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Sowohl zur Vergewisserung als auch zur kritischen Überprüfung eigener Positionen ist es sinnvoll, das, was in der Gegenwart wichtig ist und einem selbst am Herzen liegt, an dem zu messen, was früher zu dem Thema gedacht und gesagt wurde. Was sehen wir heute anders und stellen daher neue Fragen an altbekannte Quellen? Welche Forschungsinteressen sind nicht mehr im Blick, weil sie als unmodern gelten? Was möchten wir gerne wissen und müssen uns dazu auf die Suche in unbekanntes Terrain begeben? So wie heute gefragt wird, weswegen die Themen zeitgenössischer historischer Arbeiten widerspiegeln, was die Forscherinnen und Forscher derzeit bewegt, wird es auch früher gewesen sein. Von daher erlauben die Artikel einer Zeitschrift – zumal über einen respektablen Zeitraum von 150 Jahren – Rückschlüsse auf das, was in den entsprechenden Jahren wichtig war.
Von der ZSKG zur SZRKG
(2015)
„Alles, was ist, ist geschichtlich“ – sagte bekanntlich Hegel. Und das Gesetz der Geschichte ist der Wandel. Dieser kann als Traditionsbruch oder in schöpferischer Kontinuität mit der Tradition erfolgen. Die Metamorphose von der „Zeitschrift für Schweizerische Kirchengeschichte“ zur „Schweizerische[n] Zeitschrift für Religions- und Kulturgeschichte“ geschah, davon bin ich überzeugt, nach dem letzteren Prinzip. Am Ende des Kulturkampfes hatte der helvetische Katholizismus einen Nachholbedarf – auch auf der akademischen, wissenschaftlichen Ebene. Mit der Gründung der „Görres-Gesellschaft zur Pflege der Wissenschaft“ 1876 hatten katholische Forscher und Publizisten in Deutschland selbstbewusst ein wissenschaftliches Forum geschaffen. In der Schweiz wurde 1889 die Universität Freiburg als katholische Kaderschmiede gegründet. Es fehlten allerdings ein Verein und ein wissen- schaftliches Organ zur Erforschung der helvetischen Kirchengeschichte aus katholischer Sicht. Der erste Impuls dazu entstand 1903 beim ersten Schweizerischen Katholikentag in Luzern.
Kirche und Kleinstadt
(2015)
Das gotische Liebfrauenmünster in der westlichen Altstadt von Neuenburg am Rhein stürzte 1497 ein, als der Fluss, der schon seit dem Beginn des 15. Jahrhunderts an dem Steilufer nagte, dieses endgültig untergrub und so Kirche, Rat- und Salzhaus sowie die Schule verschwinden ließ. Nur der Münsterturm blieb lange als stummer Zeuge stehen, bevor auch er den Stadtzerstörungen durch Menschenhand zum Opfer fiel. Dreißigjähriger Krieg und Spanischer Erbfolgekrieg sowie die Europäischen Bruderkriege des 20. Jahrhunderts haben, was immer die Bewohner der Stadt Neuenburg wiederaufgebaut hatten, grundlegend zerstört. Doch jedes Mal waren die Fluchtkisten gepackt und so haben die 417 Urkunden des Pfarrarchivs Neuenburg am Rhein bis heute überdauert, werden sie doch inzwischen als Depositum in dem Erzbischöflichen Archiv Freiburg im Breisgau verwahrt.
Seit einigen Jahren hat eine intensivierte Erforschung der katholischen Theologen und ihrer Theologie im Nationalsozialismus eingesetzt. Zur Debatte steht nicht nur eine Art „Bestandsaufnahme“ sowie die grundständige Aufarbeitung von Affinität und Dissens der Theologen auf breiter Quellenbasis. Es geht auch darum, inwieweit biografische Erfahrung und nationalsozialistischer Kontext auf das wirkten, was die Fachwissenschaftler zwischen 1933 und 1945 (und vielleicht darüber hinaus) forschten, lehrten und entwickelten. Schlug sich beispielsweise der 1934/35 beginnende „Kampf ums Alte Testament“ oder das durch den Nationalsozialismus propagierte „arische“ Christusbild signifikant im theologischen Arbeiten der Exegeten nieder? Wie gingen die Kirchenhistoriker mit den plump konstruierten Geschichtsdeutungen des Nationalsozialismus um? Inwieweit ließen sich die Moraltheologen in die damals aktuellen Debatten um Sterilisation, Eugenik und Euthanasie ein? Veränderte sich das inhaltliche Profil der theologischen Fächer und Disziplinen durch Anpassung und Abwehr? Oder blieben sie im Kern unberührt? Bei aller Berechtigung, ja Notwendigkeit, diese spezifische Fragestellung an die theologischen Fachvertreter und ihre publizistische und lehrende Tätigkeit in den 1930er- und 1940er-Jahren anzulegen, darf die Gefahr des verengten Blickwinkels nicht übersehen werden: Wieviel an Realität wird durch eine solch übergeordnete Fragestellung überhaupt eingefangen, wahrgenommen? Was bleibt außen vor? Werden hier Menschen in ihrer Persönlichkeit nicht auf eine Perspektive verkürzt? Will man ihnen wirklich gerecht werden, gilt es, die methodisch notwendige Engführung immer wieder auch aufzubrechen durch eine möglichst breite Herangehensweise. Im Folgenden sei dies versucht am Beispiel des Kirchenhistorikers Karl August Fink (1904–1983).
Lassen Sie mich mein Grußwort mit zwei kurzen Zitaten aus einer römischen Verlautbarung beginnen: „Durch die angemessene Nutzung aller von den kirchlichen Gemeinschaften hervorgebrachten Kulturgüter ist es möglich, den Dialog der Christen mit der heutigen Welt weiterzuführen und auszubauen.“ So heißt es in einem Schreiben, das die „Päpstliche Kommission für die Kulturgüter der Kirche“ am 2. Februar 1997 an alle Diözesanbischöfe gerichtet hat. An anderer Stelle im gleichen Text lesen wir: „Die in den Archiven enthaltene Dokumentation ist ein Erbe, das erhalten wird, um weitergegeben und genutzt zu werden.“ Eigentlich bezieht sich die Päpstliche Kulturgutkommission in diesem Schreiben auf die Archive als Institutionen, also auf Bistums-, Dekanats- oder Pfarrarchive. Doch der Auftrag, das Erbe zu erhalten, es zu nutzen und weiterzugeben, scheint mir ebenso gut auch für gedruckte „Archive“ zu passen und zu gelten – so wie eben unser „Freiburger Diözesan-Archiv“, und natürlich gilt es auch für diejenigen, die es produzieren und publizieren, also für den „Kirchengeschichtlichen Verein“ und seine Mitglieder.
Der Frankfurter Mediävist Johannes Fried hat einmal angesichts eines anderen Jubiläums – es handelte sich um das 50-jährige Bestehen des renommierten Konstanzer Arbeitskreises – betont, wer über das Mittelalter nicht hinausdenke, verstehe vom Mittelalter nichts. Das gilt cum grano salis auch für unser Thema. Es lässt sich von vornherein nicht auf die Epoche des Mittelalters eingrenzen. Vieles – und das gilt wohl für große Teile der Kirchen-, Religions-, Frömmigkeits- und Theologiegeschichte – beginnt zwar im Mittelalter, setzt sich aber bis in die Gegenwart fort. Das gilt für die Geschichte der Diözese und ihrer Kirchen, für die Bischöfe, für die Klöster, für die Gemeinden, für das religiöse Brauchtum, für die Frömmigkeit, die Pfarreien, die historischen Landschaften, die Kunstdenkmäler usw.
Pluralität und Fluidität
(2015)
Nicht nur Bücher, sondern auch Texte haben ihre Geschichte. Das gilt, wie man weiß, vor allem für die Vormoderne, wo Texte noch nicht – wie in der anbrechenden Moderne – durch den Buchdruck fixiert und beliebig multiplizierbar waren. Und es gilt, um das Thema noch stärker einzugrenzen, vor allem für handschriftlich überlieferte Texte, die sich in den meisten Fällen, das liegt in der Natur der Sache, durch mehr oder weniger große Divergenz oder Varianz auszeichnen. Man spricht dann metaphorisch, um das Flüssige des Vorgangs zu verdeutlichen, von „Überlieferung“, die man, wie das Rudolf Schieffer in
einer Arbeit über die „lauteren Quellen des geschichtlichen Lebens“ 1995 getan hat, mit einem „Gewässer“ vergleichen kann, das über zahlreiche „Seitenarme“ und „Staustufen“ verfügt, also nicht nur von der „Quelle“ her zu verfolgen ist. Von daher erklärt sich auch der Titel, den ich für diese Untersuchung gewählt habe: „Pluralität und Fluidität.“ Er soll das Lebendige, Bewegliche und Fluktuierende mittelalterlicher Textualität zum Ausdruck bringen. Die gewählten Begriffe stammen von dem Mediävisten Gerrit Jasper Schenk, der diese auf einer Tagung des Konstanzer Arbeitskreises im Herbst 2011 auf den Konzilschronisten Ulrich Richental und dessen historiografisches Werk angewandt hat.
Wenn hier ein kurzer Blick auf die Vorsitzenden geworfen werden soll, so nicht, weil mit diesen gleichsam der ganze Kirchengeschichtliche Verein zu fassen ist oder gar auf diese Persönlichkeiten zu reduzieren sei. Die Vorsitzenden waren oftmals Exponenten dessen, was in einer bestimmten Zeit an Geschichtszugängen und -vorstellungen, auch im spezifisch landeskirchengeschichtlichen Bereich, gedacht wurde. Am Anfang des Kirchengeschichtlichen Vereins stand ein historisch interessierter Pfarrer, Dekan Wendelin Haid aus Lautenbach im Renchtal. Dieser Geistliche verstand es, seinen Kontakt zu Historikern und Theologen, zu Geistlichen und anderen Gebildeten zu nutzen, um für eine Vereinsgründung zu werben. Dabei erhielt der Verein, wie schon angesprochen, mit seiner Zeitschrift, dem Freiburger Diözesanarchiv, das nach Vorarbeiten seit 1865 ziemlich regelmäßig erscheinen konnte, sein eigentliches Profil und Forum. Als Organisation dafür stand ein sogenanntes Comité von Gelehrten zur Verfügung. Die Schriftleiter, zunächst Pfarrer Wendelin Haid, dann der Freiburger Alttestamentler Prof. Dr. Joseph König brachten ihre – wie es hieß – „lokalhistorischen“ Interessen und Kompetenzen ein.
Spessart und Odenwald sind rechtsrheinische Mittelgebirgsräume, rund 40 km südöstlich von Frankfurt. Im Buntsandsteingebiet der Gebirge wurden vier Moore in Höhenlagen um 400-520 m NN pollenanalytisch untersucht. Die Moore, drei Durchströmungsmoore und eine Hangvermoorung, liegen jeweils in zentraler Lage des Gebirges. Im Spessart sind im Pollendiagramm vom Wiesbüttmoor 8 Landnutzungsphasen feststellbar: Im frühen Subboreal herrschten im Spessart lindenreiche Eichenmischwälder vor. Der Lindenfall am Ende des frühen Subboreals war schon vom Menschen beeinflusst, wie Hinweise auf ackerbauliche Nutzung belegen. Seit etwa 1950 cal. BC fand die allmähliche Ausbreitung der Buche und Umwandlung der Wälder in rotbuchenreiche Wälder unter dem Einfluss des Menschen statt. Dies wird in den Pollendiagrammen durch eine Nutzung der Linde und mehrere Anstiege der Getreidekurve deutlich. Seit ca. 1250 cal. BC herrschten im Spessart buchenreiche Wälder vor. Eine intensive Landnutzungsphase setzt in der mittleren oder späten Bronzezeit ein (ca. 1385-1125 cal. BC). Sie erfaßt die späte Bronzezeit und reicht wahrscheinlich in die Hallstattzeit hinein (ca. 905- 595 cal. BC). Im älteren Subatlantikum herrschten buchenreiche Wälder vor. Der Einfluss des Menschen auf die Vegetation durch ackerbauliche Nutzung war zu dieser Zeit schwächer als in der Bronzezeit. Darauf deutet ein geringerer Getreideanteil im Pollendiagramm hin. Im jüngeren Subatlantikum, ab ca. 1000 cal. AD, gab es kleinere Rodungen, die besonders die Buche betrafen. Ab etwa 1200/1250 cal. AD gab es dann größere Entwaldungen. Die Buche wurde dezimiert, die Eiche im Rahmen der Hudewaldwirtschaft genutzt und Ackerbau betrieben. Seit dem Spätmittelalter wurde die Buche wieder gefördert. Der Schwerpunkt der Landnutzung lag nun in der Holznutzung, Niederwaldwirtschaft und in der Beweidung der Wälder. Ein Anstieg von Secale im 18. Jh. zeigt die Zunahme der ackerbaulichen Nutzung bei gleichzeitig weiterhin starker Förderung der Buche. In der Neuzeit, seit etwa 1850/1870, wurde die forstliche Nutzung durch Anpflanzungen von Kiefer und Fichte intensiviert. Dies führte erneut zu einer starken Veränderung der Landschaft. Die Landnutzung war - wohl durch eine Zunahme der Bevölkerung - etwas ausgedehnter. Die moderne Forstwirtschaft der letzten 50 Jahre mit dichteren Anpflanzungen im Umfeld der Moore führte zu einem Rückgang von Kulturzeigern, der Ausdruck eines verringerten Polleneintrages ins Moor ist. Im Odenwald war die Waldentwicklung vom frühen Subboreal bis zum jüngeren Subatlantikum im Wesentlichen dieselbe wie im Spessart. Im Gegensatz zum Spessart konnte aber nicht geklärt werden, ob die buchenreichen Wälder seit ca. 1250 cal. BC oder bereits früher bestanden. Ein Einfluss des Menschen auf die Vegetation im Endneolithikum und der frühen Bronzezeit ist nur undeutlich fassbar. Aufgrund eines Hiatus im untersuchten Profil Rotes Wasser ist die Vegetationsgeschichte für den Zeitraum von ca. 1700 cal. BC bis 300 cal. AD nicht rekonstruierbar.
Zwischen St. Gallen und Freiburg im Breisgau gab es im Laufe der Geschichte und gibt es heute noch verschiedenartige und enge Beziehungen. Zuletzt sei an die Ausstellung „Freiburg baroque“ im Augustinermuseum über den Barockkünstler Johann Christian Wentzinger (1710–1797) im Winter 2010/11 erinnert. Diese Ausstellung konnte danach auch in St. Gallen gezeigt werden. Denn Wentzingers Hauptwerk war die Stiftskirche und heutige Kathedrale von St. Gallen. Im Dienste der St. Galler Fürstäbte verdiente Wentzinger so viel Geld, dass er, als er sich zur Ruhe setzte, damit am Münsterplatz in Freiburg ein prächtiges Privatpalais errichten konnte. Die Beziehungen des Gallusklosters zum Breisgau reichen aber sehr viel weiter zurück, bis in die Anfangszeit der Abtei, als es Freiburg noch lange nicht gab: Das Stichwort ist das Weindorf Ebringen vor den Toren der Stadt. In einer der allerfrühesten überlieferten Urkunden erhielt das Kloster St. Gallen zwischen 716 und 721 Weingüter in Ebringen geschenkt („in Eberingen unum iuchum de vinea“), angeblich aus dem Erbgut des Gründerabtes, des heiligen Otmar (719–759). Diese Urkunde ist die älteste Erwähnung von Weinbau im Markgräfler Land und überhaupt die früheste Erwähnung eines breisgauischen Ortes in einer Urkunde. Damit beginnt eine die Jahrhunderte überdauernde Verbindung St. Gallens zu Ebringen. Hier befanden sich der Verwaltungsmittelpunkt des ausgedehnten Güterbesitzes der Abtei im Breisgau und der Sitz einer Propstei; davon zeugen heute noch das herrschaftliche Schloss und die Pfarrkirche St. Gallus. Hier wirkten St. Galler Mönche als geistliche Statthalter und Pfarrer. Hierher wurden auch zeitweilig unbotmäßige Mönche ins Exil geschickt. So geschehen am Ausgang des 18. Jahrhunderts mit mehreren oppositionellen Mönchen. Unter den Strafversetzten befand sich damals nicht nur der künftige – und letzte – St. Galler Fürstabt Pankraz Vorster (1753–1829, Abt 1796–1805), sondern auch Pater Ildefons von Arx (1753–1833). Dieser war im Exil nicht untätig, er verfasste 1792 die erste „Geschichte der Herrschaft Ebringen“. Später wurde er Stiftsbibliothekar von St. Gallen.