang dargestellt wahrzunehmen. Dass diese in ständiger Wechselwirkung zur Geschichte einerseits und zur Frage der Bekenntnisverpflichtung, also der Rechtsfrage, andererseits steht, muss auch hier vorausgeschickt werden. Ich beschränke mich aber auf die Übersicht und versuche dabei, alle Wertungen zu unterdrücken.
Als vor etwa einhundertfünfzig Jahren in Baden eine ganze Reihe von evangelischen Kirchengemeinden mit den jeweiligen bürgerlichen Gemeinden Verträge über die Kostenträgerschaft des Organisten- und des Messnerdienstes schloss, entstand ein Vertragstypus, dessen Hintergründe und Zielrichtung heute weitgehend in Vergessenheit geraten sind. Dies ist nicht nur aus Gründen der Rechtsklarheit misslich, zumal die Verträge grundsätzlich noch heute in Geltung stehen, sondern auch aus kirchenhistorischen Gründen: An diesen Verträgen kann die Entwicklung in der organisatorischen Trennung von Staat und Kirche quasi im Mikrokosmos nachvollzogen werden, und zwar an der Schnittstelle von Schule, kirchlicher und bürgerlicher Gemeinde. Außerdem kann an diesen Verträgen der Übergang von der Naturalwirtschaft zur
Finanzwirtschaft im 19. Jahrhundert abgelesen werden.
Historia ecclesiae badensis
(2017)
Die hier vorgestellte Skizze und der folgende Aufbau einer geplanten Darstellung einer badisch-evangelischen Kirchengeschichte beleuchten ein Projekt, das – so Gott will und wir leben – meine akademische Lehrtätigkeit begleiten und bestimmen soll. Ein Teil davon ist bereits in Vorlesungen an der Universität Heidelberg oder auch auch in der Oberrheinischen Sozietät an der Theologischen Fakultät vorgestellt worden. In diesem ersten Überblick, der vor allem methodische Grundentscheidungen veranschaulichen soll, sind alle Hinweise auf Literatur weggelassen worden. Gerne und dankbar nehme ich evtl. Hinweise auf bisher vernachlässigte Aspekte und Perspektiven zur Kenntnis.
Nur wenige Monate, nachdem Martin Luther am 31. Oktober 1517 seine 95 Thesen – geradezu legendär – an die Türen der Schlosskirche zu Wittenberg geheftet und damit seine Kritik an der Praxis des Ablasshandels zum Ausdruck gebracht hatte, begab sich der gelehrte Augustinermönch auf eine anstrengende Reise. Zu Fuß machte er sich am 9. April 1518 auf den über 500 Kilometer weiten Weg, der ihn von Wittenberg über Leipzig, Coburg und Würzburg nach Heidelberg führen sollte. In Würzburg bezog er für zwei Nächte im dortigen Augustinerkloster Quartier und wurde von dem ihm
wohlgesinnten Bischof Lorenz von Bibra empfangen, ehe er am 19. April 1518 im Wagen seiner Ordensbrüder die Reise fortsetzte. Die weitere Strecke folgte der alten Geleitstraße, die durch das Tauber- und Umpfertal nach Boxberg zog, um dann auf der Wasserscheide zwischen Kirnau und Kessach, südlich vorbei an Osterburken, Adelsheim zu erreichen. Von dort ging es durch den Waidachswald und über Oberschefflenz auf dem alten Höhenweg unmittelbar nach Mosbach.