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Simultaneen
(2017)
Als erstes sei ein Beispiel für ein Simultaneum (Simultankirche) gegeben: Die evangelisch/katholische Kapelle des Städtischen Klinikums in Karlsruhe, integriert in dessen historisches Verwaltungsgebäude an der Moltkestraße, das sogenannte Torhaus, das zwischen 1900 und 1909 erbaut wurde. Ein Architekturführer gibt das Wesentliche wieder:
„Der Eingang zum ‚Betsaal‘ – er mu[ss] ja beiden Konfessionen dienen – im Verwaltungsbau des Städtischen Klinikums ist recht aufwendig gestaltet; der bürgerlichen Einrichtung des Klinikums entsprechend selbst zu dieser Zeit noch im Formenvokabular der Renaissance. […] Das Thema des Reliefs [über dem Eingang, der Verf.] ist mit Bedacht dem Thema der gesamten Anlage entsprechend gewählt: der barmherzige Samariter, eine figurenreiche Szene, die als Galvanoplastik ausgeführt wurde.“ Der Andachtsraum „muss beiden Konfessionen dienen“, wie es im Zitat lautet. Ihnen ist der Raum durch den Anstaltsträger zur gemeinsamen, simultanen Nutzung überlassen, aber nicht zur gleichzeitigen, sondern zur alternierenden. Für nichtkonfessionelle Krankenhäuser ist das typisch, wie generell die sogenannte Anstaltskapelle den modernen Regelfall simultanen Gebrauchs von Kultusräumen darstellt. Und gar so modern ist diese Entwicklung nicht, wie das über einhundertjährige Karlsruher Beispiel des „Bürgerspitals“ zeigt, aber auch die ursprüngliche Kapelle des Karlsruher Gefängnisbaus aus derselben Epoche (1894–97).
„Zu ihrem Gedächtnis“
(2017)
„Hilde Bitz gekannt zu haben, ist ein Privileg und bleibend Grund zur Dankbarkeit.“ So formulierte es Prälat Traugott Schächtele bei der Beerdigung der Mannheimer Pfarrerin am 1. August 2017 und sprach damit der großen Trauergemeinde aus der Seele. Ähnlich werden es wohl die Theologinnen und die Kirchenhistoriker/innen
empfinden. Nach Maria Heinsius (1893–1979) war sie die Kirchenhistorikerin, die sich mit Frauengeschichte in der badischen Kirchengeschichte befasst hat. Dabei konzentrierte sie sich im Wesentlichen auf die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts, näherhin auf die Geschichte der frühen evangelischen Theologinnen.
Der kürzere Teil des Tagebuchs von Clara Faisst, der die unmittelbare Nachkriegszeit bis zur Jahreswende 1919/20 umfasst und mit der Novemberrevolution beginnt, weicht deutlich von den Schilderungen der Kriegszeit ab, die neben der scharfsichtigen und scharfzüngigen Schilderung gesellschaftlicher Erscheinungsformen und Defizite in anekdotenhaftem Stil zahlreiche Einzelschicksale vorstellte. Wer nun eine Reflexion der Revolutionsereignisse in Baden erwartet, wird enttäuscht, denn über die Revolution weiß Clara Faisst nur wenig zu berichten. Klar wird indessen ihre Ablehnung der revolutionären Umwälzung insbesondere dort, wo sie die Minister der neuen Regierung in despektierlicher Weise „vorführt“. Vielmehr geht es Clara Faisst um die Frage, wie die katastrophale Niederlage zu bewältigen ist, und
wie sie vor allem aus christlicher Perspektive zu verstehen ist. Dabei wird deutlich, dass Gott für die Bewältigung der gesellschaftlichen und politischen Krise der Gegenwart in gleicher Weise in Anspruch genommen wird, wie dies bereits in der Kriegszeit mit der Hoffnung auf Gottes Beistand und den Sieg geschehen war.
Hans-Thoma-Preis 2023
(2023)
Alle zwei Jahre wird in Baden-Württemberg der Hans-Thoma-Preis an Bildende Künstler*innen verliehen, womit eine Ausstellung in Bernau, dem Geburtsort des Malers Hans Thoma (1839-1924), verbunden ist. Den Preis erhielt am 13.8.2023 der Künstler Marcel van Eeden. Das zuständige Ministerium erklärte: „Erstmals sprach die Jury den Hans-Thoma-Preis einem Künstler zu, der sich der Künstlerischen Forschung verschrieben hat.“ Seine Ausstellung „1898“, erhob den Anspruch, anhand einer Reise von Thoma in die Niederlande „erstmals den problematischen Einfluss des völkisch gesinnten Kulturtheoretikers Julius Langbehn auf Thoma in den Blick“ zu nehmen. Die Kuratorin der Kunsthalle Karlsruhe Leonie Beiersdorf führte die Recherchen durch und schrieb einen Katalogtext. Marcel van Eeden behauptet, dass die Ergebnisse seiner Forschung belegen, dass Hans Thoma Antisemit sei. Er und Leonie Beiersdorf leiteten daraus die Forderung nach Umbenennung des Hans-Thoma-Preises ab. Falls die Forderung nach Umbenennung des Hans-Thoma-Preises Erfolg hätte, würde dies eine Ächtung des Malers bedeuten, die weitgehende Folgerungen in ganz Deutschland hätte. Seine Präsenz in Museen, die wissenschaftliche Beschäftigung mit ihm, die Benennung von Schulen, Straßen, Apotheken etc. nach ihm würden ebenfalls skandalisiert. Das zuständige Ministerium sagte erst eine Einbeziehung der Zivilgesellschaft und anderer Akteure in die Diskussion zu. Inzwischen gibt es Hinweise darauf, dass es die Umbenennung ohne vorherige Diskussion durchführen möchte. Dieser Artikel vertritt die Meinung, dass die Thesen von Eeden/Beiersdorf falsch sind, dass trotz einzelner problematischer Aussagen von Hans Thoma seine Charakterisierung als Antisemit unbegründet ist und dass der Aktivismus von Eeden/Beiersdorf über den konkreten Fall hinaus problematisch ist. Die kritischen Punkte werden detailliert dargestellt, um Interessierten zu ermöglichen, mit geringerem eigenem Recherche Aufwand in die Diskussion einzusteigen. Da van Eeden von „künstlerischer Forschung“ spricht, und Leonie Beiersdorf in der Praxis ihrer Beiträge gravierend von den Standards kunsthistorischer Forschung abweicht, wird ihre gemeinsame praktizierte Methodik als „Künstlerische Forschung“ bezeichnet und als Fallbeispiel untersucht. Nach heutigem Forschungsstand müssen sich weder Kunstbetrachter*innen noch das Land Baden-Württemberg oder vergangene und zukünftige Preisträger*innen für Hans Thoma und den nach ihm benannten Preis schämen. Eine Umbenennung des Hans-Thoma-Preises ist deshalb nicht erforderlich. Für das dringend notwendige Zurückdrängen des Antisemitismus gibt es heutzutage ganz andere virulente Betätigungsfelder.
Am 31. Januar 2016 ging die Geschichte der Freiburger Lutherkirche als Sakralgebäude im Rahmen eines feierlichen Entwidmungsgottesdienstes unter Teilnahme der südbadischen Prälatin Dagmar Zobel zu Ende. Damit verlor die Evangelische Kirche in Freiburg ihr größtes Kirchengebäude und gleichzeitig die einzige protestantische Kirche, die sich an einem der großen, belebten Plätze der Stadt, nämlich dem Friedrich-Ebert-Platz, befand. Damit endete die fast einhundertjährige Geschichte der Freiburger Lutherkirche, deren erster, 1919 eingeweihter Bau, beim Großangriff auf Freiburg am 27. November 1944 vollständig zerstört worden war. Der unter großen Opfern in den Nachkriegsjahren wiederrichtete Kirchenbau war am 14. Juni 1953 im Beisein des damaligen badischen Landesbischofs Julius Bender eingeweiht worden. Der Entwidmung vorausgegangen war eine fast fünfzehnjährige Diskussion, ob und wie das Areal der Lutherkirche zu verwenden sei. Schon lange war klar, dass die Lutherkirche mit mehr als 800 Plätzen für die stets rückläufige Zahl an Gottesdienstbesuchern und Gemeindegliedern viel zu groß war. Nach langen Verhandlungen ging die Lutherkirche dann 2016 auf Basis von Erbpachtzins an das Freiburger Universitätsklinikum, das im Innern des großen Kirchenraumes einen zentralen Hörsaal für Medizinstudierende einbaute. Der Korpus der Lutherkirche sowie der Glockenturm
mit dem Geläut blieben erhalten, so dass das äußere Erscheinungsbild der Lutherkirche bleiben wird, wenngleich nicht mehr in Funktion als Kirche.
Durch Vermittlung von OKR i.R. Gerhard Vicktor konnte der Landeskirchlichen Bibliothek durch Dr. Klaus Hommel aus Heidelberg eine wertvolle Bibelausgabe als Geschenk übergeben werden, nämlich eine Bibel des Frankfurter Verlegers Balthasar Christoph Wust (des Älteren) aus dem Jahre 1665. Nach Angaben des Titelblattes handelt es sich aber um eine Wittenberger Bibelausgabe, denn ihr wurde ein Vorwort von 1660 vorangestellt, das die Wittenberger Theologen für eine in Wittenberg im Oktavformat 1661 gedruckte Bibelausgabe verfasst hatten. Woher kam diese Verbindung des Frankfurter Verlegers nach Wittenberg? Balthasar Christoph Wust wurde 1630 als Sohn des Wittenberger Buchhändlers Christian Wust geboren. 1554 heiratete er die Tochter des Frankfurter Buchdruckers Kaspar Rödel; 1656 übernahm er dessen Druckerei. Um seinen Betrieb vor dem Konkurs zu retten, ging er 1668 eine Verlagsgemeinschaft mit Johann David Zunner ein. 1680 beschäftigte er immerhin 24 Setzer und Drucker, stand aber 1684 abermals vor einem Bankrott. Wust starb im Jahre 1704.
Aus dem Bericht des Diözesanausschusses Baden-Baden im Jahre 1914: Das Bezirksfest der Äußeren und Inneren Mission, das am Sonntag, dem 21. Juni 1914, nachmittags in der freundlichen kleinen Kirche zu Gaggenau unter zahlreicher Gemeindebeteiligung und schönem Mitwirken des dortigen Kirchenchors gefeiert werden konnte, war noch vom Hauch des Friedens umweht. [...] Eine stimmungsvolle Nachfeier hielt die von auswärts zum Fest Gekommenen noch eine frohe kleine Weile mit den heimischen Festgenossen zusammen. Ob freilich die Eindrücke diesmal irgendwie haftend waren, wer will dies sagen? denn kurze Zeit darauf brach der ungeheure Kriegsorkan über uns herein, riss alles Empfinden, alle Gedanken, alle Kräfte an sich und beherrscht seither mit seinen gewaltigen Sturzwellen unser ganzes Leben.
Phänomen und Begriff der Vermittlungstheologie sind Teil der Kirchen- und Theologiegeschichte des 19. Jahrhunderts. Schon klassisch ist die Charakterisierung Emanuel Hirschs: „Die vornehmsten Verkörperungen des allgemeinen Typus dieser Theologie sind der Schleiermacher befreundet gewesene Carl Immanuel Nitzsch […], wohl der angesehenste Theologe und Kirchenmann der altpreußischen Union im zweiten Drittel des Jahrhunderts, und dann Karl Ullmann […], der angesehenste süddeutsche Theologe. Nitzsch‘ […] ‚System der christlichen Lehre‘ (1829, 1851) ist die beliebteste Dogmatik ihres Menschenalters. Ullmanns Schriften ‚Die Sündlosigkeit Jesu (1828, 1863) und ‚Das Wesen des Christenthums‘ (1845, 1865) gehören zu den meist gelesenen theologischen Büchern jener Jahre.“ Fasst man das Anliegen der genannten Werke zusammen, so konkretisiert sich, was mit den die Theologie prägenden Vermittlungen gemeint ist: Es geht um die Vermittlungen des konfessionellen Erbes innerhalb des Protestantismus, von Luthertum und Reformiertentum. Darin steckt die Nähe der Vermittlungstheologie zur systematischen Begründung und Ausgestaltung der Union. Es geht aber auch um die Vermittlung der Subjektivität des religiösen Bewusstseins im Gefühl mit der Objektivität der Lehre im Begriff, also um nichts Geringeres als die Vermittlung von Schleiermacher und Hegel. Es geht weiter um die Vermittlung von Wissenschaft und Glaube in der Theologie selbst und (sich daraus entwickelnd) um die Vermittlung von Glaube und Kultur, wie sie den Liberalismus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts prägte. Carl Ullmann steht selbst und persönlich für die schmerzhafte Ablösung der neuen liberalen „Vermittlungen“ von der alten Vermittlungstheologie.
Sehr herzlich möchte ich Sie am heutigen Abend zur dieser Veranstaltung begrüßen, die für manche unter Ihnen hinsichtlich ihrer Zielsetzung vielleicht noch etwas kryptisch geblieben ist. Doch immerhin so konkret waren ein Bild, ein Gemälde und vor allem ein Name auf unserer Einladung, dass Sie heute Abend da sind und vielleicht doch gespannt, was sich hier in der nächsten Stunde ereignen mag. Im Folgenden möchte ich Ihnen in der notwendigen Kürze, aber auch klar genug
vorstellen, was heute Abend und in Zukunft unter einer Oberrheinischen Sozietät verstanden werden soll und – gerne gebe ich es zu – für diese Ihr Interesse wecken. Nach einem weiteren Musikstück möchte ich – gleichsam als erste Aktion dieser
dann eröffneten Oberrheinischen Sozietät – eine Veröffentlichung, nämlich die neueste Veröffentlichung von Professor Eike Wolgast vorstellen, eine Aufsatzsammlung, die vom Verein für Kirchengeschichte in der Evangelischen Landeskirche in Baden verantwortet wird. Ich freue mich, dass dazu auch ein Vertreter des Kohlhammer-Verlages, Herr Dr. Sebastian Weigert, unter uns ist und das Wort ergreifen wird. Ich begrüße Sie sehr herzlich.
Ich möchte im Folgenden drei ausgewählte Ergebnisse meines Buches „Möge Gott unserer Kirche helfen!“ Theologiepolitik, ,Kirchenkampf’ und Auseinandersetzung mit dem NS-Regime: Die Evang. Landeskirche Badens, 1933–45 (Stuttgart 2015)
zur Diskussion stellen: Erstens, die Intaktheitsthese, zweitens die Neubewertung der Wiederausgliederung der Landeskirche aus der Reichskirche, drittens die Bedeutung der Stärke des aus der kirchlich-positiven Vereinigung hervorgegangenen Bekenntnismilieus im Kirchenkampf vor und nach Einrichtung der Finanzabteilung 1938. Lassen Sie mich wie schon in meinem Vortrag aus Anlass der Buchvorstellung in der Christuskirche am 18. Oktober letzten Jahres nochmals ausdrücklich zweierlei feststellen: Zum einen etwas zur Motivation. Ich habe mit der Studie keinerlei geschichts- oder erinnerungspolitische Agenda verfolgt, vielmehr ein rein zeitgeschichtliches Interesse. Es handelt sich um Ergebnisse eines DFG-Projekts, das der Kollege Jochen-Christoph Kaiser, Fachbereich Ev. Theologie/Kirchengeschichte der Philipps-
Universität Marburg, und ich als Neuzeit- und Allgemeinhistoriker der Universität Karlsruhe im sogenannten KIT eingeworben und durchgeführt haben. Um hier kein Missverständnis aufkommen zu lassen: Unser Anliegen und Interesse ist es, die kritische Aneignung der NS-Geschichte zu befördern, und zwar durch eine Differenzierung der Bewertung an einem konkreten Beispiel. Dies wird für die Glaubwürdigkeit zeitgeschichtlicher Vermittlung immer wichtiger, weil wir Zeithistoriker mit einiger Sorge beobachten, dass mit wachsendem Abstand zur NS-Zeit eine oft kenntnisarme, rein moralische Ex-post-Betrachtung einem kontextualisierenden Verständnis des nationalsozialistischen Zivilisationsbruchs vor allem bei Jüngeren zunehmend im Weg steht, die darauf mit Indifferenz und Ablehnung reagieren. Der Historiker ist weder ein anklagender Staatsanwalt noch ein verteidigender Advokat oder gar spruchfällender Richter, sondern ein rückwärts gewandter Prophet vorletzter Dinge, der versucht, Menschen in ihrer Zeit zu verstehen.