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Dr. Paul Wolff (1887–1951)
(2019)
Im Jahr vor seinem Tod schrieb der Fotograf und Arzt Dr. Wolff seine Autobiografie, in der er sich vor allem seinem Leben
mit der Kamera, besonders der legendären Leica, widmete, die ihn berühmt und erfolgreich gemacht hatte. Industrielle, Politiker, Arbeiter und Kinder – alle hatte er mit seinen Objektiven in typischen Posen erfasst und auf Celluloid (früher auf Glasplatten) gebannt. Seinen Rückblick auf ein abenteuerliches, arbeitsreiches Leben begann er mit der Schilderung seiner
Kindheit in Lothringen, das damals zum deutschen Kaiserreich gehört hatte, und der anschließenden Jugendzeit in Straßburg.
Straßburg und Bad Rippoldsau
(2019)
Bad Rippoldsau lag und liegt idyllisch und recht abgeschieden, heute in einer Art Dornröschenschlaf – trotzdem dass der Ort
noch lange deutlich vom Nachruhm der großen „Goeringer-Zeit“ (vom Ende des 18. Jahrhunderts bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts) zehren konnte. Und zwischenzeitlich durch die „Schwestern der Liebe vom kostbaren Blut“ und die zur Zeit
ihres Bestehens erfolgreiche Klinik Bad Rippoldsau das medizinische Bäderwesen bis zur Gesundheitsreform in den 90er
Jahren des vorigen Jahrhunderts in hoher Blüte stand. Für die Fürsten zu Fürstenberg waren in ihrer Zeit als Landesherren stets Zimmer bereitzuhalten gewesen. Hier waren seit der Erhebung zum Großherzogtum die Landesherren zu Gast, hier wurde durch Großherzog Ludwig 1821 der Grundstein für die Vereinigte Evangelisch-Protestantische Landeskirche in Baden gelegt. Obwohl Bad Rippoldsau traditionell ein bedeutender, katholischer Wallfahrtsort ist: Noch heute genießt das Gnadenbild der Gottesmutter in der Wallfahrtskirche Mater Dolorosa in Bad Rippoldsau nicht nur an den traditionellen Wallfahrtstagen höchste Verehrung. Baden und das Elsass verbindet traditionell mehr als nur der Rhein, und diese Verbindung der Landschaft zwischen Schwarzwald und Vogesen geht weiter zurück als bis zur Eheschließung des späteren Großherzogs Karl Friedrich Ludwig mit Stépanie de Beauharnais, Kaiserliche Hoheit, Fille de France und Adoptivtochter Napoleons.
Ein monströser städtebaulicher Entwurf, der zum Glück nur eine kurze Episode geblieben ist, sollte vor 80 Jahren Straßburg
näher an Offenburg heranrücken: Hitlers Pläne zur Neugestaltung Straßburgs als Hauptstadt des neuen Doppelgaus Baden-Elsass am Oberrhein nach dem deutschen Sieg über Frankreich im Jahre 1940.
Der Scharfrichter, der mit der Schärfe des Schwertes richtet, wird, da er nach dem Spruch des „Hohen Gerichts“ richtet, auch als Nachrichter bezeichnet. Die lateinische Bezeichnung für ihn ist: „carnifex“. Für das „Römische Reich deutscher Nation“ gilt als früheste Nennung eines „professionellen Scharfrichters“ das Jahr 1276 für die Stadt Augsburg. Just in diese Zeit fällt auch die Loslösung der Straßburger Bürger von der bischöflichen Herrschaft des Straßburger Bischofs Walther von Geroldseck, ausgelöst durch die Schlacht bei Hausbergen im Jahre 1262. Damit kann man davon ausgehen, dass in der Folge mit diesem Jahr nicht nur die Reichsunmittelbarkeit, sondern auch der Blutbann verliehen worden ist. Wer die „Hohe Gerichtsbarkeit“ innehat, ist rechtlich befugt, einen Scharf- oder Nachrichter in seinen Dienst zu stellen. Der Straßburger Scharfrichter tritt im Jahre 1286 ans Licht der Geschichte.
Geboren am 25. September 1734, als drittes Kind von Hercule Mériadec de Rohan, Prinz von Montbazon, und Louise Gabrielle Julie de Rohan, wird Louis de Rohan am 20. April 1743 im Alter von neun Jahren zum Kanoniker der Kathedrale in Straßburg ernannt. Im Alter von 25 Jahren, am 22. November 1759, wird er zum Stellvertreter mit Nachfolgerecht des Straßburger
Bischofs gewählt, der sein Onkel Constantin de Rohan ist. Als sein Onkel zum Beginn des Jahres 1779 stirbt, wird Louis de
Rohan unvermeidlich zum Fürst-Bischof von Straßburg. Wie die Baronin von Oberkirch es bemerkt „war er schon ein sehr
großer Herr, für den die Besitztümer des Bistums in Frankreich, wie in Deutschland nur ein Ring, so pflegte er zu sagen,
an einem seiner Finger waren“
.
„Die Gegensätze der grossen Revolution, der Widerspruch zwischen der theoretischen Freiheitsphrase und der praktischen
Gewissenstyrannei spiegelte sich in den Geschicken des Strassburgers Priesterseminars während jener unruhigen Zeiten mit
drastischer Deutlichkeit wider. Die praktische Folge war, dass die treugläubigen Professoren und Seminaristen in der Verbannung ein kümmerliches Dasein fristen musssten.“ Das Problem entstand, als am 21. Januar 1791 der Vorstand des Seminars, mit Ausnahme Franz Anton Brendels, Professor des Kirchenrechts, den Eid zur Zivilkonstitution des Klerus
verweigerte. Nachdem Brendel, aus Lohr am Main (Unterfranken) gebürtig, am 6. März im Münster zum konstitutionellen
Bischof gewählt worden war, wurde er am selben Tag von Regens Hirn und den Seminaristen nicht als Bischof anerkannt. Bald hernach mussten sie selbstverständlich dem konstitutionellen Seminar den Platz räumen.
Die Verbindungen Straßburgs mit dem Gebiet der heutigen Ortenau waren und sind vielfältig. Neben den politischen Verknüpfungen – jahrhundertelang hatte das Hochstift Straßburg rechtsrheinisches Besitztum – ist insbesondere die kulturelle
Ausstrahlung der Stadt nach Mittelbaden bedeutsam. Beispielhaft wird hier an das Wirken der Straßburger Orgelbauer Andreas Silbermann und seines Sohnes Johann Andreas im 18. Jahrhundert erinnert. Anlass dazu ist das 250-jährige Jubiläum der Johann Andreas Silbermann-Orgel in Ettenheimmünster in diesem Jahr. Diese Orgel ist mit mehr als 4/5 Originalsubstanz die besterhaltene Silbermann-Orgel in Baden!
Die "zweite Sündfluth"
(2006)
Die vorliegende Studie verfolgt in erste Linie ein regionalgeschichtliches Anliegen, auch wenn sie vielleicht der naturwissenschaftlichen Hochwässerforschung
verwertbares Material an die Hand geben mag. In meinem Aufsatz »Der Bodensee im
16. lahrhundert« konnten einige Aspekte, insbesondere auch die Naturkatastrophen,
aus Platzgründen nicht näher ausgeführt werden. Diese Lücke soll, wenn auch vorerst
nur exemplarisch, mit diesem Blick auf das Hochwasser von 1566 geschlossen werden.
Dabei soll insbesondere gezeigt werden, dass es sich bei dem Hochwasser von 1566 um
ein »überdurchschnittliches überregionales Hochwasser katastrophalen Ausmaßes«
gehandelt hat, das schwere Schäden an wasserbezogenen Bauten (Dämmen, Wuhren,
Stegen, Brücken, Gebäuden, Mühlen) anrichtete und durch länger andauernde Überflutung schwere Schäden an ufernahen Feldern und Gärten sowie große Verluste an
Menschenleben und Vieh sowie auch Veränderungen der Oberflächenstruktur (Versandung, Verschlammung, Einbruch von Land in den See) mit sich brachte, nicht zuletzt
aber auch durch die Verseuchung des Trinkwassers der Ausbreitung der Pest Vorschub
leistete. Für zahlreiche Städte und Gemeinden am Bodensee hat sich daher das Hochwasser von 1566 als eine echte Katastrophe dargestellt, auch wenn nahezu alle Geschichtsbücher bisher darüber schweigen.
Der Appenzeller Landhandel
(2006)
Im Jahre 1715 musste sich Josue Scheuss wegen aufrührerischer Rebellion an der landsgemeind verantworten. Er meinte, man habe heimliche Kundtschaft eingenommen, es gehe anfangen zue, wie es in dem Toggenburg zuegangen seye, es seyen die Herren in Herisau nur zusammen
zum Saufen und Prassen. Man möchte, wann man nicht wehren wusste, endtlich gar um Frey hext
kommen. Scheuss warf der Obrigkeit Spitzelei vor und fürchtete sich vor dem Verlust der
Freiheit. Einen Monat später wurde Bartli Schläpfer verurteilt, weil er den Landammann
geduzt und diesem ins Gesicht gesagt hatte: Du Landammann, sag nun, sehen wie was weist
mehr. Er soll schweigen, er dürfe auch reden. Es dürfe nur noch ein einziges Landbuch geben.
Schläpfer kümmerte sich nicht um Hierarchien und bestand auf seiner Redefreiheit. Er
knüpfte an die Opponenten des 17. Jahrhunderts an, die gegen die Führung von mehreren Landbüchern gekämpft hatten. Das Landbuch war so etwas wie die Verfassung des
Orts, war jedoch nicht systematisch aufgebaut. Die Obrigkeit hatte verschiedene Exemplare anfertigen lassen und interpretierte diese nach ihrem Gutdünken. Der Urnäscher
Jacob Jäger hatte ebenfalls mächtig »ausgerufen«: Wer für die Obrigkeit die Hand hebe,
dem solle man diese abhacken. Antoni Ramsauer hatte es gar gewagt, einen Grasbüschel
auf die Landsgemeindebühne, den Stuhl, zu werfen.
Im Frühjahr 1993 wurde die Handschriftensammlung der Fürstlich Fürstenbergischen Hofbibliothek
vom Land Baden-Württemberg für 48 Millionen DM erworben (!). Bei der Frage
nach dem künftigen Standort der Sammlung entschied sich die Landesregierung nach einer
längeren Konsultations- und Beratungsphase für eine Lösung, die der besonderen Struktur des
Bundeslandes mit seinen beiden Landesteilen und den für diese zuständigen Landesbibliotheken
in Karlsruhe und Stuttgart Rechnung tragen sollte. Mit Beschluß vom 14. März 1994
verfügte daher die Landesregierung eine Aufteilung der ca. 1225 Handschriften (ca. 1370 Bände
bzw. Faszikel) auf die Badische und die Württembergische Landesbibliothek.
Peter Faessler (1946-2006)
(2007)
Peter Faessler, der sich vornehm mit
ae anstatt wie die meisten Appenzeller
mit ä schrieb, wurde am 27. Mai 1942
in Appenzell geboren. Dort besuchte
er die Schulen und studierte dann in
Tübingen, München und Basel Germanistik,
Geschichte und Kunstgeschichte.
Mit der Dissertation »Studien zur
>Sprachlehre< von Karl Kraus« (1972)
schloss er sein Studium ab. Von 1971
bis 1997 war Peter Faessler an der
Kantonsschule Trogen als Lehrer für
Deutsch und Geschichte tätig. In seiner
Forschungsarbeit beschäftigte er sich intensiv mit dem Bodenseeraum und entdeckte
dabei manche Kostbarkeit, die er in einen spannenden, engagierten und aktuellen Literaturunterricht
einfliessen Hess. Die Aufgabe, seine Schülerinnen und Schüler zu bilden und zu
prüfen, hat er mit grossem Engagement, Wissen, einem ihm eigenen Humor und grösser
Redlichkeit wahrgenommen und so vielen den Sprung ins Studium und die Arbeitswelt erleichtert.
Peter Faessler fühlte sich mit der Schule stets sehr verbunden und unterhielt zu
den Schülern einen ausgezeichneten Draht. Daneben war er Dozent an der Pädagogischen
Hochschule und an der Universität St. Gallen.
Die Schiffmühlen gehören mit den Brücken- und Ufermühlen zu den Flussmühlen. Die Schiffmühlen sind im weiteren Bodenseeraum wenig bekannt, weshalb sie im
Blick auf den Alpen- und Hochrhein für die Zeitspanne vom 15. bis 19. Jahrhundert
vorgestellt werden. Es gab auf dem Alpenrhein etwa 20 Vertreter und auf dem Hochrhein 8 - möglicherweise noch mehr. Grundsätzlich kann man sich verschiedene Typen vorstellen, doch gelangten auf den erwähnten Flussstrecken nur zweischiffige Anlagen mit einem oder zwei Wasserrädern zum Einsatz. Ihre Zahl war gegenüber jener
der Landmühlen sehr bescheiden, was auf bestimmte Nachteile zurückzuführen ist. Die
letzten Schiffmühlen gingen um 1900 ein.
In Vorarlberg fanden bereits um die Mitte des 16. Jahrhunderts - also zu einer Zeit,
die im deutschsprachigen Raum als ausgesprochen verfolgungsarm gilt - umfangreiche
Hexenverfolgungen statt. Nach einem Tiefstand zu Beginn des Jahrhunderts hatten diese
zwar allgemein seit etwa 1530 wieder leicht zugenommen, dennoch lässt sich bislang
um 1550 im weiten Umkreis keine ähnlich intensive Prozessserie wie in Vorarlberg feststellen. Der Schwerpunkt der Verfolgungen lag damals im Bregenzerwald. Hier sollen
sich ganze Hexen-Gesellschaften gebildet haben.
In der Literatur finden sich erste Hinweise darauf in einer Arbeit Hermann Sanders
aus dem Jahr 1893 über Vorarlberg zur Zeit des Bauernkriegs. Das Schicksal der dort
kurz erwähnten Anna Mätzlerin führt auch Meinrad Tiefenthaler in seinem Aufsatz
über »Hexen und Hexenwahn in Vorarlberg« aus dem Jahr 1962 an.
Vor der großen Industrialisierung spielte der Bodenseeraum als wirtschaftliches
Zentrum und als Durchgangslandschaft für Transport und Verkehr eine wichtige Rolle.
Wie der Genfer See oder die oberitalienischen Seen war auch der Bodensee eine bedeutende Wasserstraße im Verkehrswegenetz über die Alpen. Die wirtschaftliche Blüte
des mittelalterlichen Schwaben und seiner Städte wäre ohne die Anbindung an das verzweigte leistungsfähige Wasserstraßennetz vor den Alpenpässen kaum denkbar gewesen. Während der frühneuzeitliche Handel und die Verkehrswege im Bodenseegebiet
durch wirtschaftsgeschichtliche Arbeiten verhältnismäßig gut erforscht sind, war über
die vorindustrielle Schifffahrt und den Holzschiffbau an diesem Binnengewässer lange
Zeit fast nichts bekannt. Die harte alltägliche Arbeit von Tausenden hat nur wenige direkte Spuren in der historischen Überlieferung hinterlassen. Eine weitgehend schriftlose
Schiffbaupraxis kam ohne Pläne und Risse aus, sie fehlen auch für die letzten hölzernen
Lastsegelschiffe, die kleineren oft als Segner bezeichneten Fahrzeuge des 19. und frühen
20. Jahrhunderts. Die größten Schiffe, die ca. 30 m langen und bis zu 150 t
ladenden Lädinen, waren einigen Zeitgenossen zufolge schon in der ersten Hälfte des
19. Jahrhunderts außer Gebrauch gekommen.
Das Weltklima unterliegt zeitgenössisch einem durchgreifenden Wandel, wie er
in dieser Geschwindigkeit und in diesem Ausmaß seit mindestens tausend Jahren nicht
festgestellt werden konnte. Im vergangenen Jahrhundert stieg die mittlere Temperatur der Erde um etwa 0,7 °C an und sie dürfte
in den nächsten Jahrzehnten mit einer Rate von o,2°C/10 Jahre weiter steigen. Eine wesentliche Ursache wird in der globalen Zunahme von Treibhausgasen, vornehmlich des Kohlendioxids (C0 2) gesehen, dessen Konzentrationen von rd. 280
ppm (vorindustrieller Referenzwert um 1750) auf nunmehr 380 ppm gestiegen ist. Verantwortlich hierfür sind vor allem menschliche Aktivitäten, z. B. die Verbrennung fossiler
Energieträger, die Abholzung der Wälder und der Landnutzungswandel (IPCC 2001).
Das Leben des Schauspielers Willy Schürmann-Horster (1900-1943) ist bis auf die
12 Monate seines Aufenthalts in Konstanz eigentlich ganz gut bekannt. Nach Schulzeit
und Besuch der Schauspielschule von Luise Dumont in Düsseldorf, an der auch Gustav
Gründgens Schüler war, spielte und inszenierte er ab 1920 im Rheinland politisch-revolutionäres Theater mit zeitgenössischen Autoren wie Maxim Gorki, Ernst Toller, Georg
Kaiser, Erich Mühsam, Bert Brecht und Friedrich Wolf, aber auch Georg Büchner. Daneben befasste er sich stets mit den Klassikern. Vorübergehend war er 1923 sogar Mitglied
der KPD, wurde aber nach seinen Aussagen im Prozess von 1943 wegen politischen Differenzen ausgeschlossen. Seine Theatergruppen trugen Namen wie »Jungaktivistenbund«
(1920), »Junge Aktion«, »Freie Volksbühne«, »Notgemeinschaft Düsseldorfer Schauspieler« und besonders erfolgreich die »Truppe im Westen«, ein 1930 entstandenes Schauspielerkollektiv. Die Witwe erinnerte sich später an ihn: Deutlich sehe ich Willy Schürmann
noch vor mir, den mitreißenden Regisseur bei der Gestaltung eines Aktschlusses: Die revolutionären Arbeitersehen dem Tode entgegen, schließen sich eng zusammen und singen: "Brüder in eins nun..."
Rettungshafen Ostschweiz
(2007)
In St. Margrethen, dem Dorf in der nordöstlichen Ecke der Schweiz, stand einst
eine Brücke. Sie führte über den Alten Rhein und verband die Schweiz mit Österreich,
war Nadelöhr wie Eingangspforte. In den letzten Monaten des Zweiten Weltkriegs rettete die alte Brücke, die längst durch eine modernere ersetzt ist, Zehntausenden Menschen
das Leben, auf ihr spielten sich Vorgänge von weltpolitischer Bedeutung ab. Im Rahmen
der 2005 erschienenen Studie »Flüchtiges Glück« über die Flüchtlinge im Grenzkanton
St. Gallen zur Zeit des Nationalsozialismus konnten die außergewöhnlichen Vorgänge
zusammengefügt und in Beziehung gesetzt werden. Im Folgenden werden einzelne Aspekte in vertiefter Form behandelt. Im Gegensatz zu den Geschehnissen vor Ausbruch
des Zweiten Weltkriegs, als der St. Galler Polizeihauptmann Paul Grüninger, der Bregenzer Vizekonsul Ernest Prodolliet, die orthodoxe St. Galler Jüdin Recha Sternbuch und
unzählige weitere Helfer Tausenden von jüdischen Flüchtlingen das Leben retteten, sind
die Vorgänge der letzten Kriegsmonate an den Landesgrenzen um den Bodensee erst
in Teilen bekannt. Im Wesentlichen handelt es sich um mehrere KZ-Transporte, die ihr
Ende im Kanton St. Gallen hatten, um den Verhandlungspoker, der zur Rettung jüdischer KZ-Häftlinge führte, sowie um den Flüchtlingsstrom aus dem versinkenden Dritten Reich in den letzten 20 Kriegstagen.
In seiner 1992 verfassten Schrift Industrieästhetik zitiert Stanislaus von Moos den
an der Stickmaschine arbeitenden Sticker als anschaulichstes Bild der vom Prinzip der
Imitation und Reproduktion dominierten visuellen Kultur des 19. Jahrhunderts: Der Sticker
sitzt auf seinem Hocker, vor ihm, a u f dem senkrechten Musterbrett aufgeheftet, die Stickvorlage. Mit der Linken führt er den Pantographen über das Blatt hin und bewegt so den riesigen Stickboden in der
Stickmaschine. Wird ein Punkt der Stickvorlage mit dem Pantographen angestochen, fuhren dutzende - wenn nicht Hunderte - von Nadeln die gleiche Bewegung auf dem Stickboden aus. Während der
Sticker seine Vorlage abtastet, entsteht so das gewünschte Motiv gleichzeitig in dutzend-, ja hundertfacher Ausführung... Skrupel hinsichtlich der Tatsache, dass der ganze Aufwand vor allem dazu diente, eine handwerkliche Herstellung vorzutäuschen, gab es keine.
Für von Moos ist das Kopieren älterer und ausländischer Vorbilder sogar ausdrückliches Programm. In der Blütezeit der St. Galler Spitzen der 1880er Jahre sieht er eine nie
gesehene Imitierwut.
Im Frühjahr des vorvergangenen Jahres ist dem Rosgartenmuseum in Konstanz
und seiner Leiterin Frau Elisabeth von Gleichenstein etwas gelungen, was einer kleinen
Sensation gleichkam. Im Museum waren vom 27. Februar bis zum 17. April 2005 neben
vielen anderen Exponaten alle europäischen Abschriften einer illustrierten spätmittelalterlichen Geschichtschronik versammelt, die nicht nur den Bodenseeraum, sondern auch
die Stadt Konstanz »in aller Welt« berühmt gemacht hat. So verkündet es jedenfalls eine
wichtige Abschrift der Chronik, die noch heute im Rosgartenmuseum Konstanz verwahrt
wird. Es heißt dort im Eingang der Handschrift in Abwandlung des 18. Psalms: In omnem
terram exiuit nomen Constancie, et divulgatum est nomen eius in univma terra. Die Übersetzung
lautet: Ȇber die ganze Erde erging der Name von Konstanz, und dieser Name wurde auf
der ganzen Welt verbreitet«. Nach Auffassung der Abschrift haben wir es also bei dem
in der Chronik niedergelegten Ereignis durchaus mit einem für die damalige Zeit »welthistorischen« Ereignis zu tun. Es trug sich nicht nur in Konstanz zu, sondern war auch
Impulsgeber für eine umfangreiche und vielfältige Tätigkeit im Bereich der regionalen
wie lokalen Historiographie. Es sei in diesem Zusammenhang nur an die Schreibstube
des Chronisten Gebhard Dächer (ca. 1425-1471) erinnert, die im Rahmen der Richental-Rezeption eine ebenso wichtige wie vielfältige Rolle spielt, auf die hier aber nicht näher
eingegangen werden kann.
Vorbemerkung: Der Verfasser hat zu dem von Michael Brunner und Marion Harder-Merkelbach herausgegebenen Band »11oo Jahre Kunst und Architektur in Überlingen (850-1950)« einen Beitrag über »Kunstwissenschaftler in Überlingen« beigesteuert.
Der vorgesehene Umfang schloss den Abdruck autobiographischer Texte und einschlägiger biographischer Darstellungen, auf die der Verfasser während seiner Recherchen
stieß, leider aus. Da es sich dabei jedoch meistenteils um unbekannte Arbeiten und nachgelassene Texte handelt, die im Kontext biographischer Forschung der Kenntnis wert
sind, schien es sinnvoll, dieses notgedrungene Versäumnis in einer umfangreicheren
Form nachzuholen. Dies wird in diesem Beitrag versucht. Wie bereits die Beschränkung
auf das 20. Jahrhundert einerseits und auf die deutsche Bodenseeseite andererseits belegt, kann es sich hierbei nur um einen Ausschnitt handeln. Von daher erklärt sich auch
die auffällige Prägung des ausgewählten Personenkreises durch die politische Geschichte
des 20. Jahrhunderts.