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Die Brücke. – 26 (2011)
(2011)
Die drei Bände der Edition der Investiturprotokolle der Diözese Konstanz aus dem 16. Jahrhundert, die der frühere Archivar der Erzdiözese Freiburg, Dr. Franz Hundsnurscher, erarbeitet und die Dr. Dagmar Kraus im Auftrag der Kommission für geschichtliche Landeskunde in Baden-Württemberg redigiert und mit einer profunden Einleitung, unentbehrlichen Verzeichnissen und — wie ich mich bei der Arbeit mit den Bänden überzeugen konnte — mit einem glänzenden, höchst eingehenden und wohl durchdachten Kommentar sowie einem gerade bei einem solchen Werk unerlässlichen Register versehen hat, sind nicht nur äußerlich ein opus magnum. Wenn man die geschlossene und gut zu handhabende Form der neuen Edition der Investiturprotokolle ansieht, möchte man mit Martin Luther im „Sendbrief vom Dolmetschen“ formulieren: „Lieber / nu es [...] bereit ist / kans ein yeder lesen vnd meistern / Laufft einer ytzt mit den augen durch drey vier bletter vnd stost nicht ein mal an / wird aber nicht georar welche wacken vnd klötze da gelegen sind / da er ytzt vber hin gehet / wie vber ein gehoffelt bret / da wir haben müssen schwitzen vnd vns engsten / ehe den wir solche wacken vnd klötze aus dem wege reümeten / auff das man kündte so fein daher gehen. Es ist gut pflugen / wenn der acker gereinigt ist.“ Die jetzt vorgelegten Bände schließen an die Edition der älteren Konstanzer Investiturprotokolle aus dem 15. Jahrhundert an, die der Archivar und Direktor des Badischen Generallandesarchivs in Karlsruhe, Manfred Krebs, in den Jahren von 1938 bis 1954 im „Freiburger Diözesan-Archiv“ publiziert hat und die noch 1954 zusammengefasst und als eigene umfangreiche Publikation (1047 Seiten Edition und 160 Seiten Register) vorgelegt wurden.
Die Mainzer Erzdiözese war — ähnlich wie ihr Suffragan Konstanz — von enormen Ausmaßen. Sie reichte von der Nahe im Südwesten bis zur Saale im Nordosten, vom südlichen Niedersachsen bis zum Odenwald. Flächenmäßig war zwar die Diözese Konstanz größer, hinsichtlich der Zahl der Pfarreien stand aber das Erzbistum Mainz an erster Stelle. Die Verwaltung des Erzbistums Mainz zeigte im Spätmittelalter stark entwickelte regionale Strukturen, deren Ausprägung wohl auf die Größe der Diözese zurückzuführen ist. Für die geistliche Verwaltung und die Pfründenvergabe waren die Archidiakone und ihre Offiziale zuständig. Wie die Pfründenbesetzung vonstatten ging, welche Instanzen daran beteiligt waren und welche Quellengruppen Auskunft über diese Vorgänge geben können bzw. zur Verfügung stehen, soll exemplarisch für die Mainzer Archidiakonate Fritzlar und Erfurt aufgezeigt werden.
Orden sind ein „Grundmodul der europäischen Geschichte". In Distanz zur Welt lebten die Mönche doch in und von der Welt, mussten sich mit ihr auseinandersetzen und nahmen Einfluss auf sie. Sie unterwarfen sich nach Max Weber als Erste einer durchgängig rational gestalteteten, methodisch durchgeplanten Lebensweise. Sie verwalteten effektiv ihren Besitz, sie übermittelten die Bildung der Antike dem Mittelalter, sie entwickelten strenges wissenschaftliches Denken, sie schufen bewundernswerte Kunstwerke, sie sorgten für Bedürftige. In sich einander ablösenden Gründungwellen stellten sich neue Orden neuen Aufgaben ihrer Zeit. Sie sind folglich nicht nur ein Phänomen der. Kirchengeschichte, sondern ein wichtiges Strukturelement vormoderner Geschichte allgemein und damit ein ebenso wichtiges Objekt der Profangeschichte. Ihre Bedeutung ist gerade in Oberschwaben kaum zu überschätzen, da etwa ein Drittel dieser Landschaft von Äbten regierte Klosterterritorien waren. Aber es gab nicht nur die großen Prälatenklöster. Von den etwa 50 Männerklöstern der Region waren knapp die Hälfte Konvente der Mönchsorden im engeren Sinne und der regulierten Chorherren, die andere Hälfte Konvente der Bettelorden.
Dem am 9. Februar 1601 in Chur vom Domkapitel neu gewählten Churer Bischof Johann V. Flugi von Aspermont (1601-1627) stand nicht nur ein schwieriges, in persönlicher Hinsicht wiederholt leidgeprüftes Episkopat bevor, sondern der Beginn des 17. Jahrhunderts war auch eine der turbulentesten Epochen in der über 1550-jährigen Geschichte des Bistums Chur. Der Freistaat der Gemeinen Drei Bünde, welcher zum Kernterritorium des kirchlichen Sprengels zählte, lag damals im Spannungsfeld der europäischen Großmächte. Der verhängnisvolle Zankapfel „Freier Durchpass“ für französisch-venezianische oder spanisch-mailändische Truppen über die Alpen markiert den Ausgangspunkt zu einem bald offen ausbrechenden Parteienkampf in Bünden, der sich zu einem konfessionspolitischen Flächenbrand ausweiten sollte. Er stellt den Beginn der so genannten „Bündner Wirren“ dar und belastete beinahe die gesamte Regierungszeit Johanns V. Wegen der auf willkürlich zusammengerufenen Strafgerichten gefällten Schandurteile, die mitunter direkt gegen Leib und Leben des ersten tridentinischen Churer Reformbischofs gerichtet waren, musste Johann V. bis 1610 größtenteils von seinen österreichischen Bistumsteilen Vorarlberg (Stadt Feldkirch) oder Vinschgau (Schloss Fürstenburg) aus die kirchlichen Geschicke leiten. Am 4. Mai 1610 erhielt er von der Stadt Chur die Zusicherung des freien Geleits für seine Rückkehr in die Bischofsstadt, wo er — auf dem Ritt von Feldkirch her über die Luzisteig nur knapp einen Attentat entkommen — im November 1610 eintraf. In diese Zeit der Wirren fällt im Februar/März 1611 — also genau vor 400 Jahren — der Anfang der seither beinahe lückenlosen Führung der Churer „libri ordinandorum“, der Weihebücher, auch „protocolli ordinandorum“ genannt, in welchen man neben den herkömmlichen Einträgen der Kandidaten mit Zulassung zu den niederen und höheren Weihen ab dem Episkopat Johanns VI. Flugi von Aspermont (1636-1661), einem Neffen des oben Genannten, auch Einträge zu vollzogenen Kirchweihen und Investituren findet.
Für das Bistum Würzburg enthielten die so genannten „libri collationum“ Informationen über die verschiedenen Pfarrpfründen, Kaplaneibenefizien und Messstiftungen sowie deren Inhaber und Kollatoren im 16. Jahrhundert. Diese Quellen sind jedoch nicht erhalten, da sie mit großen Teilen der übrigen Bestände des Bistumsarchivs beim Bombenangriff auf die Stadt am 16. März 1945 verbrannten. Über den Aufbau und Inhalt der Verleihungsbücher geben heute im Wesentlichen — neben wenigen weiteren Studien — zwei Werke Auskunft, deren Autoren die Handschriften noch vor ihrem Verlust für ihre Arbeiten heranziehen konnten und Einzelheiten daraus überlieferten. Der frühere Würzburger Bistumsarchivar Franz Josef Bendel beschrieb in seinen Veröffentlichungen drei „libri collationum“: Einen ältesten Band (I) von ca. 1543, einen jüngeren (II) von ca. 1556 und einen weiteren (III) von ca. 1594. In größerem Umfang sind lediglich aus dem ältesten der drei „libri“ Daten erhalten, aus dem mittleren gibt es nur einen überlieferten Abschnitt, aus dem jüngeren dagegen gar keine Passagen, die sich sicher auf ihn zurückführen ließen.
Zu Beginn möchte ich Sie auf eine Zeitreise mitnehmen. Wir können dazu in diesem Raum bleiben, denn das Geschehen, an das ich nun erinnere, hat aller Wahrscheinlichkeit nach genau in diesem Saal, in der Aula der Universität, auf jeden Fall aber in diesem Gebäude stattgefunden. Auch wenn Sie also sitzen bleiben dürfen, müssen Sie doch gedanklich 78 Jahre zurückgehen, genauer in das Sommersemester 1933. Die Fachschaft der Theologischen Fakultät hat zu einem Vortrag eingeladen. Der Hörsaal, in dem der Vortrag stattfindet, ist bis auf den letzten Platz gefüllt. Nicht nur Studierende und Professoren der Theologischen Fakultät sind in großer Zahl erschienen, auch Hörer anderer Fakultäten und etliche Menschen aus der Stadt Freiburg sind gekommen.
Ehrendes Gedenken anlässlich seines 450. Todesjahres veranlasst diese Darstellung seines Lebens, seines Wirkens, seiner überzeugenden, ja gewinnenden Persönlichkeit anhand überlieferter schriftlicher Zeugnisse über ihn und von ihm. Diese ihrerseits haben 1558 auch dokumentarischen Ausdruck gefunden in den Darstellungen an den Chorwänden des Reichenauer Münsters.
Gratilla in Gremmelsbach
(2011)
Auch die Pfarrei Gremmelsbach, heute mit der Pfarrei Nußbach Teil der Seelsorgeeinheit Triberg, kann auf eine lange, bewegte Geschichte zurückblicken. Im Mittelalter gehörte sie zur Pfarrei Schonach, die erstmals 1275 im „Liber decimationis“ erwähnt wird. Zu ihrr zählten auch Triberg und Niederwasser. Quellen, die Genaueres über Gründer und Gründungsjahr aussagen, gibt es bis dato nicht. Triberg wurde 1564 von der Mutterkirche Schonach getrennt. Nußbach und Gremmelsbach bildeten zusammen 1618 eine eigene Pfarrei, Sitz des Pfarrers war Nußbach. Seit 1683 diente die Hohnenkapelle in Nußbach zur Abkürzung des Kirchwegs für die Gremmelsbacher; der Pfarrer kam ihnen ein Stück weit entgegen. Eine Hofverordnung (Wien) erhob 1786 Gremmelsbach zur „Lokalkaplanei“. 1788 wurde Gremmelsbach rechtlich eine eigene Kaplanei, aber erst drei Jahre später zog der Lokalkaplan auf, Michael Albrecht aus Waldshut.
Das im 18. Jahrhundert in Bruchsal befindliche Schriftgut des Bistums und Hochstifts Speyer wurde nach der 1793 erforderlich gewordenen Flüchtung der Registraturen der in Speyer verbliebenen Verwaltungsstellen mit diesem vereinigt und nachfolgend auf das Generallandesarchiv Karlsruhe, das 1817 neu gegründete Landesarchiv Speyer, das Erzbischöfliche Archiv Freiburg und das Archiv des Bistums Speyer aufgeteilt.
Bedeutung und Auswertungsmöglichkeiten der Konstanzer Investiturprotokolle des 16. Jahrhunderts
(2011)
Ende Juni 2010 konnte nach Abschluss der Redaktions- und Registerarbeiten der Kommentarband zu der schon 2008 im Druck erschienenen, von Franz Hundsnurscher bearbeiteten Regestenedition der Investiturprotokolle der Diözese Konstanz aus dem 16. Jahrhundert ausgeliefert werden. Damit liegt eine fast das gesamte 16. Jahrhundert abdeckende historische Quelle vor, die das Zeitalter der Reformation und Konfessinalisierung aus der verwaltungstechnisch-fiskalischen Perspektive der Konstanzer Kurie beleuchtet. Die Investiturprotokolle des Bistums Konstanz, eines der größten Bistümer nördlich der Alpen, und damit eine bis ins 16. Jahrhundert und darüber hinaus zentrale Instanz für Teile des heutigen Baden Württemberg, der Schweiz und des österreichischen Bundeslandes Vorarlberg, sind eine wichtige Quelle für unterschiedlichste Fragestellungen. Das in den Protokollen dokumentierte bischöfliche Recht zur Investitur der von den Patronatsherrschaften präsentierten Kleriker lässt sich auf die Trennung geistlicher und weltlicher Anteile an der Pfründenbesetzung in der Folge des Investiturstreits zurückführen. Die Anlage von Investiturprotokollen seit dem Beginn des 15. Jahrhunderts steht in Zusammenhang mit Verwaltungsrationalisierungen. Wichtige quellenkritische Aspekte ergeben sich durch die Untersuchung der verschiedenen Schritte des Pfründenbesetzungsvorgangs und der dabei entstandenen Schriftdokumente. Wie die Quelle prosopografisch genutzt werden kann, soll exemplarisch anhand von Belegen für Kirchenmusiker des 16. Jahrhunderts gezeigt werden.
Das Motiv des Totentanzes in Form einer Bilderserie hat sich seit dem späten 13. Jahrhundert, ausgehend von Frankreich, nirgends so sehr verbreitet wie im deutschen Südwesten, im Elsass und in der Nordschweiz. Als Vorstufe des Motivs gilt die Legende von den drei Toten und den drei Lebenden. Eine frühe Darstellung dieser bildlichen Darstellung des „Memento mori“ besitzt die Pauluskirche in Badenweiler. Die Fresken an der nördlichen Chorwand der Kirche stammen aus der Zeit nach 1368, als sich die Grafen von Freiburg nach dem Übergang der Stadtherrschaft an Habsburg nach Badenweiler zurückzogen. Sie wurden nach dem Abriss der gotischen Vorgängerkirche aus deren Vorhalle an den jetzigen Standort versetzt. Vermutlich handelt es sich bei der Badenweiler Bilderserie um das älteste Zeugnis dieses Motivs auf deutschem Boden. Die wohl bekannteste Darstellung des eigentlichen Totentanzmotivs wurde dann um 1460 an der Friedhofsmauer des Basler Dominikanerklosters ausgeführt, vielleicht von einem Mönch des Predigerkonvents. Hans Georg Wehrens hat neben 15 Beispielen der Legende von den drei Lebenden und Toten 51 Totentanzdarstellungen im alemannischen Sprachraum nachgewiesen. Der „Freiburger Totentanz“ gehört zu den kunstgeschichtlich höchst seltenen Totentanzbilderserien aus der Rokokozeit. Er befindet sich in der Vorhalle der Michaelskapelle im Alten Friedhof der Stadt.
Der frühere Bundespräsident Richard von Weizsäcker sagte einmal: „Wer aber vor der Vergangenheit die Augen verschließt, wird blind für die Gegenwart.“ In diesen Tagen, genau am 1. November 2010, dem Fest Allerheiligen, sind es 40 Jahre her, seit es die „Freiburger Domsingknaben“ gibt. So dürfen wir dieses Jubiläum als eine Art von „Erntedankfest“ dieser Institution feiern. Denn am Ende mancher Abschnitte unseres Lebens erscheint es angebracht, über wichtige Zeitfenster nachzudenken
und in Betreff auf die eingebrachte Ernte Bilanz zu ziehen, um sich für zukünftige Wachstums- und Erfolgsphasen zu rüsten. Bei dem Rückblick auf die vergangenen vierzig Jahre, um den mich der jetzige Domkapellmeister freundlich ersucht hat, kann es sich hier wohl bestenfalls um einen Überblick handeln. Einige Streiflichter sollen etwas Einblick in die Gründer- und Anfangszeit der Domsingknaben geben, die ich knapp 33 Jahre lang, vom 1. November 1970 bis zur Stabübergabe an meinen Nachfolger Boris Böhmann am 12. Januar 2003, mit viel Freude leiten durfte.
Im Frühjahr 1421 musste die Pfarrgemeinde im oberschwäbischen Neuburg, Dekanat Munderkingen, für geraume Zeit ohne Seelsorger auskommen, da ihr bisheriger Pfarrer nicht mehr zur Verfügung stand. Ob dieser an einen anderen Ort gezogen oder gestorben war, ist heute unbekannt. Nachdem die Pfarrei also vakant zu werden drohte, stand fest, dass umgehend ein neuer Geistlicher nach Neuburg kommten musste. Bis Mitte Mai waren offenbar bereits Verhandlungen geführt worden, denn am 16. des Monats erschien der Kleriker Wilhelm Gabler vor dem Konstanzer Bischof mit einem Schreiben, in welchem ihn Herzog Friedrich von Österreich auf die Neuburger Pfarrkirche präsentierte. Das bischöfliche Generalvikariat nahm die Präsentationsurkunde entgegen und ordnete an, dass der Kandidat der Neuburger Gemeinde ordnungsgemäß bekannt gegeben werden solle, damit eventuelle Einsprüche gegen seine Kandidatur vorgebracht werden könnten. Am 18. Juni, dem Ende der Einredefrist, erschienen sowohl Wilhelm Gabler als auch der Vertreter des Priesters Eberhard von Hörnlingen vor dem Konstanzer Generalvikar. Eberhard konnte nämlich ebenfalls eine Präsentation auf die Neuburger Pfarrkirche vorweisen, die von Anna von Braunschweig, der Gemahlin Herzog Friedrichs von Österreich, ausgestellt worden war. Nachdem nun zwei Kleriker Anwartschaften auf dieselbe Pfründe besaßen, musste an der Konstanzer Kurie geprüft werden, wer von beiden der rechtmäßige Kandidat war und welcher von ihnen die Pfründe erhalten sollte.
In Baden-Württemberg wird der Pechnelke (Lychnis viscaria L.) von Seiten des Naturschutzes starke Aufmerksamkeit entgegengebracht. Die Art steht auf der Roten Liste (BREUNIG & DEMUTH 1999, landesweit RL 3 (gefährdet), im Odenwald RL 3, sonst meist RL 2 (stark gefährdet), mit ausführlichen Erläuterungen zur Art). Sie ist im Artenschutzprogramm für besonders gefährdete Pflanzenarten, im Aktionsplan Biologische Vielfalt und im 111 Arten-Korb der Naturschutzverwaltung vertreten (www.naturschutz.landbw.de). Obwohl die Pechnelke fast landesweit verbreitet ist, bestehen nur noch am Rande des Odenwalds dichtere Vorkommen; sie muss als vom Aussterben bedroht angesehen werden. Der landesweite Bestand wird auf wenige 1.000 Individuen geschätzt, nur wenige Vorkommen befinden sich in Schutzgebieten. Alle Vorkommen der hauptsächlich in Saumgesellschaften wachsenden Art können durch Veränderungen der Habitate leicht vernichtet werden. Als wirksamste Maßnahme wird der Biotopschutz angegeben (SE YBOLD 1993).
Die thermophile Lauchschrecke (Mecostethus parapleurus) hat eine euroasiatische Verbreitung. In Baden-Württemberg liegt ihr Verbreitungsschwerpunkt im Rheintal und am Bodensee (zwischen 100 und 500 m ü. NN). Im Jahr 2010 stellten wir innerhalb weniger Tage 14 Fundorte im Hochschwarzwald und einen im Bereich der Baar-Alb fest. Weitere Vorkommen konnten in der nördlichen Oberrheinniederung und im Kraichgau entdeckt werden. Eine kleine Sensation waren die Funde mehrerer Individuen dieser Ödlandschrecke in über 1000 m Höhe am Feldberg (1416 m ü. NN), am Feldsee (1126 und 1144 m ü. NN), beim Schauinsland (Hofsgrund, 1096 m ü. NN) und im Hotzenwald (Ibach, 1015 m ü. NN). Für die relativ
schnelle Ausbreitung sind ihr gutes Flugvermögen, die Aufwinde in den Tälern, die großfächigen und zusammenhängenden Schwarzwaldwiesen und der globale Klimawandel sicher hilfreich gewesen.
Das Naturschutzgebiet „Alter Flugplatz Karlsruhe“ liegt im Norden des Karlsruher Stadtgebietes auf Flugsandflächen und einer Binnendüne. Aufgrund der sandigen, nährstoffarmen und trockenen Böden, durch eine seit Jahrzehnten durchgeführte extensive Nutzung, aufgrund der Großflächigkeit sowie der Umzäunung des Geländes entwickelte sich auf dem 70 ha großen Areal neben dem Vorkommen gefährdeter Pflanzenarten und besonders seltener Pflanzengesellschaften ein wertvoller
Lebensraum für viele auf Sandstandorte spezialisierte Insekten- und Spinnenarten sowie für eine große Zahl an Vogelarten, die das Gebiet als Brut- und Nahrungshabitat nutzen. Die Schutzwürdigkeit wird auch durch die bereits bestehenden Schutzkategorien (Natura 2000-Gebiet, § 32-Biotope) verdeutlicht. Die insbesondere für städtische Gebiete hohe Vielfalt der Fauna und Flora des Geländes werden durch die Unterschutzstellung bewahrt, seine Lebensräume gepflegt und entwickelt.
In der vorliegenden Untersuchung werden 158 Arten aus den Vogesen dokumentiert, davon 156 im Département Haut-Rhin. Die seltenen Arten Spilomyia manicata und Platycheirus perpallidus wurden nur im Département Vosges nachgewiesen. Hammerschmidtia ferruginea wurde wie viele andere äußerst seltene Arten erstmals in den Vogesen gefunden, Platycheirus transfugus war bisher nicht aus Frankreich bekannt. Viele an bestimmte Pfanzenarten gebundene phytophage Arten der Gattung Cheilosia und Merodon entwickeln sich in den untersuchten Lebensräumen. Als Glazialrelikte und nur in höheren Lagen vorkommend wurden Arctophila bombiformis, Cheilosia faucis, Cheilosia himantopus, Cheilosia rhynchops, Eristalis jugorum, Eristalis rupium, Sphaerophoria bankowskae und Xylota jakutorum gefunden. In den Vogesen kommt im Gegensatz zum Schwarzwald Merodon favus als westeuropäische und an Wilde Narzisse (Narcissus pseudonarcissus) gebundene Art vor, xerothermophile Arten wie Merodon avidus und Merodon nigritarsis sind teils häufig. Die Ergebnisse ergänzen die bisherigen Kenntnisse der Artenvielfalt der Schwebfliegen in den Vogesen.
Carolinea. – 69 (2011)
(2011)
Jakob Ernst Leutwein, Pfarrer in Unterschüpf (1730-1763), überliefert in seiner spätestens 1755 abgeschlossenen „Schüpfer Kirchenhistorie“ das während einer Reise geführte Gespräch. Seinem Begleiter erzählte der Chronist, dass an der Spitze der
Geistlichkeit der 1632 erloschenen Herren von Rosenberg ein Superintendent gestanden hatte. Der Gesprächspartner kommentierte, es wäre aliquid inauditi, also völlig ausgeschlossen, dass adelige Herren einen Superintendenten hätten, ja es fehle ihnen dazu auch das Recht. In beiden Haltungen drückt sich unmissverständlich das Besondere dieser reichsritterschaftlichen Superintendentur aus – hier Leutweins Bewunderung für diese außergewöhnliche Einrichtung; dort der andere, die Existenz einer solchen Einrichtung bestreitend, damit ex negativo das Außergewöhnliche, ja Singuläre der Superintendentur in einer Adelsherrschaft betonend. Was hat es mit diesem Amt auf sich? Die Reformation bildete, wie allgemein bekannt, einen (nicht nur) religiösen Fundamentalprozess. Weit weniger ist im landläufigen Bewusstsein verankert, dass sich daran u.a. eine ganze Reihe rechtlicher Probleme anschloss.
Melanchthon 2010
(2011)
Wir sind zum wechselseitigen Gespräch geboren – so hieß das Motto für das Melanchthonjubiläum 1997, ein kraftvoller Satz aus Melanchthons Rede Über die notwendige Verbindung der Schulen mit dem Amt des Evangeliums, der es seit dem
Jubiläum zum 500. Geburtstag zu einer erstaunlichen Verbreitung gebracht hat. 1997 wurde das Motto in einer Auflage von vier Millionen auf dem Revers der Jubiläumsmünze (in Kurzform: Zum Gespräch geboren) ganz handfest unter das Volk gebracht. Auch 2010 behielt dieses Motto in Gottesdiensten, Veranstaltungen, Zeitungsartikeln, Publikationen etc. seine Aussagekraft. So begann der Rundfunkgottesdienst des Deutschlandfunks in der Konstantin-Basilika in Trier zur Eröffnung des Melanchthonjahres am Reformationstag 2010 mit einer Dialogansprache: Wir sind zum wechselseitigen Gespräch geboren. So hat Philipp Melanchthon das gesagt, immer wieder. Das war sein Lebensmotto. Dass der Wahlspruch Melanchthons nach Römer 8, 31 vielmehr lautet: Ist Gott für uns, wer mag wider uns sein, gerät zunehmend in Vergessenheit und scheint offenkundig in der zunehmend säkularisierten Welt immer weniger „anschlussfähig“ zu sein, so dass die Einladung, die Bereitschaft und die Fähigkeit zum Gespräch sich immer mehr zur Signatur Melanchthons ausprägen. 1997 entfaltete sich das Jubiläum in vier thematischen Facetten, nämlich ‚Bildung‘, ‚Ökumene‘, ‚Politik‘ und ‚Europa‘. Mit der Überschrift des Jahres 2010 Reformation und Bildung wurde der Fokus eingeengt, zugleich aber auch die Möglichkeit eröffnet, das Melanchthonjahr 2010 in die Lutherdekade zu integrieren und mit einem historischen und zugleich aktuellen Proprium zu profilieren.
Am Anfang des 20. Jahrhunderts sah sich die Evangelische Landeskirche in Baden mehrfach veranlasst, ihre Pfarreien neu zu gliedern. Filialgemeinden und selbständige Gemeinden wurden aus bestehenden Kirchspielen herausgelöst. Als tiefere Haupttriebkraft wirkte dabei das Bevölkerungswachstum. Weitere Faktoren und besondere Wirkungen konnten in dem häufig komplexen Geschehen verbunden sein. Im Folgenden soll nicht die Verselbständigung eines bisherigen Gemeindeteiles sondern das tatsächliche Ergebnis für andere Nebenorte im Mittelpunkt stehen. So ging es in der
überdehnten altbadischen Pfarrei Schopfheim nicht nur um ein stark gewachsenes benachbartes Dorf, sondern gleichzeitig um das kirchliche Schicksal entfernterer Gemeindeteile. Die entsprechende Neuordnung liegt inzwischen 100 Jahre zurück. Am 1. Januar des Jahres 2011 jährte es sich zum hundertsten Male, dass die evangelischen Gemeindemitglieder in Hausen im Wiesental und in Raitbach (einschließlich Sattelhof und Schweigmatt) zu einer Kirchengemeinde vereinigt wurden. Von Hausen aus gesehen erscheint diese Vereinigung als sehr naheliegend. Hausen und Raitbach haben eine längere gemeinsame Gemarkungsgrenze in der Talaue der Wiese. Die Geographie rät gewissermaßen zur Verbindung beider Gebiete als einer guten Möglichkeit. So dachte ich auch, als ich Ende der 70er Jahre des 20.Jahrhunderts in Hausen zugezogen war und den Namen „Kirchengemeinde Hausen-Raitbach“ als eine sichere Tatsache aufnahm.
Der Professor der Staatswirtschaft Dr. med. (Straßburg 1772) und Dr. phil. h.c. (Heidelberg 1786) Johann Heinrich Jung-Stilling (1740–1817) hat sich immer wieder zu geistigen, politischen und sozialen Entwicklungen seiner Zeit geäußert, schon als
Professor in Kaiserslautern (1778–1784) und in Marburg (1787–1803), besonders aber seitdem er von 1794 an und seit 1803 nur noch mehr und mehr ein vielgelesener, zuerst in Heidelberg, dann seit 1806 in Karlsruhe lebender Erbauungsschriftsteller der Erweckung wurde. 1814 schrieb er selbst rückblickend von seiner Vergleichung der Zeitgeschichte. Mit der Frage nach Jung-Stillings Verhältnis zur Aufklärung und insbesondere zum Revolutionsgeist seiner Zeit hat sich eine beachtliche Zahl von Forschern befasst. Dennoch wurden von diesen nicht alle infrage kommenden Quellen in ausreichender Weise berücksichtigt.
Johann Ludwig Ewalds Leben und Wirken dürfen als vergleichsweise gut erforscht gelten. Ähnliches gilt für Carl Ullmann, wenngleich wir über zahlreiche Aspekte von dessen Œuvre noch nicht genug wissen. In vorliegendem Beitrag wird ein bislang
unbekannter Brief Ewalds an Ullmann mitgeteilt, der aufschlußreich nicht nur bezüglich seines Adressaten, sondern auch hinsichtlich seines Verfassers ist. Doch zuvor seien der Schreiber des Briefes und sein Adressat knapp vorgestellt.
Fordern manche Kirchenhistoriker im Kontext der Europäisierung und Globalisierung eine Kirchengeschichtsdarstellung als
Christentumsgeschichte, die die großen Zusammenhänge bedenkt und darstellt, so erinnern andere daran, dass räumliche und konfessionelle Begrenzungen, also Darstellungen im territorialen und nationalen Rahmen oder konfessionsgeschichtliche Untersuchungen ebenso wie biographische Einzeldarstellungen weiterhin sinnvoll bleiben. Möglicherweise werden in enger gefassten Darstellungen zwar nicht alle großen Zusammenhänge benannt werden können. Für diesen Preis erwirbt man aber eine anders nicht mögliche Tiefenschärfe. Enger gefasste Untersuchungen sind dann besonders wertvoll, wenn gute Gründe für die Annahme vorliegen, dass es sich um zentrale, repräsentative oder exemplarische „Gegenstände“ handelt, selbst wenn uns hier auch Extraordinäres begegnet. Für die badische Kirchengeschichte etwa ist mit guten Gründen anzunehmen, dass sich die frühere Residenz Durlach für eine solche Forschung als lohnend erweisen könnte. Eine Durlacher Kirchengeschichte könnte ein Spiegel für die badische Kirchengeschichte sein. Es wäre gewiss ein lohnendes Unternehmen, einmal ein solches Unternehmen nicht nur auf Grund der Literatur, sondern nochmals neu mit den Akten und Dokumenten der Gemeinde, der Landeskirche und des Generallandesarchivs zu schreiben.
Am 23. Dezember 1572 wurde Johannes Sylvanus vor dem Heidelberger Rathaus enthauptet. Begründet wurde seine Hinrichtung mit seiner Hinwendung zum Antitrinitarismus, die sich in einem – leider nicht überlieferten – antitrinitarischen Bekenntnismanuskript zeigte. Aufgrund vorheriger Vorkommnisse in Heidelberg und der Reformationsgeschichte der Kurpfalz ist es sinnvoll, die Hinrichtung des Sylvanus einer genaueren Betrachtung zu unterziehen. Hierbei ist einerseits die reichsrechtliche Stellung der Kurpfalz, die aufgrund ihres Bekenntnisses „das erste deutsche evangelisch-reformierte Territorium“ war, bedeutsam. Andererseits ist das Schicksal Sylvans für eine kirchenpolitische Frage der Reformationszeit bedeutsam, nämlich die Frage der Ordnung der Kirche und der Reinhaltung der Gemeinde, der sogenannten Kirchenzucht. Daher sollen in diesem Aufsatz die Vorgänge um die Hinrichtung des Sylvanus unter reichs- und religionspolitischen Gesichtspunkten betrachtet werden. Es wird aufgezeigt, dass die Motive für die Hinrichtung des Sylvanus nicht nur in
seiner Häresie des antitrinitarischen Bekenntnisses zu finden sind, sondern ein Cluster verschiedener Interessen diverser Personen beziehungsweise unterschiedlicher Personengruppen zu Grunde liegt. Der Fokus dieses Aufsatzes wird dabei auf die Vorgänge um die Kirchenzucht gerichtet. Die ebenfalls bedeutsame Entwicklung der Reformation in der Kurpfalz wird nur schlaglichtartig beleuchtet. Der Sprachgebrauch bei Beschreibungen von Lehrmeinungen, besonders bis zur Ausbildung offensichtlicher Glaubensgruppen, orientiert sich an der jeweiligen Belegliteratur, so dass der attributive Gebrauch der Begriffe nicht definitorisch gesichert ist.
In keinem Territorium des Heiligen Römischen Reiches waren Politik und Religion derart eng miteinander verknüpft wie in der Kurpfalz, und kein anderes Territorium litt bis zum Ende des Alten Reiches in ähnlichem Maße unter Konfessionskonflikten wie die Kurpfalz. Dieses Spannungsverhältnis zwischen Religion und Politik wie zwischen den verschiedenen Konfessionen prägte den Alltag der Menschen in der Region, formte auch Mentalitäten, bestimmte die Erfahrung der Lebenswirklichkeit und ihrer Auswirkungen. Ein Gradmesser der Empfindungen einer Zeit und ihrer
Reaktionen auf die Zumutungen der Gegenwart können auch Gesangbücher und Kirchenlieder sein, zumal in Krisen- und Konfliktsituationen. Gesangbuch und Kirchenlied werden damit zur historischen Quelle. Für die Fragestellung des Historikers
ist das Gesangbuch daher zunächst einmal Ausgangspunkt eines weiter gehenden Erkenntnisinteresses, so etwa beim Blick auf die konfessionellen oder politischen Verhältnisse einer Zeit und einer Region. Voraussetzungen und Auswirkungen der konfessionellen Spannungen und ihr Niederschlag bzw. ihre Transformation im Gesangbuch der Kurpfalz im Zeitalter der
Aufklärung sollen im Folgenden näher untersucht werden. Den zeitlichen Rahmen – und damit die Pole – markieren der Konflikt um die Heiliggeistkirche in Heidelberg 1718/20 und die Union der Reformierten und Lutheraner, nunmehr im Großherzogtum Baden, im Jahre 1821.
Die Gesangbuchsammlung der Landeskirchlichen Bibliothek in Karlsruhe ist mit ihren inzwischen ca. 4.900 Exemplaren eine der großen Sammlungen in Deutschland, so dass es angebracht erscheint, sie näher vorzustellen und ihre Besonderheiten zu
beschreiben. Möglich wird dies u. a. dadurch, dass die Sammlung vergleichsweise gut erschlossen ist, zum einen, weil die „echten“ Gesangbücher in der Bibliographie der deutschsprachigen Gesangbücher der Universität Mainz erfasst sind (und werden), zum anderen da die Katalogisierung im Südwestdeutschen Bibliotheksverbund zügig voranschreitet. Der der Sammlung zugrunde gelegte Gesangbuchbegriff ist nicht eng zu fassen. So enthält die Sammlung neben den „echten“ Gesangbüchern für den gottesdienstlichen Gebrauch auch Schulgesangbücher, Gesang- und Liederbücher für kirchliche
Gruppen und für spezielle Funktionen, Choral- und Melodienbücher sowie geistliche Liederhefte. In geringem Umfang befinden sich in der Sammlung auch weltliche Gesang- und Liederbücher. Andererseits sind nicht nur Choralbücher oder geistliche Liedersammlungen auch anderen Abteilungen des Bibliotheksbestandes zugeordnet. Die Karlsruher Gesangbuchsammlung ist eine überregional angelegte Sammlung, die natürlich bestrebt ist, die „badischen“ (bezogen auf das heutige Gebiet der badischen Landeskirche) Gesangbücher möglichst vollständig zu erfassen, die übrigen „Gesangbuchlandschaften“ aber auch in einer repräsentativen Auswahl widerzuspiegeln. Auch wenn wir es mit einer Sammlung einer evangelischen Bibliothek zu tun haben, ist der Sammelauftrag nicht konfessionell begrenzt, sondern berücksichtigt prinzipiell alle Konfessionen und auch andere Religionen. Auch unter geografischer, politischer und kultureller Perspektive überschreitet die Sammlung Grenzen, so dass nicht nur deutschsprachige Gesangbücher in ihr enthalten sind, sondern prinzipiell Gesangbücher aus allen Sprachen und Kulturen in ihr aufgenommen sein sollen.
1821 fanden sich die Reformierte und die Lutherische Kirche im Großherzogtum Baden zu einer Kirchenunion zusammen. Infolge der Gleichberechtigung von Confessio Augustana, Luthers Kleinem Katechismus und Heidelberger Katechismus
spricht man von der einzigen Bekenntnisunion in Deutschland. Erst fünfzehn Jahre später, 1836, wurden ein neues Gesangbuch und eine neue Agende eingeführt; da kommen Fragen auf: Wie konnte man unter diesen Voraussetzungen Gottesdienst feiern? – Oder blieb doch alles beim Alten? – Warum kam es nicht früher zu einer einheitlichen Regelung des Gottesdienstes? – War man sich doch nicht so einig, wie es schien? – Hatten sich zwar ausgeklügelte Formulierungen gefunden – der Passus zur Abendmahlsfrage in der Unionsurkunde ist wirklich genial – und schaffte man es dann nicht, die Theorie in die Praxis umzusetzen? Noch heute kann man in der Badischen Landeskirche erleben, dass Menschen, sogar aus der Pfarrerschaft, aufgrund ihrer konfessionell geprägten Herkunft – so begründeten sie es zumindest – nicht an einem Gottesdienst teilnehmen zu können glauben! Es war ein Gottesdienst, in dem Psalmen nach Art der klassischen Psalmodie gesungen wurden. Das sei lutherisch; wer aus der reformierten Tradition komme, könne an solch einem Gottesdienst nicht teilnehmen. – Sollten die Konfessionsunterschiede nach mehr als 180 Jahren immer noch nicht überwunden sein? Sollte das
konfessionelle Erbe immer noch von einer Teilnahme am Gottesdienst abhalten? Was war, was ist das für eine unierte Kirche, fragte ich mich. Dass Mentalitäten hartnäckig sein können, ist mir bewusst. Aber: Hätte es unter solchen Voraussetzungen, wie eben im Beispiel geschildert, überhaupt zu einer Union kommen können? Oder gab es seitdem Gegenbewegungen, die sich nicht auf konfessionelle Unterschiede vor der Union, sondern auf „andere“ Einflüsse zurückführen lassen?
Es liegt in der Natur einer religiösen Gemeinschaft, daß sie nicht blos von Behörden regiert werden will, sondern daß sie durch das Zusammenwirken aller ihrer religiös belebten Glieder auch ihre äußern Ordnungen geregelt haben will, und daß sie darnach strebt, alle ihre Mitglieder auch zu religiös belebten zu machen, und sie als solche ansehen und behandeln zu dürfen. Daß die reine Konsistorialverfassung auf die Dauer für die Kirche nicht ausreicht, liegt eben so sehr in dem Wesen einer religiösen Gemeinschaft, als es durch die geschichtlichen Ereignisse herbeigeführt wurde. Diese für die damalige Zeit bemerkenswerten Sätze finden sich in der Begründung zum Entwurf des Evangelischen Oberkirchenrates für eine neue Kirchenverfassung, der vor seiner Vorlage an die Generalsynode am 15. April 1861 sämtlichen Pfarrämtern und Kirchengemeinderäten in Baden zur Kenntnisnahme und zur Stellungnahme zugeleitet worden ist. Die darin erwähnten geschichtlichen Ereignisse nehmen Bezug auf das zähe Ringen um eine Reform der Kirchenverfassung von 1821, das in den Revolutionsjahren von 1848/49 einen seiner Höhepunkte erreicht hatte. Das damals gegen den beträchtlichen Widerstand konservativer Kreise von den liberalen Kräften verfolgte Anliegen, die Kirche aus den Fesseln des Staatskirchentums zu befreien und eine Volkskirche zu etablieren, in der die Kirchenglieder maßgeblich an der Leitung der Kirche beteiligt sein sollten, konnte sich nicht durchsetzen.
Singet dem Herrn – aber was?
(2011)
Auf dem Papier, oder vielmehr auf dem Pergament, existiert das Erzbistum Freiburg seit nunmehr rund 190 Jahren, in der Praxis sind es gut sechs Jahre weniger. Es ist also nach kirchengeschichtlichen Maßstäben noch recht jung, ganz gleich, welches Datum man als seinen „Geburtstag“ ansieht: Die Bulle „Provida solersque“ von Papst Pius VII., mit der es kirchenrechtlich konstituiert wurde, ist auf den 16. August 1821 datiert, die Weihe und Inthronisation des ersten Erzbischofs Bernhard Boll fand am 21. Oktober 1827 statt. In der Zeit zwischen der, wenn man so will, „Zeugung“ und
der realen „Geburt“ des badisch-hohenzollerischen katholischen Landesbistums fanden langwierige und teils sehr kontroverse Verhandlungen statt, in denen grundsätzliche Festlegungen juristischer, finanzieller und personeller Natur getroffen wurden, die hier freilich allesamt nicht näher thematisiert werden können. Trotzdem – und vielleicht auch deswegen – kam auf die neue Bistumsleitung eine Fülle von Aufgaben zu. Das Erzbistum Freiburg war zunächst ein sehr heterogenes Konglomerat einzelner Teile, die sich in der wirtschaftlichen und sozialen Struktur, in ihrer Geschichte und
in den Erscheinungsformen kirchlichen Lebens und religiöser Praxis deutlich voneinander unterschieden. Den größten Anteil bilden die ehemals konstanzischen Gebiete im Süden und Osten, die entschieden geprägt waren durch die reformerischen Aktivitäten des letzten Generalvikars und Bistumsverwesers Ignaz Heinrich von Wessenberg, eines „aufgeklärten“ Theologen par excellence.
Der gesamte Nachlass von D. Karl Ludwig Bender umfasst eine Laufzeit von 1818 bis 1966 und hat einen Umfang von 0,75 lfde. Meter mit 106 Verzeichnungseinheiten (künftig: VE). Er besteht aus insgesamt vier Teilnachlässen von Prof. D. Carl Ullmann (1796-1865), Pfarrer Hugo Ullmann (1827-1916), Oberkirchenrat D. Karl Ludwig Bender (1881-1961) und einem unbekannten Autor. Der Teilnachlass von Prof. D. Carl Ullmann betrifft die VE 1-38, 40-43, 47-55, 57-80, 82 und 84-99 und nimmt mit 91 VE den größten Teil des Gesamtnachlasses ein; er umfasst einen Zeitraum von ca. 1818 – 1858, also aus seiner Zeit des Studiums der Philosophie in Heidelberg bis wenige Jahre vor seinem Tod. Die Hinterlassenschaft von Pfarrer Hugo Ullmann umfasst lediglich eine einzige Einheit (VE 81) und stammt aus dem Jahre 1848, als er nach bestandenem theologischem Examen im Jahr 1849 unter die Pfarrkandidaten aufgenommen wurde. Der Nachlass von Oberkirchenrat D. Karl Ludwig Bender beinhaltet Dokumente aus den Jahren 1929 bis 1935 und umfasst neun Einheiten: die VE 56, 83 und 100-106, wobei VE 103 nicht belegt ist. Hinter den VE 39 und 44-46 verbirgt sich ein unbekannter Autor aus den Jahren
1854-1874.
Der vorliegende „Bestand Bauer“ ist kein Privat-Nachlass, sondern eine Sammlung kirchenamtlicher Dokumente, welche der Geheime Kirchenrat Prof. Dr. Johannes Bauer aus offiziellen Aktenbeständen gesammelt hatte. Mit einen Umfang von etwa
0,5 lfde. Metern mit 34 Verzeichnungseinheiten (künftig: VE) erstreckt er sich über einen Zeitraum von 1683 bis 1882.
Bemerkenswert ist dabei, dass die Dokumente dieser Sammlung im Blick auf ihre Herkunft unterschiedlichen Verwaltungsbereichen bzw. Institutionen zuzuordnen sind: 1. Dekanat Boxberg 2. Dekanat Sinsheim mit Korrespondenz in Sachen Leininger Kirchenrat (vgl. VE 19) 3. Dekanat Mosbach 4. Dekanat Neckargemünd 5. Kurpfälzisch-reformierter Kirchenrat Heidelberg 6. Evangelischer Oberkirchenrat Karlsruhe 7. Ministerium des Innern, Evangelische Kirchensektion
In den verschiedenen Korrespondenzen findet sich Schriftverkehr mit dem Fürstlich Leiningschen reformierten Kirchenrat (vgl. VE 19), den südlich gelegenen Dekanaten Emmendingen, Mahlberg, Lahr, Kork, Bischofsheim und Hornberg (VE 27/5ae), den Inspektionen des ehemals linksrheinischen Gebietes der Kurpfalz, Neustadt an der Weinstraße (vgl. VE 17 und 23) und der nördlich gelegenen Inspektionen in Wertheim (VE 29) und Mildenberg (VE 15), den Dekanaten Adelsheim, Bischofsheim, Bretten, Gochsheim, Heidelberg, Mannheim, Oberheidelberg und Unterheidelberg (VE 26) sowie den Großherzögen von Baden (VE 6/9/26 u. 27) und den Kurfürsten von der Pfalz (VE 23).
Der Pfarrer der Johannisgemeinde Weinheim, Karl Achtnich (1890 bis 1969), stand, wie viele Gemeindepfarrer, während des Zweiten Weltkriegs mit vielen ehemaligen Konfirmanden und Jugendkreismitgliedern, die als Soldaten im Krieg waren, in brieflicher Verbindung. Die Gemeindejugend, die „Sonnenjugend“, die „Sonnenmädchen“ (so genannt, weil die Gemeindejugend sich im Gemeindehaus „Zur Sonne“ traf) pflegten den Soldaten zu Weihnachten Päckchen ihrer Gemeinde zu schicken. Aus heutiger Sicht ist manches von dem Geschriebenen unbegreiflich. Nicht nur die Sicherheit, auf dem richtigen Weg zu sein, nicht nur das klare Feindbild, nicht nur das selbstverständliche Gott-mit-uns; was Vaterlandspflicht und Soldatenethos damals bedeutet haben, verstehen wir heute nicht mehr. Gerade deshalb sind die Dokumente wichtig, weil sie helfen, die geistigen Gefangenschaften jener Zeit zu ahnen und wach zu sein für Verführbarkeit und unbewusste Gefangenschaften auch heute. Zugleich sind sie bewegende Zeugnisse persönlicher Frömmigkeit.
2011 sind es genau 90 Jahre her, dass auf evangelischer Seite die Erforschung der badischen Kirchengeschichte durch regelmäßige Publikationen begann, nämlich mit Johannes Bauers Dokumentensammlung über die badische Union von 1821, publiziert zum Unions-Jubiläum 1921 in der nur kurzlebigen Reihe „Veröffentlichungen der evangelischen kirchenhistorischen Kommission in Baden“. Ab 1928 gab es dann mit den „Veröffentlichungen des Vereins für Kirchengeschichte in der Evangelischen Landeskirche in Baden“ eine Reihe, die es bis zur Einstellung 2009 auf stattliche 64
Bände gebracht hat, die ein einmaliges und unerlässliches Fundament für die kirchenhistorische Erforschung der Badischen Landeskirche darstellen. Seit 2007 steht nun auch das „Jahrbuch für Badische Kirchen- und Religionsgeschichte“ der lokal- und regionalgeschichtlichen Aufarbeitung unserer Landeskirche zur Verfügung. Obwohl das Erzbistum Freiburg sogar ein paar Jahre jünger ist als die Badische Landeskirche – die Gründung der Erzdiözese aufgrund der Bulle „Provida solersque“
erfolgte zwar ebenfalls 1821, doch „funktionierte“ das Bistum erst mit der Einsetzung des Bischof 1827 – wurde bereits viel früher als auf evangelischer Seite, nämlich schon 1864 ein „Kirchengeschichtlicher Verein für das Erzbistum Freiburg“ gegründet, der seit 1865 das „Freiburger Diözesan-Archiv“ herausgibt, eine der ältesten kirchenhistorischen Zeitschriften Deutschlands.
Viele Fragen tun sich auf, sobald man auf diese Überschrift stößt: „Lieder badischer Liedermacher im 20. Jahrhundert“
– Welche Art von Liedern fällt unter diese Rubrik? – Wer ist Badener? Wer nicht? – Was ist ein Liedermacher? – Wer alles gehört zum 20. Jahrhundert? Welche Art Lied? – Da es sich ja hier um eine Tagung zu Gesangbuch und Kirchenlied handelt, erübrigt sich wohl meine erste Frage. Kirchenlieder sind gemeint. Gemeindelieder sind gemeint. Lieder sind gemeint, die in einem Gesangbuch stehen oder stehen könnten. Wer ist Badener? – Ob ein Mensch in Baden geboren ist oder seine Wirkungsstätte hat, ob er in Baden seinen Ruhestand verbracht hat oder gestorben ist – hier möchte ich gern großzügig sein. Ich selbst bin in Westfalen geboren und aufgewachsen, trotzdem fühle ich mich seit langem in der Kurpfalz zu Hause und bin also auch – irgendwie – Badener. Was ist ein Liedermacher? – Wer fällt Ihnen da ein? Zunächst doch wohl eher die
Sänger von Protestsongs, die mit der Gitarre auf der Kleinkunstbühne ihre Lieder vortragen. Reinhard Mey, Wolf Biermann, Hans Dieter Hüsch, Hannes Wader, Konstantin Wecker u.s.w. Obwohl „Über den Wolken“ von Reinhard Mey bei Trauungen
von Flugbegleitern sicher gut passen würde, wüsste ich nicht, dass ein Lied dieser Sänger schon im Gesangbuch gelandet wäre. Natürlich gibt es auch kirchliche Protestsongs und kirchliche Wanderbarden mit Gitarre. Bei meinen Ausführungen möchte ich mich aber beschränken auf Menschen, deren Dichtungen oder deren Weisen Eingang ins Gesangbuch gefunden haben.
Im Jahre 1834 meldete ein Anonymus in der liberalen „Allgemeinen Kirchenzeitung“ aus Baden I. Kirchenverfassung betreffend. Die evangelisch-protestantische Kirche im Großherzogthume Baden hat durch die Union vom Jahre 1821 unstreitig mehrere bedeutende Vorzüge in ihrer Organisation erhalten. Das Luthertum hat […] in der Kirchenverfassung mehr Monarchisches, Dogmatisches, Stabiles, die reformirte Kirche, besonders nach Zwingli, ist als mehr republikanisch,
dem Praktischen und Fortschreiten durch subjective Vervollkommnung geneigter zu charakterisiren. Die badische Unionsurkunde hat aus den beiderlei Eigenthümlichkeiten, mit Vermeidung der hierodespotischen Tendenz des Calvinismus, vieles Gute vereinigt, und besonders der Kirche, als einer vom Staate beschützten und daher inspicirten, aber sich doch selbst nach ihren inneren Zwecken regulirenden Gesellschaft, ihre statuarische Autonomie durch repräsentative liberale, aber auch gegen Uebertreibungen bewahrte Institutionen gesichert. Eine kurze Analyse dieses Textes aus der Feder eines zweifellos freisinnigen Korrespondenten mag in das Thema einführen. Das Luthertum – so der Anonymus – vertrat ein monarchisches, man kann wohl interpretieren: tendenziell hierarchisches Prinzip, das freilich Stabilität verbürgte. Das Reformiertentum war zweifach vertreten, zunächst durch die historisch-städtisch, d. h. kommunalistische Prägung der Zürcher Reformation Zwinglis (der Korrespondent sprach von Republik!), in der er das liberale Prinzip glücklich wieder fand: nämlich praktisches Fortschreiten in subjektiver Vervollkommnung; also ein Moment der Dynamik. Schlecht kam freilich der Calvinismus weg. Mit der Apostrophierung als „Priesterherrschaft“ (Hierodespotie) war er erledigt.
Die Frage nach einer Willensfreiheit des Menschen hat ihren systematischen Ort in der Verhältnisbestimmung dessen, was man geistig-körperlich, seelisch-physisch, Denken und Natur oder selbst Bewusstsein und Materie nennen könnte. Heute wird diese Frage vor allem in der „Philosophie des Geistes“ (philosophy of mind) diskutiert. Als solche hat diese Frage bereits eine lange Tradition, die schon auf die griechischen Vorsokratiker zurückgeht. In diesem Beitrag, der dem Thema der Willensfreiheit aus philosophischer Sicht gewidmet ist, das z.Z. heftig und kontrovers diskutiert wird, werde ich in fünf Schritten vorgehen: 1. möchte ich die beiden grundlegenden Modelle kurz skizzieren, die für die Wirkungsgeschichte unserer westlichen Kultur von Bedeutung sind, die Vorstellungen Platons und Aristoteles’; 2. werde ich auf die schicksalsbedeutsame Neuerung René Descartes’ eingehen, in dessen Folge sich die Frage der Willensfreiheit heute als ein besonderes Problem stellt, das sich 3. in den naturwissenschaftlichen Anfragen vor allem seit dem 19. Jhdt. noch einmal verschärft hat, um dann 4. die aktuellen Positionen der beiden Hauptlager zu erörtern und zu diskutieren. 5. Schließlich werde ich eine Bilanz und einen kritischen Ausblick versuchen.
Wenn einer der Fürsten in Babylon gehört hätte, dass die Juden im Exil sich rühmten, ihnen sei von Gott Freiheit geschenkt worden, würde er urteilen, es sei purer Wahnsinn, so etwas zu predigen. Mit diesem Satz begann Melanchthon den letzten Abschnitt in der Letztausgabe (1559) seines dogmatischen Hauptwerks, den „Loci praecipui theologici“ mit der Überschrift: „Über die christliche Freiheit“. Er fuhr fort: Ebenso, denke ich, werden auch wir heute von den Politikern verlacht, wenn wir
angesichts der trostlosen Ruinen der politischen Reiche, in denen die Knechtschaft überall wächst; wo wir sehen, dass viele Tausende frommer Menschen von den Türken fast vor unseren Augen deportiert werden; wo gleichzeitig ungerechtes Wüten gegen die Frommen geübt wird: wenn wir also angesichts alles dessen von Freiheit sprechen und unsere Freiheit rühmend verkündigen. Melanchthon unterstrich also zunächst einmal pointiert den widersinnigen Charakter der Bezeugung der christlichen Freiheit. Genauer gesagt: Hier wurde von anderen Voraussetzungen aus argumentiert als den vertrauten, vernünftigen. Dass es sich dabei nicht wesenhaft um den Rückzug aus den diesseitigen Realitäten handelte, wird uns noch beschäftigen müssen. Jetzt ist lediglich festzuhalten, dass die Christen, die christliche Gemeinde, nach der Überzeugung Melanchthons stets und ständig bedrängt, belastet und bedrückt sind, weil sie auf der Seite Jesu Christi stehen – des
gekreuzigten und auferstandenen lebendigen Sohnes Gottes. Von dieser Wirklichkeit müsse man ausgehen, urteilte Melanchthon, wenn man angemessen von der christlichen Freiheit handeln wolle.
Mit dem 15. April 2011 besteht das Gesetzes- und Verordnungsblatt der Evangelischen Landeskirche in Baden seit genau 150 Jahren. Das Gründungsdatum, der 15. April 1861, beruht nicht auf einem Zufall. Es geht zurück auf die staatskirchenrechtlichen Veränderungen im Großherzogtum Baden im Jahr 1860, die eine deutliche und in die Gegenwart weisende Zäsur in der badischen Kirchengeschichte markieren. Nicht erst das Jahr 1919 mit der Weimarer Reichsverfassung, sondern bereits das Jahr 1860 brachte nämlich die „grundsätzliche Beendigung des Staatskirchentums“ im damaligen Großherzogtum Baden. Entsprechende Forderungen waren in Baden zwar schon 1848/49 erhoben worden. Wirklichkeit wurde die Beendigung des Staatskirchentums mit dem badischen Gesetz vom 9. Oktober 1860 die rechtliche Stellung der Kirchen und kirchlichen Vereine im Staate betreffend, kurz Kirchengesetz oder Korporationengesetz genannt. Es garantierte den Kirchen grundsätzlich die Selbstbestimmung.
Im Jahr 2010 hat unser Verein das ehrwürdige Alter von 90 Jahren erreicht.
Dies möchte ich zum Anlass nehmen, im Folgenden zwar nicht in epischer
Breite, aber doch verständlich und übersichtlich über die wahrhaft stolze und
bisher erfolgreiche Geschichte unserer Organisation zu berichten. Dabei
möchte ich mich auf vier Schwerpunkte konzentrieren:
1. den Aufbau des Vereins (die Gründung, die Organisation, Standorte u. a.),
2. die Personen (Vorstand, sonstige Aktive),
3. Entwicklungen, wichtige Ereignisse und
4. die Vereinsarbeit (Publikationen, Vorträge, Beratung, Ausflüge usw.).
Diese vier Punkte spiegeln sich in der Satzung des Vereins wider.
Die »württembergische Ehrbarkeit«, seit der 1946 vorgelegten Dissertation
von Hansmartin Decker-Hauff [1]
über »Die Entstehung der altwürttembergischen Ehrbarkeit 1250 –1534« ein gängiger, wenn auch nicht sehr präziser
Begriff, bildet neuerdings wieder einen Mittelpunkt der landeskundlichen
Forschung. Zwei kürzlich erschienene Monographien widmen sich dem
Thema: Die Historikerin Gabriele Haug-Moritz [2]
schreibt über »Die württembergische Ehrbarkeit. Annäherungen an eine bürgerliche Machtelite der Frühen Neuzeit«, der Nationalökonom Otto K. Deutelmoser [3]
über »Die Ehrbarkeit und andere württembergische Eliten«. Auch in genealogischen Studien
findet sich der schillernde Begriff der Ehrbarkeit häufig, und es liegt nahe, dass
gerade genealogische Beziehungen eine Führungsschicht schaffen bzw. erhalten können. Unverständlich ist daher eine Bemerkung auf der Umschlagrückseite des Buches von Deutelmoser, dass man »kurioserweise« versucht habe,
die Ehrbarkeit mit Mitteln der Genealogie zu erklären. Dies führt der Autor
aber selbst ad absurdum, wenn er auf der letzten Textseite seines Buches 25
Familien mit Namen nennt, die seiner Meinung nach – als Familie in mehreren
Generationen – zur Ehrbarkeit zu rechnen sind, darunter Uhland, Gmelin,
Schwab, Autenrieth, Moser, Rümelin, Bilfinger, Harpprecht, Köstlin, Osiander und Zeller.
Auf der Internetseite der Stadt Leinfelden-Echterdingen kann man einen ortsgeschichtlichen Rundgang durch Echterdingen machen. [1]
Unter Nr. 27 gibt es
Informationen zum Gasthaus »Hirsch«. Durch sie erfährt man, dass der damalige Schultheiß Johann Ludwig Stäbler (1719 –1781, seit 1756 im Amt) das
Gasthaus 1772 mit Unterstützung des Herzogs Carl Eugen wiederaufgebaut
habe: »Der Landesherr [...] verkehrte nämlich gerne im Hause des schlagfertigen Schultheißen Stäbler, was nicht zuletzt an dessen junger, gut aussehender
Tochter Anna Katharina (geb. 1753) lag, der er ausgesprochen herzlich zugetan war. Als sie ein Kind von ihm erwartete, führte ihr der Herzog den Plieninger Wirtssohn Johann Friedrich Bayha als Ehemann zu. Sie waren tüchtig
und betrieben den Hirsch mit viel Erfolg. Auch der Herzog selbst war dort
noch oft als Gast, wenn er zur Jagd ging. [...] Das großformatige Ölgemälde
mit seinem Portrait, das der Herzog Karl-Eugen nach der Fertigstellung des
Hauses als Zeichen seiner besonderen Gunst gestiftet hatte, hängt noch heute
an seinem Platz im schön renovierten ›Saal‹ des Hirschs.«
»Warhafftige und Erschröckliche Geschicht ...« Mit diesen Worten beginnt ein
kleiner, achtseitiger Druck in der Württembergischen Landesbibliothek Stuttgart. [1]
Er handelt von einer Familientragödie, die sich am 12. Januar 1590 in
Lauffen am Neckar in der Familie des Conrad Hermann zutrug. Der Lauffener Bürger Wendel Rösch hat sie in Gedichtform gebracht und bereits am
1. Februar desselben Jahres veröffentlicht.
Aus den vorläufigen Erkenntnissen der derzeit im Entstehen begriffenen
Familienchronik Rommel (Teil 1, Ostalb-/Denkendorfer Linie) lässt sich über
die Jahrhunderte hinweg der Beruf des Maiers oder »Beständers« quasi als
Familienmerkmal der Rommel bis zum Ende der agrarisch geprägten Wirtschaftszeit feststellen. Die jeweils auf drei, sechs oder auch neun Jahre gepachteten Maierhöfe blieben jahrzehntelang im unternehmerischen Zugriff der
Rommel-Familie(n), häufig auch generationenübergreifend. Einige Beispiele
hierzu sind das Hofgut des Klosters Lorch in (Stuttgart-)Münster am Neckar,
der Adelbergische Tennhof bei (Fellbach-)Öffingen, die Lorchischen Landachtgüter und Einzelhöfe in (Ludwigsburg-)Oßweil, der Lorcher Maierhof
in Bissingen an der Enz, der Sturmfedersche Maierhof in Großingersheim
(ursprünglich zwei Maierhöfe: Sichlingshof und Münchhof) und der Kloster-Maierhof in Denkendorf. [2]
Das Thema »Auswanderer« hat für die Familienforscher mithilfe der leichteren Suche im Internet nach Nachkommen von ausgewanderten Württembergern eine ganz neue Dimension bekommen. Manche Genealogen hatten bisher
das Thema einfach »links liegen« lassen, weil sie sich davon keine interessanten
Erkenntnisse versprachen. Unsere eigene Familienforschung hat aber durch
die neuen Kontakte auch ganz neuen Schwung bekommen. Wir fanden es sehr
spannend, plötzlich eine große Zahl »neuer« Hartenstein in Übersee zu entdecken, deren Vorfahren in Balingen, Cannstatt und Dornstetten ansässig waren.
Inzwischen haben sich sehr schöne freundschaftliche Kontakte mit den Hartenstein in den USA, in Australien und Südamerika entwickelt. Im Folgenden
seien beispielhaft der Lebensweg und die Familienverhältnisse des Auswanderers Gottlieb Hartenstein dargestellt.
Die heute weit verbreitete Gesamtfamilie Nestle stammt aus Nagold, wo der
Name seit 1373 als Nästlin und seit etwa 1400 als Nestlin vorkommt. Die
Schreibweise Nestle erscheint in Nagold erstmals in der Musterungsliste von
1523, doch kommen auch später noch Namensformen wie Nestlin, Nästlin,
Nestlen und Nästle (die letzteren beiden bis heute) vor. Heinrich Nestle
(Henri Nestlé) aus Frankfurt am Main und die von ihm begründete Firma
Nestlé in Vevey (Schweiz) führ(t)en als Familienwappen bzw. als Firmenemblem ein Vogelnest. [1]
Die Namensforscher Bahlow und Udolph leiten den Familiennamen Nestle nicht von »Nest«, sondern von »Nestel« (für Schnürsenkel)
ab, sodass es sich um einen Übernamen nach dem Beruf des Nestlers handeln
würde. [2]
Da in Hunderten von frühen Belegen aus dem Raum Nagold allerdings so gut wie nie die Namensform Nestelin (mit einem zweiten »e«)
vorkommt, [3]
ist diese Ableitung aber unwahrscheinlich. Dagegen kann Nestlin/Nästlin auch die Verkleinerungsform zu »Nast« sein, das eine schwäbische
bzw. mittelhochdeutsche Nebenform für »Ast« ist und in Württemberg ebenfalls als Familienname vorkommt (eine Analogbildung zu Nestle/Nästle wäre
dann der Familienname Zweigle). [4]
Dementsprechend führte der Nürnberger
Vikar Johann Nast 1524 einen Ast im Wappen. [5]
Zwischen 1995 und 2010 untersuchte der pensionierte Realschullehrer und
Schulamtsdirektor Fritz Franz aus Freudenstadt die Nachkommen eines 1488
im Lagerbuch des Klosters Alpirsbach zum ersten Mal erwähnten Hanns
Frantz aus Unterehlenbogen. [2]
Fritz Franz nahm an, dass alle Franz aus Unterehlenbogen, welche auch in verschiedenen Lagerbüchern des 16. Jahrhunderts
erwähnt werden, von diesem Hanns Frantz abstammen. Da die Kirchenbücher (KB) der Pfarrei Alpirsbach, zu der Unterehlenbogen damals (wie auch
heute noch) gehörte, erst 1607 durchgängig einsetzen, kann diese Annahme
weder bestätigt noch widerlegt werden. Dagegen hat Fritz Franz zweifelsfrei
festgestellt, dass die über die Jahrhunderte hinweg in Rötenbach (KB Alpirsbach), Marschalkenzimmern, Lombach, Vierundzwanzig Höfe (KB Dornhan)
und Wittendorf wohnhaften Franz von den Unterehlenbogener Franz abstammen. Einzelne Personen verließen ihre engere Heimat und begründeten
andernorts neue »Franz-Linien«. Zu ihnen gehört Friedrich Franz, der 1893 in
ein katholisches Gebiet im Großherzogtum Baden zog und dabei nicht nur
eine Landes-, sondern auch eine Konfessionsgrenze überschritt.
Angehörige der Familie Senft von Sulburg bestimmten das Geschehen in der
Reichsstadt Schwäbisch Hall in verschiedenen Funktionen als Sulmeister,
Münzmeister, Schultheißen, Richter und Pfleger der Stadtkirche St. Michael
vom 14. bis ins 16. Jahrhundert mit. Frühe Namensträger mit unklaren Verwandtschaftsverhältnissen sind: Burkhard Sulmeister (zuerst 1216, Magister
salsuginis 1228, Salzmagister 1236); Walter Sulmeister (»der Alte«, 1249 Ratsherr, ein großer Wohltäter des Spitals); Heinrich Sulmeister (1263 Ratsherr);
Burkhard Sulmeister (1278 ein Guttäter des Spitals, 1304 Ritter des Johanniterordens); Otto Sulmeister (1310 ein Guttäter und Stifter). Walter Sulmeister
(1317 Stättmeister, 1346 Senator) hat das Kleinod des Wappens geändert und
den Namen Senft oder Senfft eingeführt. [1]
Die direkte Stammfolge beginnt mit
Walter († 1400), dem sein Sohn Konrad († 1434) und drei Enkel, die eigene
Linien begründeten, folgten. [2]
Gilg († 1514), ein Sohn von Konrad, dem
Begründer der älteren Linie, hat von 1492 bis 1494 ein Haus in der Oberen
Herrengasse erbaut, an dem sich noch heute das Familienwappen befindet
(Abb. 1). [3]
Fünf Monate, nachdem Herzog Friedrich I. von Württemberg (* 19. 8. 1557)
am 29. Januar 1608 gestorben war, erstellten die württembergischen Räte, insbesondere Melchior Jäger von Gärtringen (1544 –1611), [2]
ein Gutachten über
dessen Konkubinen und Kupplerinnen, die damals in Haft saßen. [3]
Mit den
sogenannten Ehebrecherinnen gingen die Räte erstaunlich milde um; sie wiesen auf deren Jugend hin und rieten, »die Strafe in Gottes Hand fallen zu lassen«. Bezüglich der sechs verhafteten Kupplerinnen meinten sie, zwei von
ihnen seien weniger belastet, nämlich die Schulmeisterin in Freudenstadt und
die Ketterlin im Harnischhaus. [4]
Strenge Strafen empfahlen sie dagegen bei der
Möringerin in Urach, der Lichtkämmerin in Tübingen, der Hausschneiderin
zu Heidenheim und der Anna Maria im Harnischhaus. Ihre Haushalte sollten
aufgelöst, sie selbst »aus den Augen geräumt« werden. Über Magdalene
Möringer habe ich bereits ausführlich berichtet. [5]
Anna Maria im Harnischhaus, Ehefrau des Trabanten Hans Jacob Stählin, [6]
und die Ketterlin [7]
finden
sich später nicht mehr in den Akten. Über die drei anderen Kupplerinnen hingegen erfährt man verhältnismäßig viel, da sie, ebenso wie Magdalene Möringer, beim Reichskammergericht (RKG) in Speyer gegen Herzog Johann Friedrich (1582–1628), den Sohn und Nachfolger Herzog Friedrichs, geklagt haben.
Joseph Victor von Scheffel
(2011)
Die Bibliographie erfaßt die Ausgaben von Werken Joseph Victor von Scheffels sowie die
deutschsprachige und fremdsprachige Sekundärliteratur zu Scheffel aus dem Zeitraum 1945
bis 2011 nach Möglichkeit vollständig. Zu diesem Zweck wurden die in Abschnitt B verzeichneten
Bibliographien und Nachschlagewerke ausgewertet.
Baden-Baden
(2011)
Wappenheft Karlsruhe
(2011)
Villingen-Schwenningen hat am 16. November 2001 ein gemeinsames Wappen angenommen.
In diesem Heft möchte ich die Entwicklung der alten Stadtteil-Wappen sowie das Zustandekommen des neuen Wappens erläutern.
Die Wappen der Stadtteile haben nach wie vor individuelle Gültigkeit, jedoch nur in Bezug auf ihren (Stadt-)Teil innerhalb der Gesamtstadt.
Guntram von Schenck
(2011)
Als Grenzgänger zwischen Geschichtswissenschaft, aktiver
Politik und Diplomatie sind mir Erfahrungen zugefallen, die
verhältnismäßig selten sind. In meine Tätigkeit in der aktiven
Politik ist immer geschichtliches Wissen eingeflossen, es hat
mich bereichert und gestützt. Historische Kenntnisse und
konkrete, politische Erfahrung waren mir in der Diplomatie
gleichermaßen von Nutzen.
Meinen Weg habe ich mit Publikationen begleitet - soweit das
möglich war. Vieles konnte und einiges kann heute noch nicht
veröffentlicht werden. Die Publikationen sind Teil dieser
Lebenserinnerungen, sie sind unverändert eingearbeitet.
Vom "Aufrührer" in der Studentenrevolte 1966-1969 zum
Deutschen Botschafter in Rom, vom promovierten Historiker
über die Politikberatung und kritische Publizistik zur aktiven
Politik und (spät) in das Auswärtige Amt führt in Deutschland
kein gerader Weg, keine vorgezeichnete Karriere. Die
Bundesrepublik war und ist Werdegängen nicht günstig, die
hergebrachten Vorstellungen zuwider laufen.
Arthur Schopenhauer
(2011)
Arthur Schopenhauer wurde am 22. Februar 1788 in Danzig als Sohn von Heinrich
Floris Schopenhauer (1747-1805) und Johanna Henriette Trosiener (1766-1838) geboren. Zehn Jahre später kam seine Schwester Louise Adelaide Lavinia (1797-1849), genannt Adele, zur Welt. Im selben Jahr 1797 schickte der Vater Arthur nach Le Havre, wo
er zwei Jahre lang Französisch lernen musste. In einem B rief bittet der Vater Arthur, brav
das Einmaleins in französischer Sprache zu lernen, und die Mutter schrieb ihm am 8.
April 1799: »Mache nur jetzt noch guten Gebrauch von der Zeit, denn, wie ich Dir schon
in meinem letzten Brief schrieb, Du wirst nicht mehr lange in Frankreich seyn. Dein Vater erlaubt Dir die eilfenbeinerne Flöte für einen Louisd’or zu kauffen; ich hoffe daß Du
einsiehst wie gut er gegen Dich ist, er bittet sich dagegen aus, daß Du Dir daß einmaleins
recht angelegen seyn läßt. Das ist nun wohl das Wenigste was Du thun kannst, um ihm
auch zu zeigen wie gerne Du alles thust was erwünscht.«
Die Machtübernahme der Nationalsozialisten und die endgültige Inthronisierung
ihrer »Weltanschauung« 1933 mussten dem in Gaienhofen lebenden Schriftsteller Dr.
Ludwig Finckh (1876-1964) eine späte, doch tiefe Genugtuung bedeuten. Seit Ende des
Ersten Weltkrieges gab er sich in zahlreichen kleineren Schriften als entschiedener Antidemokrat und Gegner der Weimarer Republik zu verstehen, in denen er in Kategorien
des Völkischen und Sippenkundlichen in bedenkliche Nähe zu antisemitischer Rassenkunde, Erbbiologie und Eugenik geriet. Der geistigen Vorläuferschaft: des Nationalsozialismus mehr als nur verdächtig, fand der fast 60jährige Autor im »Neuen Deutschland«
die lang erhoffte Bestätigung, endlich verstanden zu werden. Gerade so, als hätte er
immer schon gewusst, worauf es in Deutschland nach 1918 hinauslaufe und vor allem
ankomme, wurde Finckh 1933 aktives Parteimitglied der NSDAP und gehörte am 26. Oktober des Jahres zu jenen 88 deutschen Autoren, die das offizielle »Gelöbnis treuester
Gefolgschaft« für Adolf Hitler und den nationalsozialistischen Staat Unterzeichneten.
St. Jodokus Immenstaad
(2011)
»Immenstaad ist keine gewöhnliche Landpfarrei.« Das weiß jeder Einheimische selbst,
und es bedarf für diese Feststellung keineswegs des Freiburger Bistumsarchivars. Dass
Immenstaad keine gewöhnliche Pfarrei ist wird beim Blick zurück von Anfang an offensichtlich: Welche Pfarrei kann schon von sich sagen, sie verdanke ihre Existenz einem
Papst, der in der »offiziellen« Kirchengeschichte gar nicht vorkommt?
Dass die Pfarrei Immenstaad im Jahr 2010 auf 600 Jahre ihres Bestehens zurückblicken kann, ist natürlich zunächst das Verdienst ihrer damaligen Bürger. Diese wollten
einen eigenen Seelsorger im Ort haben und nicht mehr auf den bis dahin zuständigen
Pfarrer im zweieinhalb Stunden entfernten Bermatingen angewiesen sein. Sie wandten sich also im Jahr 1410 an Papst Johannes XXIII. und baten ihn um Hilfe - die ihnen
prompt gewährt wurde. Dieser Papst wurde übrigens wenige Jahre danach vom Konstanzer Konzil abgesetzt und später aus der Reihe der »gültigen« Päpste getilgt. Daher konnte
es fünfeinhalb Jahrhunderte später, als der Name Johannes für Päpste wieder salonfähig
geworden war, noch einmal einen dreiundzwanzigsten Johannes geben. Die Pfarrei Immenstaad aber existiert bis heute, und zwar genau ein Mal - dass Immenstaad von Uneingeweihten immer wieder mit Immenstadt verwechselt wird, ist ein anderes Thema.
Die Konstanzer Altstadt liegt auf einem halbinselartigen Moränenrücken, der sich
in Nord-Süd-Richtung in den Bodensee vorschiebt. Die Landzunge bot hervorragende
Möglichkeiten zur Verteidigung, denn sie war auf zwei Seiten von Wasser umgeben. Nach
Westen schloss sich ein Feuchtgebiet an, dessen fortifikatorische Bedeutung schwer
abzuschätzen ist. Nur im Süden setzt sich die Landzunge zu den Höhen des Thurgaus
fort. Daher wurden auf dieser Seite immer besondere Anstrengungen unternommen, um
gegebenenfalls feindliche Angriffe abwehren zu können. Doch auch die übrigen Flanken der Stadt einschließlich des See- und Rheinufers wurden im Laufe des Mittelalters
befestigt. Um 1400 kann von einem geschlossenen Mauerring um die gesamte Altstadt
ausgegangen werden, dem in drei Himmelsrichtungen unterschiedlich stark befestigte
Vorstädte vorgelagert waren.
Ein lateinischer Text aus der Frühzeit des Klosters Weingarten wurde bislang als
»kurze Skizze der Klostergeschichte« oder als »Gründungsgeschichte Weingartens« deklariert. Von historischer Seite ist er kaum beachtet worden, vor allem wohl, da seine
Entstehungszeit schwer zu bestimmen ist und da er zudem im Württembergischen Urkundenbuch erst spät und an versteckter Stelle ediert wurde. Er verdient aber schon allein deswegen besondere Aufmerksamkeit, da es sich um einen der ältesten Texte zur
Geschichte der Welfen handelt.
Im vorliegenden Beitrag soll der Text durch Abdruck aus der ältesten Handschrift
und durch Übersetzung zugänglicher gemacht werden. Dabei wird vor allem auch seine
Intention untersucht: Handelt es sich tatsächlich um einen historischen oder nicht viel
mehr um einen juristischen Text? Jedoch wird, in Anlehnung an W. Krallert, der Titel
»Darstellung der älteren Klostergeschichte« beibehalten, um keine Verwirrung durch einen neuen Titel zu stiften. Außerdem sind Fragen nach der Funktion des Textes für das
damalige Kloster und nach seiner Relevanz für die Welfengeschichte zu beantworten.
Im Bundesarchiv in Berlin-Lichterfelde, untergebracht auf dem Kasernengelände
der ehemaligen preußischen Hauptkadettenanstalt und später der Leibstandarte-SS
Adolf Hitler, werden unter anderem die erhaltenen SS-Führerpersonalakten verwahrt.
Unter den abertausenden von Dokumenten befindet sich auch das zu Papier verdichtete
Leben von Heinrich Koeppen, dem ersten
Kommandanten der Kaserne in Radolfzell. Bislang ist in der zeitgeschichtlichen
Forschung über den SS-Obersturmbannführer nur bekannt, dass er im September
1939 in Polen den »Heldentod« fand und
deshalb die Kaserne nach ihm benannt
wurde. Ansonsten liegt sein Leben bis
heute gänzlich im Dunkeln. Was lässt sich
auf der Grundlage eines in Berlin gemachten Quellenfundes mit Gewissheit über
Heinrich Koeppen aussagen?
Heidenhöhlen
(2011)
Im Molassesandstein des Bodenseeraums sind kaum natürliche Höhlen zu finden.
Dagegen bietet sich das sehr weiche Gestein geradezu für den Bau von Kellern und unterirdischen Räumen an. Zum Brauen und Lagern von untergärigem Bier sind vor allem
im 19. Jahrhundert unzählige Bierkeller für die vielen Brauereien und Gastwirtschaften
entstanden, und noch im 2. Weltkrieg mussten KZ-Häftlinge ganze Produktionshallen
bei Überlingen in den Fels graben, die die Friedrichshafener Rüstungsproduktion bombensicher aufnehmen sollten. Doch schon zuvor gab es Höhlen, Gänge und Unterstände
am Nordufer des Bodensees, über deren Ursprung und Zweck bereits im 19. Jahrhundert
gerätselt wurde. Weil auch ihre Entstehungszeit nicht mehr bekannt war, wurden
manche davon landläufig einer lange vergangenen, vorchristlichen Zeit zugewiesen, und
»Heidenlöcher« genannt. Zu einer Touristenattraktion wurden mit dem Aufschwung des
Fremdenverkehrs die heute leider fast vollständig zerstörten Heidenhöhlen in den Felsen
bei Goldbach. Mit dem Verschwinden dieses prominentesten Kulturdenkmals
aus dem Kreis der künstlichen Höhlen am Bodensee wurde es auch stiller um die anderen
»Heidenhöhlen«. So kursieren die verschiedensten Vermutungen aus dem 19. Jahrhundert über den Ursprung dieser unterirdischen Räume teilweise bis heute. Ein Versuch,
sich dem Phänomen »Heidenhöhlen« erneut zu nähern, muss zunächst die sehr verstreut
publizierten und teils nur schwierig erreichbaren Informationen Zusammentragen, das
Aussehen heute verschwundener Hohlräume rekonstruieren, Sage und historische Wirklichkeit voneinander trennen.
Wasser auf unsere Mühlen
(2011)
Die Konstanzer Vorstadt Stadelhofen, ursprünglich zur bischöflichen Grundherrschaft gehörig, ist erstmals um 1170 indirekt als Vorstadt zu fassen. In dieser Urkunde
wird der Standort des ersten - später Kreuzlinger - Augustinerchorherrenstifts als in
der Vorstadt Konstanz liegend beschrieben (in suburbio Constanti ensi) . Etwa neunzig Jahre
später - im Jahre 1259 - erfahren wir in einer anderen Urkunde den Namen der Vorstadt:
Stadelhofen.
Von archäologischer Seite lagen bislang 35 Aufschlüsse aus der südlichen Konstanzer Vorstadt vor, die sich aber zum größten Teil auf baubegleitende Maßnahmen
im Straßenbereich beschränkten. Sie lieferten insbesondere wichtige Hinweise zur Bauzeit, Aussehen und Verlauf der spätmittelalterlichen und jüngeren Befestigungsbauten
von Stadelhofen. Dank einer Rettungsgrabung im Vorfeld des Baus eines Einkaufszentrum 1996/97 sind die Landgewinnungsmaßnahmen zur Erschließung neuen Baulandes
in den See sowie der im 16. Jahrhundert errichtete städtische Werkhof erfasst worden.
Des Weiteren liegen auf Grundlage schriftlicher wie archäologischer Quellen einzelne
Studien zur spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Sozialtopographie und zum Gewerbe in Stadelhofen vor.
Hingegen ist das mittelalterliche Stadelhofen in Bezug a u f die Besiedlungsstrukturen
nahezu eine terra inaxjmta. So kennen wir beispielsweise weder die Lage noch Ausdehnung
des bischöflichen Fronhofs sowie die bauliche Entwicklung Stadelhofens zur
Vorstadt. Ebenso sind die mittelalterliche Bebauungs- und Infrastruktur, wie beispielsweise
Straßenverläufe, Parzellengröße, Grundstücksbebauung oder Wasserent- und
-Versorgung so gut wie unbekannt.
Eduard Schlegel
(2011)
Während zur Geschichte der ehemals Freien Reichsstadt Isny umfassende Darstellungen vorliegen, stehen Untersuchungen zu einzelnen Personen, welche die Geschicke
der Stadt mitbestimmten, aus. Der Isnyer Handelsherr Leonhard Schlegel, der zunächst
Zimmermann war, legte Ende des 18. Jahrhunderts den Grundstein für ein erfolgreiches
Unternehmen zur Leinwandherstellung und des Seidenhandels. Bis 1830 führte sein
Sohn Eduard das Unternehmen weiter.
1834 ging die Schlegelsche Fabrik in den
Besitz der Isnyer Seidenzwirnerei und
-färberei Christoph Ulrich Springer über.
Sowohl Leonhard Schlegel als auch sein
Sohn engagierten sich durch finanzielle
Zuwendungen und Stiftungen in der Armenfürsorge der Stadt Isny.
Nach einem kurzen biografischen
Überblick über Leonhard und Eduard
Schlegel sollen in diesem Beitrag erste
Erkenntnisse zur Geschichte der Schulstiftung E. Schlegels im Mittelpunkt stehen.
Rudern am Bodensee
(2011)
Als der Ruderverein Neptun in Konstanz im März 1885 gegründet wurde, gab es in
Deutschland bereits an die 100 Rudervereine. Der erste war 1836 nach englischem Vorbild in Hamburg gegründet worden. Gleichzeitig mit Konstanz wurde auch in Arbon ein
Ruderverein gegründet, der aber nach wenigen Jahren wieder einschlief und erst 1910
neu gegründet wurde. Somit ist Konstanz mit Abstand der älteste Ruderclub am See,
gefolgt von Bregenz (1900), Rorschach (1907), Lindau (1908), Arbon (1910), Friedrichshafen (1912), Radolfzell (1920).
Gegründet wurde der Konstanzer Verein von Mitgliedern des Turnvereins, sieben
Handwerkern und zwei Kaufleuten unter der Führung eines Fotografen.
Villa Alwind
(2011)
Eine der schönsten und größten Villen am Lindauer Bodenseeufer ist Alwind. Fährt
man auf dem Schiff zwischen Lindau und Wasserburg dem baumreichen Uferendang,
so zieht überraschend eine barock anmutende Gartenanlage den Blick auf sich, deren
Terrassen zu einem hochgelegenen imposanten Gebäude aufsteigen. Es ist Schloss oder
Villa Alwind.
Die Villa verdient nicht nur als kunsthistorisch interessantes Objekt und Denkmal eine eingehende Betrachtung, sondern auch ihrer wechselvollen Geschichte und der
Besitzer wegen, die hier gelebt, gebaut und umgebaut haben. Je nach
Bedürfnissen und Interessen wurde
das Anwesen verschiedenartig genutzt und entsprechend verändert
und geprägt. Die vorliegende Betrachtung beginnt nicht beim heutigen Zustand, sondern führt zunächst zu den Anfängen zurück.
Luftkrieg am Bodensee
(2011)
In Heiligenberg-Wintersulgen, im Flurstück Kiebloch, nahe Betenbrunn, erinnert
ein Bildstock an den Absturz eines amerikanischen Bombers am 18. März 1944 an diesem Ort. Eine Tafel auf dem daneben stehenden Granitstein nennt die Umstände des
Absturzes. Demnach hatte das Flugzeug an der Bombardierung Friedrichshafens teilgenommen und war dabei von der Flak abgeschossen worden. Sechs Besatzungsmitglieder
verloren ihr Leben.
Als 1985 der Turm der Konstanzer Stephanskirche renoviert wurde, entdeckte man
in 65 Metern Höhe, in der Kugel unter dem Kreuz eine Bleikassette. Dort hatte sie seit der
letzten Renovierung 1836 rund 150 Jahre gelegen. Sie enthielt zwei Reliquienbehälter aus
dem 17. und 18. Jahrhundert, Vereins- und Stiftungsstatute, Verordnungen und Gemeinderatsprotokolle, außerdem Bilder und Münzen aus den Jahren 1830 bis 1836. Das allein
wäre nichts Besonderes gewesen, in Turmkugeln werden traditionell solche Dokumente
eingeschlossen. In die Konstanzer Bleikassette war aber noch etwas hineingeschmuggelt worden - »hineingeschmuggelt«, weil es von der strengen politischen Zensur der
1830er Jahre mit Sicherheit beschlagnahmt worden wäre: In einer versiegelten Leinentasche fand man ein Bild zum Hambacher Fest von 1832 und zwei Exemplare einer sich
auf dieses Ereignis beziehenden Broschüre, die auch eine Konstanzer Grußadresse an
die Teilnehmer enthielt.
Befreiung von den Dogmen
(2011)
">Stille und Frieden hatte er gesucht; jetzt war er die Stille und der Friede und
wußte es nur nicht mehr. Das Nichtsein hat er gepriesen; jetzt war er das Nichtsein und
wußte es nur nicht mehr. All-Einheit hatte er gelehrt, Einheit mit dem All der Tierlein,
der Blumen und der Steinbröckchen; jetzt war er die Einheit mit allem und wußte es
nicht. Und war die Einheit ganz, weil er es gar nicht wußte. Ein Wissen war untergegangen, war heimgegangen. Eine Sonne war untergegangen, klar bewusst untergegangen,
gern untergegangen, um niemals wieder aufzugehen, niemals wieder. Eine Sonne war
heimgegangen. <"
Eine Sonne ist heimgegangen! Freunde Fritz Mauthners, wer unter Ihnen, müde
und verdrossen geworden von der Wanderung durch den Wüstensand jener Art Philosophie, die das Geheimnis des Lebendigen geheimnislos zu machen sich unterfing,
sich dann an die eisig-klare Quelle der Sprachkritik gesetzt und sich den blendenden
Blütenstaub hat wegspülen lassen, um wieder jung und frisch zu werden, der versteht,
wieviel Wehmut uns heute erfaßt, wenn wir am Sarge unseres Meisters die verlesenen
Schlußworte aus seinem innigsten Werk, dem Gautama Buddha, hören. Eine Sonne war
untergegangen!
Die Riesen-Wollbiene (Anthidium septemspinosum)
wurde aktuell an 16 Fundorten in der Oberrheinebene
zwischen Munchhausen und Erstein gefunden. Die Art
besiedelt hier Feuchtwiesen und trockene Kiesflächen,
oftmals angrenzend an wechselfeuchtes Grünland und
Grünland angrenzend an eine Siedlung. Die Hauptflug- und Beobachtungszeit der Art liegt Anfang Juli bis Mitte
August etwa zur Blütezeit des Weidenblättrigen Alants
(Inula salicina). Aufgrund des anhaltenden Rückgangs
geeigneter Lebensräume und des kleinen und isolierten besiedelten Areals halten wir die Art für hochgradig bedroht. Auf die große und auffällige Wildbiene
sollte bei dem Besuch von Feuchtwiesen besonders
geachtet werden.
218 Arten der Campopleginae werden aus Baden
nachgewiesen. Das entspricht etwa 46,2 % des
deutschen Faunenbestandes. Sechs Arten sind für
Deutschland neu oder fehlen im Verzeichnis der Ichneumoniden Deutschlands (Horstmann 2001): Bathyplectes clypearis (Horstmann, 1974), Campoletis
incisa (Bridgman, 1883), Campoplex nigrifemur (Szépligeti, 1916), Casinaria trochanterator Aubert, 1960,
Diadegma crassiseta (Thomson, 1887), Dolophron nemorati Horstmann, 1978. Sieben weitere Arten wurden
erst nach 2000 beschrieben und/oder in Deutschland
aufgefunden. Sie fehlen daher ebenfalls bei Horstmann
(2001): Campoplex restrictor Aubert, 1960, Dusona signator (Brauns, 1895), Enytus appositor Aubert 1970,
Enytus rufoapicalis Horstmann, 2004, Phobocampe
brumatae Horstmann, 2009, Phobocampe quercus
Horstmann, 2008, Tranosema variabile Horstmann,
2008. Für 29 Arten konnten durch Zucht neue Wirte
festgestellt oder aus der Literatur bekannte Wirtsangaben bestätigt werden.
Vier neue Rubus-Arten der sectio Corylifolii Lindley aus
dem nördlichen Baden-Württemberg werden beschrieben: Rubus appropinquatus sp. nov. (series Suberectigeni), Rubus histrionicus sp. nov. (series Subthyrsoidei),
Rubus lictorum sp. nov. (series Subcanescentes), Rubus
remotifolius sp. nov (series Subcanescentes). Alle vier
Arten werden durch Fotos der Typus-Belege und durch
Fotos lebender Pfanzen illustriert. Zusätzlich werden
die Variabilität, wichtige diakritische Merkmale und –
falls notwendig – Unterscheidungsmerkmale ähnlicher
Arten kurz beschrieben. Außerdem werden die Verbreitung und die ökologischen Präferenzen dargestellt.
Die Sibirische Schwertlilie (Iris sibirica) ist eine typische Art der Streuwiesen (Molinion caeruleae) am
Bodenseeufer. Der beobachtete Rückgang einiger Populationen wurde zum Anlass genommen, um Veränderungen in der Populationsgröße und der Artenzusammensetzung von Iris sibirica-Wiesen zu untersuchen.
Es wurde hauptsächlich drei Fragen nachgegangen:
1. Wie ist die aktuelle Verbreitung von Iris sibirica und
hat sich der Bestand in den letzten hundert Jahren verändert? 2. Gibt es einen langfristigen Populationstrend
1992-2008? 3. Hat sich die Artenzusammensetzung
der Streuwiesen mit Iris sibirica-Wiesen zwischen den
zwei untersuchten Zeitperioden 1988-1993 und 2003-
2009 verändert?
Um die Änderung der Häufigkeit zu untersuchen, wurde
die aktuelle Verbreitung von Iris sibirica mit Literaturangaben
verglichen. Zudem wurden die Monitoring-
Daten des Naturschutzbunds Deutschland (NABU)
ausgewertet, um den langfristigen Populationstrend
abschätzen zu können. Beim Monitoring wurde in 16
Populationen von 1992 bis 2008 jährlich die Zahl der
Blütenstände ausgezählt. Spearmans Rangkorrelations-
Koeffizienten wurden benutzt, um den Trend zu
schätzen und auf Signifikanz zu prüfen. Um Vegetationsveränderungen
festzustellen, wurden die Vegetationsaufnahmen
beider untersuchter Zeiträume nach
der Methode Braun-Blanquet und mit Hilfe multivariater
Verfahren (Detrended Correspondence Analysis, DCA)
ausgewertet.
Die Zahl der Vorkommen verringerte sich von 25 um
1910 auf 13 nach 2008. Iris sibirica war hauptsächlich
an den Mündungen der Bodenseezuflüsse verbreitet
und kam in einer Höhenlage zwischen 400 und 430 m
NN vor. Die Bestandsentwicklung zeigte keinen einheitlichen
Trend. Die Populationsgröße verringerte sich in
zwei Populationen, während sie in dreien zunahm. Die
Iris sibirica-Wiesen ließen sich in zwei Ausbildungen
unterteilen: eine mit Molinia caerulea und eine mit Thalictrum
flavum. Zwischen 1988-1993 und 2003-2009
fand keine deutliche Veränderung der Artenzusammensetzung
statt. Jedoch wurde eine leichte Zunahme von
Deschampsia cespitosa und Solidago gigantea festgestellt.
Zusammenfassend betrachtet ist Iris sibirica
derzeit im westlichen Bodenseegebiet nicht gefährdet,
obwohl ein Rückgang der Fundorte seit 1910 festzustellen
ist. Die meisten aktuellen Populationen zeigten
keinen Bestandstrend auf oder nahmen sogar zu. Fast
alle Streuwiesen mit Iris sibirica befinden sich in Naturschutzgebieten
und werden aus Naturschutzgründen
einmal im Jahr gemäht.
Es wird das Lebensbild des badischen und württembergischen Malakozoologen Raphael Slidell Freiherr
von Erlanger (*23. Juli 1865, Paris, † 29. November
1897, Heidelberg) aufgezeigt. Der Anlass zur Beschäftigung mit diesem bedeutenden, heute kaum noch bekannten Naturforscher des 19. Jahrhunderts aus Heidelberg ergab sich durch den antiquarischen Erwerb
eines Separatabdruckes seiner Habilitationsschrift.
R. von Erlanger reichte für seine Habilitation alle seine
Publikationen kumulativ ein. Der zweite Teil der Paludina viviparus-Publikation in den Morphologischen Jahrbüchern 1893 wurde dabei aber als Habilitationsschrift
herausgehoben und mit diesem Vermerk separat publiziert. Obwohl Erlanger bereits sehr früh verstorben ist,
hat er mehrere wichtige zoologische und malakozoologische Publikationen vorgelegt. Hierbei ragen seine
Arbeiten über die Kiemenschnecke Viviparus (Mollusca: Prosobranchia) und über Bärtierchen (Tardigrada)
hervor.
Im langjährig foristisch-waldökologisch untersuchten
Schonwaldgebiet Hohes Reisach bei Kirchheim unter Teck im Vorland der Mittleren Schwäbischen Alb
(Baden-Württemberg) treten seit mindestens Ende der
1990er Jahre „Magic Circles“-artige Phänomene auf.
Es handelt sich um meist kreisrunde oder sichelförmige
Lineamente in Bärlauchbeständen, die auf dem selektiven Absterben des in der Umgebung gut wüchsigen
Bärlauchs (Allium ursinum L.) basieren. Es handelt sich
offenbar um ein neuartiges Phänomen.
Lage, Verteilung, Form, Entwicklung, Größe und
standörtliche Grundlagen dieser kreisförmigen Bärlauchblößen werden beschrieben. Ursache ist ein (hexen-) ringartig wachsender Ständerpilz (Basidiomycet),
ein Basidienpilz, dessen Fruchtkörper ein „Schattendasein“ führen: Helicobasidium longisporum. Im Hohen
Reisach-Wald parasitiert er die Zwiebeln von Allium ursinum selektiv und verursacht eine violette Wurzel- und
vor allem Zwiebelfäule. Die als pfanzensystematischer
Typus zuerst von der tropischen Insel Java beschriebene Pilzart tritt wohl als Folge der Klimaerwärmung in
Mitteleuropa und im Untersuchungsgebiet seit ca. ein
bis zwei Jahrzehnten auf, im Hohen Reisach derzeit
massiv. Als Zwischenwirt dienen ihm Birnengitterrostpilze von den benachbarten Streuobstwiesen. Es handelt sich um ein Lebewesen, das in drei verschiedenen
Formen auftritt und das sowohl seinesgleichen, Pilze,
wie außerdem höhere Pfanzen, hier den Bärlauch, parasitiert.
Am 10. Februar 2011 konnte das Natur- und Landschaftsschutzgebiet (NSG/LSG) „Hochholz-Kapellenbruch“ 20 Jahre nach der ersten Ausweisung als Schutzgebiet mit einer neuen Verordnung versehen und um
121 ha NSG-Fläche erweitert werden. Zwanzig Jahre
beharrliche Naturschutzarbeit hatten zu einer beeindruckenden naturschutzfachlichen Aufwertung dieses Teils
der Kinzig-Murg-Rinne zwischen Malsch (bei Heidelberg) und Wiesloch geführt: wo 1991 noch überwiegend
Ackerfächen auf anmoorigen Böden bestellt wurden,
fnden sich heute ausgedehnte Wiesen und Hochstaudenfuren. Weiter ist das Gebiet charakterisiert durch ein
Grabensystem mit gut entwickelten Schilf- und Röhrichtsäumen sowie Schwarzerlen-Eschen-Auwälder und Eichen-Hainbuchen-Sternmierenwälder. Detaillierte vegetationskundliche Kartierungen (Rösch 2009) legten es
nahe, nun auch den zentralen, bisher als LSG geführten
Bereich des Gebietes als Naturschutzgebiet auszuweisen. Die Unterschutzstellung würdigt das Erreichte,
richtet die land- und forstwirtschaftliche Nutzung auf
das naturschutzfachliche Ziel aus, reduziert Störungen
durch Freizeit-Aktivitäten und hilft, den zur Pfege dauerhaft erforderlichen Einsatz von Naturschutzmitteln zu
sichern. Die Wiederbesiedlung mit gebietstypischen
Vogelarten, die teilweise nur noch als Wintergäste zu
beobachten waren, ist angelaufen und wird weiter beobachtet werden.
Zu Beginn der Siebzigerjahre des vorigen Jahrhunderts, im Zuge einer massiven Migrationsbewegung aus Italien in die Schweiz, gründete die italienische Gewerkschaft CGIL (‚Confederazione Generale Italiana del Lavoro‘) in Basel und Zürich eine Schule für italienische Migrantinnen und Migranten. Nach einer ausgedehnten Phase des Wachstums auf dem Bildungs- und
Ausbildungssektor wurde dieses Institut im Jahr 1984 in eine Stiftung schweizerischen Rechts
umgewandelt, die in der Folgezeit nicht nur Kooperationsvereinbarungen mit dem ‚Schweizerischen Gewerkschaftsbund‘ (SGB), sondern auch mit der spanischen Gewerkschaft ‚Comisiones
Obreras‘ (CCOO) (1994) sowie mit der portugiesischen ‚Confederação Geral dos Trabalhadores
Portugueses‘ (CGTP) (1996) einging. Als gemeinnützige Non-Profit-Organisation verfolgt die
heute unter der Kurzbezeichnung ECAP firmierende Einrichtung inzwischen das erklärte
Hauptziel, die Bildung jüngerer wie auch älterer Erwachsener (insbesondere der Migrantinnen
und Migranten) sowie der wenig qualifizierten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in der
Schweiz zu unterstützen, um die private und berufliche Integration zugewanderter Personen tatkräftig zu fördern und so einen aktiven Beitrag für den Erwerb wie auch für die Festigung der
kognitiven Mittel und Kenntnisse zu leisten, die für ein autonomes und verantwortungsvolles
Leben in unserer sich rasch wandelnden modernen Gesellschaft unverzichtbar sind.
Exorzismus, Esoterik und Betrug - frühneuzeitliche Schatzgräberei in Vorarlberg und Liechtenstein
(2011)
In der Frühen Neuzeit erschien das sogenannte Schatzgraben – ähnlich wie etwa die Alchemie oder das Hüten von Alraunen – manchem als eine reale Möglichkeit, die eigenen
Lebensbedingungen rasch zu verbessern. Da
bei der Schatzgräberei aber nicht Grabungstätigkeiten, sondern magisch-religiöse Zeremonien im Vordergrund standen, wird dafür oft
gleichbedeutend der Ausdruck „Schatzbeten“
verwendet. Die begehrten Schätze stellte man
sich entweder wie Lebewesen vor, die man
anlocken und bannen konnte, oder man kannte
bestimmte Orte, wo sie verborgen sein sollten.
Beide Vorstellungen schlossen einander nicht
aus. Manchmal jedoch mussten solche Örtlichkeiten erst durch magische Rituale festgestellt werden. In einem nächsten Schritt galt
es, die Hüter der begehrten Reichtümer zu
bestimmen. Als solche kamen Teufel, die man
zur Preisgabe der Schätze zwingen musste,
oder Geister von Verstorbenen, die sich zu
Lebzeiten etwas zuschulden hatten kommen
lassen, in Frage. Da Letztere auf ihre Erlösung
warteten, konnte die Hebung der von ihnen
gehüteten Schätze als Belohnung für ein gutes
Werk verstanden werden.
Gemeinhin galt der Schwarzwald als spät, nämlich erst hochmittelalterlich besiedelt. Diese
Auffassung wurde in den 80er Jahren erstmals angezweifelt und später durch archäologische
Funde weiter erschüttert. Neuerdings untersuchte, teilweise in die Späte Bronzezeit zurückreichende Siedlungen liegen allerdings in Randlagen des Mittelgebirges, auf Umlaufbergen in den
Tälern von Nagold oder Enz und in typischen Schutzlagen: der Schlossberg von Neuenbürg, der
Rudersberg bei Calw, der Schlossberg von Nagold. Auch die bisher bekannten Bergbau- und
Eisenverhüttungsspuren der Hallstatt- und Latènezeit sind nicht flächig im Nordschwarzwald
verteilt. Sie konzentrieren sich im Raum Neuenbürg/Waldrennach auf wenige Quadratkilometer
in Höhenlagen zwischen 375 und 600 m. Ob aus den neuen archäologischen Befunden auf eine
großflächige Besiedlung und Nutzung zentraler Teile des nördlichen Schwarzwaldes, vor allem
höherer Lagen, geschlossen werden kann, muss derzeit noch offen bleiben.
Baumpflanzungen haben seit alters her eine sehr große praktische wie ideelle Bedeutung für
den Menschen: Bis ins letzte Jahrhundert waren die zahlreichen Funktionen, die Bäume erfüllten, und die vielfältigen Produkte, die sie lieferten, auch in Deutschland mitentscheidend für das
(Über-)Leben der Menschen. Daneben besaßen Bäume einen hohen symbolischen Wert im gesellschaftlichen und spirituellen Leben, und nicht zuletzt prägten sie durch ihre nutzungsbedingt
große Verbreitung auch außerhalb des geschlossenen Waldes das Aussehen der Landschaft. Erst
in den letzten Jahrzehnten haben Bäume ihren Platz in unseren Agrarlandschaften und ihre existenzielle Rolle im Leben der meisten Menschen verloren. Gleichzeitig haben Bäume einen starken Einfluss auf die empfundene Schönheit und das (emotionale) Erleben von Landschaften;
Offenlandschaften mit Gehölzen üben fast immer einen besonderen ästhetischen Reiz auf Menschen aus.
Dieser Beitrag ist einem kleinen, äußerlich eher unscheinbarem Fundgegenstand gewidmet.
Nur selten erfuhren archäologisch-numismatische Fundstücke eine so häufige Beachtung
und wurden dabei in den Einzelheiten wie in ihrer Gesamtheit so kontrovers beurteilt, wie
jenes, das unter verschiedenen, meist nach seiner Herkunft als médaillon de plomb (de Lyon), Lyoner Bleimedaillon, The Lyon Medallion, Bleimedaillon aus der Saône oder nach
seinen Bezugsorten médaillon de Mayence, Mainzer Medaillon, Pariser Medaillon oder
ähnlich lautenden Bezeichnungen in die Literatur eingegangen ist. Der Einfachheit halber
verwenden wir den breit eingeführten Begriff „Medaillon“ weiter, obgleich die Benennung
unzutreffend ist, da es sich nicht um das geprägte Endprodukt, d. h. eine Medaille handelt,
sondern um den Probeabschlag von einem Prägestempel für eine solche. Die Vielfalt der
Bezeichnungen spiegelt zugleich eine Dualität historischer Belange: Gefunden und aufbewahrt in Frankreich spielt das dargestellte Geschehen überwiegend auf dem Gebiet des
heutigen Deutschlands, wenngleich nicht ohne inhaltlichen Bezug nach Westen.
Wenn heute vom „Historischen Kaufhaus“ in Freiburg die Rede ist, werden die meisten an das
mit prächtiger Schaufassade und Ecktürmchen zum Münsterplatz stehende Gebäude denken. In seinem Innenhof und dem sogenannten Kaisersaal im ersten Obergeschoss finden
heute Konzerte und andere Veranstaltungen statt. Der älteste Kern des „Kaufhauses“ steht aber nicht am Münsterplatz, sondern an der Schusterstraße. Hier, in dem sogenannten „Hinteren“ oder „Alten Kaufhaus“, ist noch heute die
Marktaufsicht untergebracht. Während der Außensanierung dieses Bauteils im Sommer 2010
wurde der moderne Putz von den Fassaden zur Schusterstraße und zur Seitengasse (Kaufhausgässle) abgeschlagen. Darunter kamen reiche Baubefunde zutage, die ein neues Licht auf dieses
„Hintere Kaufhaus“ werfen. Weitere Aufschlüsse sind bei der Sanierung der Hoffassade zu erwarten, das Innere konnte bisher nicht untersucht werden.
Ob am Sonntag, dem 14. Mai 1848 die Besucher des badischen Residenztheaters in emotionale
Wallung gerieten, lässt sich nicht mehr ermitteln. Es gibt dazu aus der Karlsruher Presse keine
Berichte. Allerdings ist dies stark zu vermuten, denn man führte „Dorf und Stadt“ auf, jenes
Theaterstück, das in der Saison 1847/48 in
allen Staaten des Deutschen Bundes sensationellen Zuspruch erfuhr und bis dato nicht erlebte Besucherscharen ins Theater lockte. Geschrieben hatte es die heute völlig unbekannte
Charlotte Birch-Pfeiffer (1800–1868), damals
Starautorin des deutschen Theaters. Während
ihr Rührstück die Verbrüderung zweier gegensätzlicher Lebenswelten zelebriert, waren
an fast gleicher Stelle nur zwei Monate zuvor
politische Welten aufeinandergestoßen, und
dies macht den besonderen Reiz des Karlsruher „Theaterfrühlings“ aus. Am 1. März 1848
nämlich erhoben Tausende Anhänger der freiheitlich-demokratischen Bewegung um den
charismatischen Advokaten Friedrich Hecker
vor dem Badischen Landtag im Karlsruher
Ständehaus die Forderungen der vorangegangenen Mannheimer Versammlung: Abschaffung von Adelsprivilegien und Befreiung der
Bauern. Der sogenannte Karlsruher „Petitionensturm“ bildete in Baden den Auftakt zur
„Märzbewegung“, und die Massenpräsenz von
nahezu 20.000 Demonstranten signalisierte
das Mobilisierungspotential der jungen Demokratiebewegung.
In zahlreichen Berichten aus dem 19. Jahrhundert wird der schlechte Zustand der Wälder moniert und es werden Maßnahmen zur Verbesserung des Waldzustandes vorgeschlagen. Solche
historischen Aussagen führten in den 1990er Jahren zur sogenannten „Holznotdebatte“. Beteiligt waren Vertreter der klassischen Forstgeschichte, die diese Quellen als Belege für eine übernutzungsbedingte Degradation der Wälder im 19. Jahrhundert interpretierten. Historiker warfen
ihnen eine Fehlinterpretation der zeitgenössischen Aussagen vor. Es sei zu berücksichtigen,
dass diese Quellen die Sicht der Obrigkeit wiedergeben würden, und diese sei in erster Linie an
der Durchsetzung von Nutzungsbeschränkungen und der Disziplinierung der Untertanen interessiert gewesen. Die Holznotdebatte belebte die forstgeschichtliche Forschung und es konnte
schließlich eine differenzierte Sicht bezüglich der Knappheit der Ressource Holz gewonnen
werden.
Vor 80 Jahren übertrug man Georg Kraft zum
1. Juli 1930 offiziell die Leitung der archäologischen Denkmalpflege für Südbaden. Diesen Beschluss, der sich in den Akten des
Denkmalpflegereferats in Freiburg findet,
fasste der Ausschuss für Ur- und Frühgeschichte Badens am 30. Juni 1930. Als 1922
das Ministerium die staatliche Denkmalpflege
auf dem Gebiet der Ur- und Frühgeschichte
neu organisierte und den Ausschuss für Ur- und Frühgeschichte schuf, übernahm Geheimrat Prof. Dr. Wilhelm Deecke (1862–1934),
von Haus aus Geologe, dessen Geschäftsführung. Er fungierte als wissenschaftlicher Berater des Ministeriums, unterbreitete Vorschläge
bezüglich des Ausgrabungsprogramms und
für die Bestellung der ehrenamtlich tätigen
Pfleger. Rückblickend betrachtet hat Deecke
die Anfänge für eine funktionierende Denkmalpflege gelegt, die Georg Kraft 1926 aufgegriffen und in eigener Regie weiterentwickelt hat.
Vocalis
(2011)
Die Diskussion um die Nutzung des Hohenaspergs ist keine Angelegenheit der jüngsten Gegenwart. Vor fast 130 Jahren, am 5. Juni 1882, führte Justizminister Eduard
von Faber (1822–1907) vor dem Abgeordnetenhaus in Stuttgart aus: »Bekanntlich ist
für die derzeit auf Hohenasperg befindliche Garnison eine neue Kaserne in Heilbronn erbaut worden. Nach den Mitteilungen, die ich besitze, wird die Übersiedlung
voraussichtlich im nächsten Frühjahr, keineswegs übrigens vor Georgii, stattfinden.
[…] Unter den verschiedenen möglichen Verwendungen für erhebliche Staatszwecke,
welche nach dem Abzug der Garnison in Betracht kommen können, wird vielleicht
auch mitinbegriffen sein die Verwendung des Aspergs oder eines Theiles desselben
zu einer Filialstrafanstalt für Zuchthaussträflinge oder Landesgefängnissträflinge, was
einigermaßen nahe gelegt ist durch die bedauerliche Überfüllung unserer sämtlichen
Strafanstalten. Allein, meine Herren, in dieser Hinsicht ist sehr große Vorsicht geboten. Der Asperg ist, das wird sich nicht bestreiten lassen, für die Zwecke einer Strafanstalt sehr wenig geeignet. Ich erinnere nur an die große Schwierigkeit der Beschaffung des Trinkwassers, welches gegenwärtig täglich per Fuhre vom Thal zu Berg
heraufbefördert werden muß. Und an die ständigen Kosten, welche hiemit verknüpft
sind. Ich erinnere ferner an die Erschwerung und an die Hindernisse, welche einer
Strafanstalt für ihren Gewerbebetrieb erwachsen, wenn die Strafanstalt auf einem isolierten Bergkegel liegt.«
Trotz aller Bedenken fiel die Entscheidung zugunsten des Strafvollzugs. Am 3. Juni
1883 bewilligten die Standesherren den Nachtrag von 91 440 Mark zur »Errichtung
einer Filialstrafanstalt des Zuchthauses in Ludwigsburg auf Hohenasperg« ohne Debatte.
Am 13. November 1897 versammelte sich im Ludwigsburger Bahnhotel eine respektable Runde von Honoratioren der Stadt, um den »Historischen Verein für Ludwigsburg und Umgebung« zu gründen. Der neue Verein, der heute »Historischer Verein
für Stadt und Kreis Ludwigsburg« heißt, erhielt natürlich auch eine Satzung. In dieser
Satzung wird als Aufgabe und Zweck des Vereins definiert, »die Geschichte Ludwigsburgs und der Umgebung zu erforschen […] und den Sinn für Altertumskunde zu
wecken und zu pflegen«. Dieses Ziel sollte unter anderem mit öffentlichen Vorträgen
und mit der »Herausgabe einer unter dem Titel ›Ludwigsburger Geschichtsblätter‹ erscheinenden Vereinsschrift« erreicht werden.
Maßgeblicher Initiator und der eigentliche Spiritus rector des neuen Vereins war
Christian Belschner, der dann auch im November 1899 in der Nachfolge von Oberbürgermeister Gustav Hartenstein zum 1. Vorsitzenden des Vereins gewählt wurde.
Christian Belschner war es dann auch, der im Jahre 1900 im Auftrag des Vereins den
ersten Band der »Ludwigsburger Geschichtsblätter« herausgab. Das in der »Kgl. Hofbuchdruckerei Ungeheuer & Ulmer« hergestellte Heft enthält auf 87 Seiten sechs
Beiträge, die sich mit unterschiedlichen Themen aus der Heimatgeschichte befassen.
Drei Beiträge hat Belschner selbst beigesteuert: einen mit dem Titel »Kurze Geschichte
der Entstehung der Stadt Ludwigsburg«, die zwei anderen handeln von der Schulgeschichte Ludwigsburgs und von »Reichsgraf Johann Carl von Zeppelin und sein
Grabmal«. Es ging freilich nicht nur um Ludwigsburger Geschichte. Der Verein nahm
seinen Namenszusatz »für Ludwigsburg und Umgebung« von Anfang an sehr ernst.
Dies verdeutlichen namentlich der Aufsatz von Dr. Karl Weller, der den Lesern des
ersten Ludwigsburger Geschichtsblattes »Die wirtschaftliche Entwicklung der Ludwigsburger Landschaft bis zur Gründung der Stadt« vorstellte, und der Beitrag »Einiges über das Straßenwesen im Herzogtum Wirtemberg und der Bau der Landstraße
Stuttgart–Kornwestheim–Ludwigsburg« von Oberpostsekretär Dr. Friedrich Haaß.
Jeder Historiker, der sich mit seinen Forschungen in der Zeit zwischen 1550 und 1900
bewegt, stößt über kurz oder lang auf einen Quellenbestand, der einerseits weit
verbreitet, andererseits aber besonders spröde ist und deshalb häufig nur als Nachschlageregister für klar umgrenzte Fragestellungen, meist aus dem Bereich der
Personengeschichte, benutzt wird: die Kirchenbücher, die früher in allen Kirchengemeinden vorhanden waren, heute aber zumeist in den kirchlichen Archiven bewahrt
werden. Dass diese Quellen häufig mehr enthalten als Auskünfte zum Familienstammbaum, ja, dass sie teilweise eine vielseitig befragbare Quelle darstellen, möchte
ich Ihnen heute Abend an einigen Beispielen aufzeigen.
Weit über die Grenzen Baden-Württembergs hinaus ist der Markgröninger Schäferlauf als traditionsreiches Heimatfest bekannt. Er »gehört« zu Markgröningen wie das
Marzipan zu Lübeck oder die »Berliner Luft« zur Bundeshauptstadt. Jahr für Jahr
zieht das Fest rund 100 000 Besucher an, und für viele Bewohner des Landkreises ist
zumindest ein Besuchstag am Wochenende ein absolutes Muss, da jeder seine ganz
persönlichen Erinnerungen mit dem historischen Fest verbindet. Der Schäferlauf
weist im Vergleich zu den anderen historischen Festen im Landkreis, etwa dem Bietigheimer oder Ludwigsburger Pferdemarkt, mehrere Besonderheiten auf. Dazu zählen der barfüßige Wettlauf als Relikt des Zunfttreffens, die mittelalterlichen Wettspiele auf dem Stoppelfeld zur Volksbelustigung, das Festspiel »Der treue Bartel« sowie
die Existenz spezieller Gruppen und Vereine, die wesentliche Elemente des Festes gestalten. Das Heimatfest lebt und zum Leben gehört der Wandel. Deshalb reicht der
zeitliche Rahmen des Beitrags bei einzelnen Themen bis in die Gegenwart hinein.
Wochen vorher schon bereitet sich die Stadt auf das Fest vor, das alljährlich um den
24. August herum, dem Bartholomäustag, stattfindet. Bunte Fähnchengirlanden empfangen die Besucher. Die Hausfrauen blasen zum Generalputz und bringen die Kochplatten
und Backöfen in der Vorfreude auf zu bewirtende Gäste zum Glühen. »Echte« Markgröninger haben nun Stress: Sie müssen zur Schäfertanz- oder Musikvereinsprobe, den Text
fürs Festspiel lernen, Stände für die Bewirtung aufbauen, Festwagen schmücken, Schäferkleidchen nähen oder fürs Wassertragen üben. Die Stadt befindet sich Ende August in
einem sympathischen Ausnahmezustand: Markgröningens fünfte Jahreszeit bricht an.
Wenn ungeachtet dieser Bedeutung des Festes über dessen Ursprung und die damit
verbundene Entstehung einer landesweiten württembergischen Schäferzunft bislang
wenig publiziert wurde, so liegt das an der schwierigen Quellenlage. Im Bereich der
Volkskunde gibt es, insbesondere was die unteren sozialen Schichten anlangt, kaum
schriftliche Aufzeichnungen. Sind dennoch welche aufzufinden, was hier Gott sei
Dank der Fall ist, entstanden sie meist anlässlich von Streitigkeiten, weil »altes Herkommen« von der Obrigkeit nicht mehr geduldet wurde.
Vor etwas mehr als 1000 Jahren, am 17. März 1009, bestätigte Kaiser Heinrich II.
Bischof Walter von Speyer den Markt in dem Dorf, das gemeinhin »Marcpach«
genannt wurde und im Murrgau lag. Der Markt wurde von den Marktherren, den Bischöfen von Speyer, nicht ohne Grund gefördert, da sie so durch Zölle und Abgaben
ihre Einkünfte steigern konnten. Durch einen Markt wurde das einstige Dorf aus der
Reihe der umliegenden Dörfer herausgehoben, die meistens älter und sicher größer
waren. Marbach konnte sich nun neben das Dorf Murr, das damals den kirchlichen
Mittelpunkt bildete, auch neben Steinheim, das führend in der Hardt-Genossenschaft war, und neben Großingersheim, das als alter Grafensitz die Gerichtsstätte des
Murrgaus hatte, stellen. Der Ort erhielt die Möglichkeit, große Bedeutung als wirtschaftlicher Mittelpunkt zu erlangen. Doch dies trat, aus welchen Gründen auch
immer, nicht nachhaltig ein.
Rund drei Jahrhunderte erfahren wir dann nichts mehr von einem Marbacher
Markt. Inzwischen wurde dort, wo sich noch heute die Altstadt befindet, Ende des
12. Jahrhunderts durch die Markgrafen von Baden eine Siedlung angelegt, die bald
Stadtrechte erhielt. Nach einigen Wechseln kam Marbach 1302 an Württemberg. Den
Mittelpunkt der Stadt bildete der 1304 genannte Markt im Bereich des heutigen Rathauses. Hier dürfte an Markttagen ein reges Leben geherrscht haben. Ob Marbach
Anfang des 14. Jahrhunderts bereits ein Rathaus besaß, erscheint fraglich.
Zu den legendären Gestalten des »Wilden Westens« gehört der Revolverheld William
Bonney (1859–1881), den man allgemein »Billy the Kid« nannte. Er verdankt seine
Berühmtheit einer bürgerkriegsähnlichen Auseinandersetzung in der kleinen Stadt
Lincoln im US-Bundesstaat New Mexico im Sommer 1878. Drei Jahre nach diesem
bewaffneten Konflikt wurde Billy the Kid von Sheriff Pat Garrett erschossen. Im
Nachhinein verklärten ihn Schriftsteller, Musiker und Filmleute zu einem »Robin
Hood des 19. Jahrhunderts« und schufen so den Mythos, der den Westernhelden bis
heute umgibt. Inzwischen sind Hunderte von Büchern über Billy the Kid erschienen,
und auch der Bürgerkrieg im Lincoln County (»Lincoln County War«) konnte durch
neuere Forschungen genauer rekonstruiert werden. Auslöser dieses gewalttätigen
Konflikts war der Nachlass des auf der Domäne Monrepos geborenen Emil Fritz.
Aber es gibt noch weit mehr Bezüge zum Königreich Württemberg, die mitten hinein
führen in die unmittelbare Umgebung der königlichen Familie.
Die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts, insbesondere die Zeit nach dem Wiener Kongress 1815, wird gern und oft als »gute alte Zeit« bezeichnet. Mit ihr verbinden sich
die Bilder kleinbürgerlicher Idyllen der Biedermeierzeit, wie sie uns beispielhaft von
den Gemälden Carl Spitzwegs oder Ludwig Richters bekannt und vertraut sind. Aber
war die Zeit wirklich gut?
Es war eine Zeit des Umbruchs und des Aufbruchs. Auf der einen Seite wehte seit
dem Tod König Friedrichs I. ein liberalerer Geist durch das Land Württemberg. Das
Bürgertum erstarkte, entdeckte sich selbst, traf sich in Vereinen. Neue Handwerksbetriebe wurden gegründet, zögerlich begann das Zeitalter der Industrialisierung. Auf
der anderen Seite hatten die gerade überstandenen napoleonischen Kriege die Bevölkerung durch Truppendurchzüge, Einquartierungen, Kriegsdienste, Requirierungen
und zusätzliche Steuerlasten ausgeblutet. Die langsam spürbare Erholung wurde
1816 von katastrophalen Missernten und einer in dieser Höhe noch nie gekannten
Teuerung jäh unterbrochen. Erwerbslosigkeit und Bettel, tiefste Armut, Hungersnöte
sowie Verwahrlosung waren die Folge und lasteten auf dem gerade zehn Jahre jungen
Königreich Württemberg.
In dieser Situation übernahm König Wilhelm I. Ende Oktober 1816 die Regierung
des Landes. Angesichts der bedrückenden Verhältnisse entwickelte die junge Königin
Katharina Ende 1816 einen Plan zur Bekämpfung der allgemeinen Not durch Gründung
eines Wohltätigkeitsvereins mit einer Zentralleitung in Stuttgart und der Aufgabe,
die öffentliche Staatsfürsorge und die freiwillige Privatfürsorge auf dem Gebiet der
Wohlfahrtspflege anzuregen, zu fördern und zu koordinieren.
In der südöstlichen Ecke des Alten Friedhofs von Ludwigsburg befindet sich das vom
ehemaligen Sanitätsverein gestiftete Denkmal für jene deutschen Soldaten, zeitgenössisch als »Krieger« bezeichnet, die den Sieg im Deutsch-Französischen Krieg von
1870/71 mit ihrem Leben bezahlten und in der württembergischen Garnisonsstadt
bestattet wurden. Man erreicht das Denkmal in wenigen Schritten, wenn man sich,
vom Eingang in der Schorndorfer Straße kommend, nach rechts wendet. Dabei passiert man die neugotische Friedhofskapelle mit dem Mahnmal für die Toten des Zweiten Weltkriegs, die Gräber deutscher Gefallener des Ersten Weltkriegs und das dazugehörige Denkmal. Zwanzig Schritte südlich des Kriegerdenkmals befindet sich ein
Denkmal zur Erinnerung an die in Ludwigsburg verstorbenen französischen Soldaten
der Jahre 1870 und 1871. Ebenfalls in der Nähe des Denkmals, an der Nordseite der
alten Friedhofskapelle, ist eine 1876 von der Stadt gestiftete Erinnerungstafel für sieben in Frankreich gefallene Ludwigsburger zu sehen.
So wie in Ludwigsburg gibt es wohl in fast jeder deutschen Stadt Straßennamen
oder Denkmäler, die an den deutschen Sieg von 1870/71 erinnern. Dennoch ist der
Deutsch-Französische Krieg von 1870/71 heute, wie die beiden anderen deutschen
Einigungskriege der Jahre 1864 und 1866, im allgemeinen Bewusstsein kaum noch
präsent. Dass uns dieser Krieg heute sehr weit entfernt vorkommt, liegt sicher an der
Fülle an Ereignissen, die ihm folgten und die von noch größerer Bedeutung für
Deutschland und die Welt waren: Der Erste Weltkrieg und der Zweite Weltkrieg haben
den Krieg von 1870/71 weitgehend vergessen machen lassen, wie sich auch am Beispiel der Denkmalgruppe auf dem Alten Friedhof von Ludwigsburg anschaulich zeigen lässt. Neben den beiden Gedenkstätten zu den Weltkriegen wirkt das Denkmal
für die deutschen Toten von 1870/71 trotz seiner Größe an den Rand gedrängt und
in seiner historistischen Stilmischung aus antikisierenden Formen und vaterländischer Symbolik aus der Zeit gefallen. Das französische Denkmal ist sogar hinter Bäumen halb versteckt und nur zu finden, wenn man es gezielt sucht.
Die Ortenau. - 91 (2011)
(2011)