Filtern
Erscheinungsjahr
Dokumenttyp
- Wissenschaftlicher Artikel (132) (entfernen)
Sprache
- Deutsch (132)
Gehört zur Bibliographie
- nein (132)
Schlagworte
- Nationalsozialismus (132) (entfernen)
Im Staatsarchiv Freiburg findet sich ein bisher in der Forschung eher wenig beachteter Aktenbestand „Entnazifizierung evangelischer Pfarrer 1945-49“. Das Freiburger Staatsarchiv verwaltet als Teil des Landesarchivs Baden-Württemberg vor allem Bestände der Ministerien und Behörden des 1952 erloschenen Landes (Süd-) Baden sowie Verwaltungsunterlagen staatlicher Behörden im Bereich Süd-Baden seit 1806, des weiteren wichtige Dokumente aus der französischen Besatzungszeit. Zudem enthält das Staatsarchiv auch den – teilweise lückenhaften – Bestand sämtlicher Entnazifizierungsakten aus dem südbadischen Teil der französischen Besatzungszone. Die Entnazifizierungsakten von stärker NS-belasteten Personen, die deswegen interniert wurden, befinden sich im Archiv des französischen Außenministeriums „Centre des archives diplomatiques“ in La Courneuve bei Paris. Einen ersten Überblick zur Kirchenpolitik der französischen Besatzungsmacht lieferte Jörg Thierfelder bereits 1989. Zu diesem Zeitpunkt gab es zu diesem Thema noch überhaupt keine Publikation. Dabei wies Thierfelder darauf hin, dass die Franzosen im Gegensatz zu US-Amerikanern und Briten keine eigenständige Planung für die Kirchenpolitik in ihrer Besatzungszone hatten. Die Zeitspanne zwischen der Konferenz von Jalta im Februar 1945, auf der Frankreich eine eigene Besatzungszone zugesprochen worden war, und dem Einmarsch der französischen Armee nach Südwestdeutschland ab Ende März 1945 war hierzu viel zu kurz gewesen. Insgesamt stellte Thierfelder eine ausgesprochen freundliche Behandlung der beiden Kirchen durch die französische Besatzungsmacht fest, die sich positiv von der allgemeinen Behandlung der deutschen Zivilbevölkerung abhob. Für den Bereich der württembergischen Landeskirche gab es so gut wie keine Berichte über Hausdurchsuchungen von
Gottesdiensträumen oder Pfarrhäusern und von Beschlagnahmungen.
Nie hätten wir es für möglich gehalten, daß diese Rechtfertigung der deutschchristlichen gewalttätigen und verfassungswidrigen Kirchenpolitik Ihre Antwort wäre auf die Bitten treuster und bibelgläubiger Glieder unserer Kirche, die sie aus heißer Besorgnis und innerster Gewissensnot vorzutragen gewagt haben! […] Wir sind fassungslos verwundert, daß Sie an den `Geist brüderlicher Gemeinschaft unter Geistlichen und Gemeindemitgliedern‘ appellieren, als handele es sich bei dem gegenwärtigen kirchlichen Kampf um einen Streit, den man mit christlichen Ermahnungen beenden könne, […]. Wir bezeugen Ihnen hiermit, daß für unsere Erkenntnis schweigen und mit dem DC-Geist Frieden machen gleichbedeutend wäre mit Verleugnen unseres Herrn und seiner ewigen Wahrheit. Kurz nach dem Beitritt der badischen Landeskirche zur
deutsch-christlichen Reichskirche, am 27. Juli 1934, richtete Karl Dürr, der Vorsitzende der Bekennenden Kirche Badens, an seinen Landesbischof Julius Kühlewein diese Zeilen. Der badische Kirchenkampf steuerte damit auf seinen ersten, aber keineswegs letzten Höhepunkt zu, an dessen Ende 1945 eine Landeskirche stehen sollte in der Macht- und Richtungskämpfe sowie persönliche Animositäten tiefe Spuren hinterlassen hatten; beherrscht von den untereinander verfeindeten kirchenpolitischen Gruppierungen der Bekennenden Kirche und der Deutschen Christen, aber auch einer
von nahezu allen Seiten in Ihrer Legitimität angefochten Kirchenleitung geriet sie vor dem Hintergrund der Konflikte, die tief in ihre Identität und ihr Selbstverständnis eingriffen, an den Rand der Spaltung.
Verbum Dei manet in aeternum
(2015)
Predigt und theologische Lehre ereignen sich nicht im luftleeren Raum. Sie sind Deutung und Orientierung konkreten Ergehens im Licht des Wortes Gottes. Wenn Sie heute freundlicherweise der Einladung zu einem Gespräch zum Thema Wort Gottes, Kirche und Konfession im Licht der Barmer Theologischen Erklärung gefolgt sind, wissend, dass dieses Gespräch durch mein mit dem 1. November 2008 wirksam gewordenes Ausscheiden aus dem aktiven Kirchendienst veranlasst ist, so möchte ich einstimmungsweise jetzt zunächst bedeuten, dass ich im Folgenden keinen abgerundeten theologischen Vortrag anbieten werde. Ich möchte vielmehr versuchen, das, was Predigt und Lehre, Gemeindeleben und kirchliches Handeln in dieser Zeit, die ich gelegentlich mitverantwortlich begleiten durfte, manchmal subkutan und eher
verborgen, manchmal aber auch ganz offenkundig geprägt hat, gewissermaßen atmosphärisch spürbar zu machen.
Gespräch heißt auf lateinisch sermo. „Sermo“, so hat der für meine Arbeit und mein Selbstverständnis als Pfarrer wichtigste Lehrer, der Heidelberger Dogmatiker Peter Brunner, an bestimmter Stelle ausgeführt, „bedeutet eigentlich ein ruhiges,
gelassenes Gespräch über einen bestimmten Gegenstand, auch eine einfache Rede im Gesprächston.“ Also möchte ich Ihnen heute einen Sermon halten, eine Ansprache und einfache Rede im Gesprächston, eine Nachdenklichkeit über die Farbe der Zeit.
Auf einer Tagung im März 2010 in Bad Herrenalb, bei der der „Fall“ des „nichtarischen“ Pfarrers Kurt Lehmann (er zählte nach den Gesetzen des NS-Staates als „Halbjude“) eine besondere Rolle spielte, kam es immer wieder zur Frage der Kontinuität im Verhalten der Badischen Landeskirche in ihrer Haltung zum NS-Staat bis 1945 und, damit in unmittelbarem Zusammenhang stehend, der anschließenden Auseinandersetzung der Landeskirche mit ihrem Verhalten (und ggf. einem etwaigen Versagen) gegenüber den Übergriffen des NS-Staates. Symptomatisch für das Verhältnis der Kirche zu einer etwaigen Schuld schien dabei ihre Handlungsweise gegenüber den „nichtarischen“ Pfarrern Ernst (Vater) und Kurt Lehmann (Sohn) zu sein.
Im ersten Band des Jahrbuchs für badische Kirchen- und Religionsgeschichte hat Prälat Gerd Schmoll als Zeitzeuge berichtet, wie er Krieg und Nachkriegszeit und die Kirche in dieser Zeit erlebt hat. Wie schon oft stellte sich mir die Frage: Wie habe eigentlich ich dies alles erlebt, 1929 in Mannheim geboren und dort aufgewachsen, zuerst als Kind, dann als Mädchen, und noch später als Heranwachsende, als Frau? Wie vermag ich heute in der Rückschau dies zu sehen? Ich bin viereinhalb Jahre älter als Gerd Schmoll und habe fast immer in Mannheim gelebt und auch gearbeitet, wobei allerdings die nicht einmal zwei Jahre, die ich aus Kriegsgründen in St. Blasien verbringen musste, von nachhaltiger Bedeutung für mich waren. Viereinhalb Jahre Altersunterschied kommen für die Zeit des „Dritten Reiches“ und der Nachkriegszeit geradezu einem Generationen-Unterschied gleich. So will ich es wagen, will einiges von meinem Erleben oder Erspüren versuchen zu benennen.
Sehr geehrte Frau Lehmann, sehr geehrte Damen und Herren, ich freue mich sehr, dass die Evangelische Stadtkirchengemeinde Durlach gemeinsam mit der Evangelischen Erwachsenenbildung Karlsruhe und Durlach und dem Freundeskreis Pfinzgaumuseum/Historischer Verein Durlach des 70. Jahrestages der Reichspogromnacht mit einer außerordentlich eindrucksvollen Veranstaltungsreihe gedenkt. Im Rahmen dieser Veranstaltungsreihe bin ich gern heute zu Ihnen nach Durlach gekommen. Dies gibt mir die Gelegenheit, öffentlich und im Namen unserer Evangelischen Landeskirche in Baden zu jener schweren Schuld zu stehen, die unsere Kirche in den Jahren der nationalsozialistischen Herrschaft auf sich geladen hat. Darum ist es mir ein besonderes und persönliches Anliegen, Ihnen, verehrte Frau Lehmann, die Grüße unserer
Kirchenleitung zu überbringen und sie in ihrem Namen um Vergebung zu bitten für das, was die badische Kirchenleitung Ihrem Vater an schwerem Unrecht zugefügt hat.
Mit dem Erscheinen des sechsten und zugleich Registerbandes der Quellenedition „Die Evangelische Landeskirche in Baden im ,Dritten Reich‘“ im Jahr 2005 wurde eines der großen editorischen Langzeitprojekte der deutschen kirchlichen Zeitgeschichte abgeschlossen. Anders als bei der Dokumentation des württembergischen Kirchenkampfes durch Gerhard Schäfer – für sich genommen eine geradezu singuläre Dokumentationsleistung – steht bei dem im Auftrag des Evangelischen Oberkirchenrats Karlsruhe in Kooperation mit dem Verein für Kirchengeschichte in der Evang. Landeskirche in Baden zustande gekommenen Editionsprojekt nicht die „Kirchenkampf“-Geschichte im engeren Sinn im Vordergrund. Das Karlsruher Projekt hat sich, wie bereits das Geleitwort von Landesbischof Dr. Klaus Engelhardt zum ersten, 1991 erschienenen Band zeigt, die Kontextualisierung der Auseinandersetzung zwischen Landeskirche und NS-Regime in der Kirchen- und Allgemeingeschichte des 20. Jahrhunderts zum Ziel gesetzt.
Als „Zeitzeuge“ soll ich erzählen, wie ich die Kriegs- und Nachkriegszeit und die Kirche in dieser Zeit erlebt habe. Ich will es versuchen. Es ist allerdings für mich gewöhnungsbedürftig, Zeitzeuge für Nachgeborene zu sein. Es ist ein deutliches
Zeichen des Alters! Allzu viel darf man von mir nicht erwarten, wenn es um die Kriegs- und unmittelbare Nachkriegszeit geht. Ich bin 1934 in Freiburg geboren und in Lahr in einem kleinbürgerlichen Elternhaus aufgewachsen. Am Kriegsende war ich 11 Jahre, gehöre also zu der bevorzugten Generation, die am Kriegsgeschehen nicht mehr aktiv beteiligt war. Es sind darum nur Kindheitserinnerungen, die ich aus der Kriegszeit weitergeben kann. Auch in den ersten Jahren der Nachkriegszeit war ich noch ein Junge, dann Heranwachsender, der allerdings in der kirchlichen Jugendarbeit, vor allem durch die Schülerarbeit, als Jugendleiter und als Helfer im Kindergottesdienst entscheidend geprägt worden ist und intensive Erfahrungen mit Kirche gemacht hat. Als ich 1953 mit dem Theologiestudium begonnen habe, waren immer noch Nachwirkungen des Krieges zu spüren. Man freute sich, wenn man am Studienort ein nahrhaftes Paket von zu Hause bekommen hat. Man begegnete noch Kommilitonen, die spät aus der Kriegsgefangenschaft entlassen worden waren oder als Flakhelfer die letzte Kriegszeit erlebt und in dieser Zeit sich dann für den Beruf des Pfarrers entschieden hatten. In die Studienzeit fallen auch die ersten Begegnungen mit der Landeskirche – durch den damaligen Ausbildungsreferenten Heidland, später mit Oberkirchenrat Hof.
Die reichsweit stattgefundenen Versteigerungen jüdischen Hausrates, organisiert
durch die staatlichen Finanz- und Zollämter, waren Teil der sogenannten „Arisierung“ jüdischen Besitzes. Deren Ziel war, die jüdische Bevölkerung aus dem
Wirtschaftsleben zu verdrängen und die Zwangsenteignung jüdischen Besitzes
zugunsten des Staates und der „Arier“ zu organisieren.
Betroffene dieser fiskalischen und materiellen Enteignung durch staatliche
Organe waren auch Mitglieder der Villinger Familien Haberer, Schwarz und
Schwab. Zusammen mit insgesamt 6.500 badischen und Saarpfälzer Juden wurden sie am 22. Oktober 1940 in das Lager Gurs in den Pyrenäen deportiert. Der
beschlagnahmte Hausrat wurde schon einige Wochen später im Auftrag des
örtlichen Finanzamtes öffentlich versteigert.
Eine weitere Versteigerung fand im April 1942 statt. Zum Verkauf kamen
die Wohnungseinrichtungen von Michael Bloch und der Familie Gideon. Sie
konnten noch wenige Tage vor Beginn des Krieges in die Schweiz emigrieren. Der
zum Abtransport verpackte Hausrat wurde jedoch von Gestapo- und Zollbeamten beschlagnahmt und bis zur Versteigerung – 2 1/2 Jahre später – eingelagert.
Im Folgenden soll aufgezeigt werden, wie die jüdische Bevölkerung seit der
Machtübernahme durch die Nationalsozialisten mit Hilfe erlassener Gesetze und
Verordnungen systematisch ihres Besitzes und Vermögens beraubt wurde,
wobei die öffentlichen Versteigerungen der Wohnungseinrichtungen und des
Hausrates einen Schlusspunkt der Ausplünderung darstellten. Es stellt sich die
Frage, wer – neben dem Staat – an der Enteignung des jüdischen Besitzes beteiligt war und zu den örtlichen Profiteuren der Versteigerungen gehörte
Der folgende Beitrag beruht auf den Ergebnissen einer Studie, die eine Forschergruppe der „Forschungsstelle Widerstand gegen den Nationalsozialismus im deutschen Südwesten" des Instituts für Geschichte an der Universität Karlsruhe unter dem Titel „Offenburg 1919-1949. Zwischen Demokratie und Diktatur" erstellt hat und die im Frühjahr 2004 im
Universitätsverlag Konstanz veröffentlicht worden ist.
Die Kirchenbücher im Herzogtum Württemberg, dem größten Territorium
des nachmaligen Königreichs, dessen Gebiet bis zum heutigen Tag den größten
Teil der Landeskirche bildet, gehen auf das Jahr 1557/58 zurück. [1] In der Visi -
tationsordnung vom 2. Februar 1557 wurde von Herzog Christoph die Führung von Taufbüchern angeordnet. [2] Diese werden auch in der 1559 erschie -
nenen Großen Württembergischen Kirchenordnung erwähnt, denn hier wird
den Visitatoren aufgetragen, den »Catalogum mit den getaufften Kindern« zu
überprüfen. [3] Im Gegensatz zur Einführung der Taufbücher [4] ist ein Erlass für
die Anlegung von Registern der Eheschließungen und Beerdigungen, also der
Führung von Ehe- und Totenbüchern, die alsbald nach den Taufbüchern beginnen, nicht bekannt. [5] In den meisten Fällen wurden diese drei ursprünglichen
Sparten der kirchlichen Register in einem Band eingetragen, der in kleinen
Gemeinden oft hundert und mehr Jahre seinem Zweck diente. Später wurden
dann für jedes der drei Register eigene Bände angelegt.
Die Konstanzer Gruppe der Zeugen Jehovas, damals Ernste Bibelforscher genannt,
bildete sich 1921 mit etwa 15 Personen. In den unruhigen Zeiten der Weimarer Republik
hatten die Zeugen Jehovas zeitweise großen Zuspruch. Bei Werbeveranstaltungen in Konstanz ab 1920 waren die Säle des Konzilsgebäudes gut gefüllt. Eine Veranstaltung hieß:
Die Welt ist am Ende – Millionen jetzt Lebender werden nie sterben! Eine andere hieß: Die Zeit ist
herbeigekommen! [1] Reisende Bibelforscher betreuten die ersten Anhänger in der Region. Ihr
Auftreten war fromm erscheinend, würdevoll und ernst. Ihren Bartschnitt ahmten sie Christus nach.
Sie trugen einen schwarzen Rock, versehen mit einer Anstecknadel, die Kreuz und Krone darstellte. Die
einheimischen Anhänger missionierten wiederum sonntags mit dem Fahrrad bis in den
Hegau und in den Linzgau hinein, und sie hielten Kontakt zu Schweizer Zeugen Jehovas.
Die Versammlungen der 20er Jahre wurden von einem Erntewerkvorsteher und gewählten Ältesten geleitet. Ab 1932 sprach man von Dienstleitern und Brüdern, ab 1936 von
Gruppendienern, die nicht mehr gewählt, sondern ernannt wurden. Außer öffentlichen
Vorträgen wurden regelmäßige wöchentliche Zusammenkünfte abgehalten, sei es Gruppen-Wachtturm-Studium oder Lobpreisungs- und Gebetsversammlungen.
Das nachfolgend abgedruckte, zeitgeschichtliche Gutachten wird zur Dokumentation der Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus und seinen Folgen im Bodenseeraum veröffentlicht. Es wurde am 5. Februar 2014 im Rahmen einer Pressekonferenz auf der Insel Mainau der Öffentlichkeit übergeben.1 Das Gutachten unter dem
Titel »Lennart Bernadotte (1909–2004) während der Zeit des Nationalsozialismus und
in den unmittelbaren Nachkriegsjahren« wird hier in vollem Umfang abgedruckt. Zur
besseren Anschaulichkeit wurde es um Abbildungen aus dem Gräflich Bernadotte’schen
Familienarchiv und aus anderen Archiven ergänzt.
Fort mit der 5. Kolonne! Raus mit den deutschen Nazis! hieß es Anfang Juni 1945 auf
öffentlichen Kundgebungen der Schweizer Sozialdemokraten und Kommunisten (PdA)
in Arbon, Kreuzlingen und Winterthur. In Schaffhausen kam es zu einem Schaufenstersturm gegen Schweizer Frontisten und deutsche Nationalsozialisten. Demonstriert
wurde auch in Zürich, Davos und im Tessin. Massiv wurden die Thurgauer Behörden
wegen ihrer Langsamkeit bei der Ausweisung deutscher Nationalsozialisten kritisiert,
der Kreuzlinger Bezirksstatthalter Otto Raggenbass musste sich öffentlich rechtfertigen.
Das Thurgauer Kantonsparlament forderte die Kantonsregierung auf, streng durchzugreifen. Es befasste sich zudem mit der Forderung, wie man deutsche Wehrmachtssoldaten, die ihren Wohnsitz in der Schweiz hatten, an der Rückkehr in die Schweiz hindern könnte. In den Ausweisungen sah m an hier wie auch in der übrigen Schweiz die
Chance, das heikle Thema »Nationalsozialismus und Schweiz« rasch zu bewältigen und
abzuschließen. Bestraft wurden auch aktive Schweizer Nationalsozialisten, die sich für
den Anschluss der Schweiz an Deutschland ausgesprochen hatten. Wenn sie sich nach
Deutschland abgesetzt hatten, wurden sie ausgebürgert.
Bad Rippoldsau, das unter der Badeigentümer-Dynastie der Goeringer nicht nur zu einem der bedeutendsten Bäder des
Schwarzwaldes, sondern zu einem Heilbad von Weltruf geworden war, hatte nach dem ständigen und kontinuierlichen Aufschwung von 1777 bis zum Tode Otto Goeringers (Otto Goeringer sen. 1853–1920, zu Kaisers Zeiten Leutnant der Reserve mit früherem Standort in Colmar, zuerst Alleineigentümer des Bades Rippoldsau, später Direktor der Bad Rippoldsau AG) in den Zeiten der Weltwirtschaftskrise existenziell zu kämpfen. Selbst die hervorragenden Einrichtungen des Fürstenbaus (der bereits 1865 errichtete Fürstenbau war zu seiner Zeit eines der modernsten Hotels in Europa) und der Villa Sommerberg (nicht weniger luxuriös und modern) sowie die fachliche Leitung durch den Hotelier von Weltruf, Ferdinand Huse, vermochten den Niedergang nicht zu verhindern. Huse war an den Katarakten des Nils genauso zu Hause wie in den allerersten Hotels Europas. Er sollte später das Kurhaus Sand zu höchster Blüte bringen.
Straßburg und Bad Rippoldsau
(2019)
Bad Rippoldsau lag und liegt idyllisch und recht abgeschieden, heute in einer Art Dornröschenschlaf – trotzdem dass der Ort
noch lange deutlich vom Nachruhm der großen „Goeringer-Zeit“ (vom Ende des 18. Jahrhunderts bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts) zehren konnte. Und zwischenzeitlich durch die „Schwestern der Liebe vom kostbaren Blut“ und die zur Zeit
ihres Bestehens erfolgreiche Klinik Bad Rippoldsau das medizinische Bäderwesen bis zur Gesundheitsreform in den 90er
Jahren des vorigen Jahrhunderts in hoher Blüte stand. Für die Fürsten zu Fürstenberg waren in ihrer Zeit als Landesherren stets Zimmer bereitzuhalten gewesen. Hier waren seit der Erhebung zum Großherzogtum die Landesherren zu Gast, hier wurde durch Großherzog Ludwig 1821 der Grundstein für die Vereinigte Evangelisch-Protestantische Landeskirche in Baden gelegt. Obwohl Bad Rippoldsau traditionell ein bedeutender, katholischer Wallfahrtsort ist: Noch heute genießt das Gnadenbild der Gottesmutter in der Wallfahrtskirche Mater Dolorosa in Bad Rippoldsau nicht nur an den traditionellen Wallfahrtstagen höchste Verehrung. Baden und das Elsass verbindet traditionell mehr als nur der Rhein, und diese Verbindung der Landschaft zwischen Schwarzwald und Vogesen geht weiter zurück als bis zur Eheschließung des späteren Großherzogs Karl Friedrich Ludwig mit Stépanie de Beauharnais, Kaiserliche Hoheit, Fille de France und Adoptivtochter Napoleons.
Ein monströser städtebaulicher Entwurf, der zum Glück nur eine kurze Episode geblieben ist, sollte vor 80 Jahren Straßburg
näher an Offenburg heranrücken: Hitlers Pläne zur Neugestaltung Straßburgs als Hauptstadt des neuen Doppelgaus Baden-Elsass am Oberrhein nach dem deutschen Sieg über Frankreich im Jahre 1940.
Das Leben des Schauspielers Willy Schürmann-Horster (1900-1943) ist bis auf die
12 Monate seines Aufenthalts in Konstanz eigentlich ganz gut bekannt. Nach Schulzeit
und Besuch der Schauspielschule von Luise Dumont in Düsseldorf, an der auch Gustav
Gründgens Schüler war, spielte und inszenierte er ab 1920 im Rheinland politisch-revolutionäres Theater mit zeitgenössischen Autoren wie Maxim Gorki, Ernst Toller, Georg
Kaiser, Erich Mühsam, Bert Brecht und Friedrich Wolf, aber auch Georg Büchner. Daneben befasste er sich stets mit den Klassikern. Vorübergehend war er 1923 sogar Mitglied
der KPD, wurde aber nach seinen Aussagen im Prozess von 1943 wegen politischen Differenzen ausgeschlossen. Seine Theatergruppen trugen Namen wie »Jungaktivistenbund«
(1920), »Junge Aktion«, »Freie Volksbühne«, »Notgemeinschaft Düsseldorfer Schauspieler« und besonders erfolgreich die »Truppe im Westen«, ein 1930 entstandenes Schauspielerkollektiv. Die Witwe erinnerte sich später an ihn: Deutlich sehe ich Willy Schürmann
noch vor mir, den mitreißenden Regisseur bei der Gestaltung eines Aktschlusses: Die revolutionären Arbeitersehen dem Tode entgegen, schließen sich eng zusammen und singen: "Brüder in eins nun..."
Die Machtübernahme der Nationalsozialisten und die endgültige Inthronisierung
ihrer »Weltanschauung« 1933 mussten dem in Gaienhofen lebenden Schriftsteller Dr.
Ludwig Finckh (1876-1964) eine späte, doch tiefe Genugtuung bedeuten. Seit Ende des
Ersten Weltkrieges gab er sich in zahlreichen kleineren Schriften als entschiedener Antidemokrat und Gegner der Weimarer Republik zu verstehen, in denen er in Kategorien
des Völkischen und Sippenkundlichen in bedenkliche Nähe zu antisemitischer Rassenkunde, Erbbiologie und Eugenik geriet. Der geistigen Vorläuferschaft: des Nationalsozialismus mehr als nur verdächtig, fand der fast 60jährige Autor im »Neuen Deutschland«
die lang erhoffte Bestätigung, endlich verstanden zu werden. Gerade so, als hätte er
immer schon gewusst, worauf es in Deutschland nach 1918 hinauslaufe und vor allem
ankomme, wurde Finckh 1933 aktives Parteimitglied der NSDAP und gehörte am 26. Oktober des Jahres zu jenen 88 deutschen Autoren, die das offizielle »Gelöbnis treuester
Gefolgschaft« für Adolf Hitler und den nationalsozialistischen Staat Unterzeichneten.
Im Bundesarchiv in Berlin-Lichterfelde, untergebracht auf dem Kasernengelände
der ehemaligen preußischen Hauptkadettenanstalt und später der Leibstandarte-SS
Adolf Hitler, werden unter anderem die erhaltenen SS-Führerpersonalakten verwahrt.
Unter den abertausenden von Dokumenten befindet sich auch das zu Papier verdichtete
Leben von Heinrich Koeppen, dem ersten
Kommandanten der Kaserne in Radolfzell. Bislang ist in der zeitgeschichtlichen
Forschung über den SS-Obersturmbannführer nur bekannt, dass er im September
1939 in Polen den »Heldentod« fand und
deshalb die Kaserne nach ihm benannt
wurde. Ansonsten liegt sein Leben bis
heute gänzlich im Dunkeln. Was lässt sich
auf der Grundlage eines in Berlin gemachten Quellenfundes mit Gewissheit über
Heinrich Koeppen aussagen?
Bootsflüchtlinge 1939
(2016)
Am 13. Mai 1939 stach das Transatlantik-Passagierschiff „St.
Louis“ der Hamburg-Amerika Line (Hapag) in Hamburg in See.
An Bord waren über 900 Juden. Unter den Passagieren war –
neben 21 noch jüngeren Kindern – auch die 4-jährige Sonja
Maier aus Malsch bei Ettlingen. Es sollte keine lustige Seefahrt
werden.
Sonja Maier war die Tochter von Ludwig Maier (geboren am
19. August 1901) aus Malsch bei Ettlingen und Freya Valfer
(geboren am 29. Mai 1910) aus der Poststraße 2 in Kippenheim.
Die Hochzeit der beiden fand am 15. Januar 1933 im Wohnort
der Braut statt – es sollte die letzte Eheschließung unter der
Chuppa in der Kippenheimer Synagoge sein.
Zwei geschichtspolitische Themen bestimmen seit fast vierzig Jahren die lokale Erinnerungskultur der Stadt Offenburg: Die
Erinnerung an und die Auseinandersetzung mit der badischen Revolution von 1847–1849 sowie „Verfolgung und Widerstand“
in der NS-Zeit. In den beiden vergangenen Jahren zog die Kulturverwaltung gemeinsam mit dem Kulturausschuss und dem
Gemeinderat eine Bilanz über die städtische Erinnerungskultur der letzten vier Jahrzehnte und setzte die inhaltlichen Schwerpunkte für die zukünftige städtische Erinnerungspolitik. Gemeinsam entschied man sich bewusst dafür, dass auch in Zukunft „NS-Vergangenheit“ einerseits und „Demokratiebewegung des Vormärz“ andererseits Schwerpunkte der Erinnerungskultur in Offenburg bilden sollen. Der folgende Beitrag beschäftigt sich ausführlich mit der kommunalen Erinnerungskultur und ihrer Zukunft.
Das Judengrab von Steinach
(2017)
Wie kommt die Ruhestätte eines Juden auf einen christlichen Friedhof? Steinach war in seiner langen Geschichte nie Heimstätte von Angehörigen mosaischen Glaubens. Außerdem bestatteten die Juden ihre Toten traditionsgemäß auf Sammelfriedhöfen außerhalb christlicher Siedlungen. Nachforschungen im Archiv der Gemeinde bestätigten die Existenz eines Juden: Nikolaus Klein, 22 Jahre, geboren in Bukarest, gestorben in einem Transportzug am 5. März 1945. Handschriftlich hat
jemand nach Ende des Krieges die wenigen Angaben in die Lageskizze der Ehrengräber eingetragen. Vom Internationalen
Suchdienst in Bad Arolsen liegt eine Bestätigung vor. Damit konnte zweifelsfrei ausgeschlossen werden, dass Nikolaus Klein
nicht zu den Häftlingen der drei Haslacher Außenlager des KZs Natzwiller-Struthof im Elsass gehörte. Zeitzeugenberichte untermauerten das Ganze zusätzlich. Seinen Weg in die Vernichtung nachzuzeichnen, gestaltete sich indessen viel schwieriger.
Es war ein glücklicher Fund wider das Vergessen: ein Aktenfaszikel aus 147 Blättern, mit einer groben Schnur zusammengeheftet, die Seiten eng beschrieben mit Schreibmaschine und
einer sehr schönen und regelmäßigen, gleichwohl oft nicht
leicht lesbaren altdeutschen Schreibschrift. Über ein halbes
Jahrhundert lang hatte das Bündel im Schrank des katholischen Pfarrhauses in Schutterwald verborgen gelegen, und
nachdem ein neuer Pfarrer eingezogen war, bewahrte es nur
die glückliche Aufmerksamkeit eines Fußgängers vor der Vernichtung und dem endgültigen Vergessen auf einem Haufen
Sperrmüll am Straßenrand. Schließlich waren die Blätter über
einige merkwürdige Umwege auf mich gekommen.
Eppingen 1933-1939
(2010)
„Den Frieden zu erringen, der Nation
Selbstbestimmungsrecht zu sichern, die
Verfassung zu sichern und zu behüten, die
allen deutschen Männern und Frauen die
politische Gleichberechtigung verbürgt,
dem deutschen Volk Arbeit und Brot zu
schaffen, ein ganzes Wirtschaftsleben so zu
gestalten, dass die Freiheit nicht Bettelfreiheit, sondern Kulturfreiheit werde” dies
waren die Ziele, die nach dem 1. Weltkrieg
der 1925 leider zu früh verstorbene Reichspräsident Friedrich Ebert1 anstrebte, der
SPD Mann aus Heidelberg, der das
Deutschlandlied am 11. August 1922 als
Nationalhymne eingeführt hatte. Indes, es
sollte anders kommen. Die schreckliche
Inflationszeit war noch nicht vorbei.
Mit den Festsetzungen des Versailler Vertrags von 1919 war es Deutschland verboten, links des
Rheins sowie in einer Zone, die sich in einer Breite von 50 km auf der rechten Rheinseite erstreckte, Truppen zu stationieren und üben zu lassen. Ferner war es in diesem Bereich verboten,
Befestigungen zu unterhalten und zu errichten. Dies führte dazu, dass alle kaiserlichen Befestigungen, die bis 1918 dort entstanden waren, geschleift werden mussten – als Beispiele seien
hier die Feste Istein nördlich von Weil am Rhein oder die Festung Köln genannt. Die Trümmer
und Reste dieser Befestigungsanlagen sind teilweise bis heute im Gelände erhalten und kehren
erst langsam wieder in das Bewusstsein der Bevölkerung zurück. Doch sie sind nicht Teil dieser
Betrachtung unterschiedlicher Wahrnehmungen der einige Jahre später entstandenen Westbefestigungen.
Vergessen wäre gefährlich! »Verbrechen gegen die Menschlichkeit, unter anderem:
Mord, ethnische Ausrottung, Versklavung, Deportation und andere unmenschliche
Akte gegen die Zivilbevölkerung oder: Verfolgung aufgrund von rassistischen, politischen und religiösen Motiven; unabhängig davon, ob einzelstaatliches Recht verletzt wurde.« So lautet die Definition der Londoner Charta vom 8. August 1945.
Mit dem Begriff »Verbrechen gegen die Menschlichkeit« versuchten 1945 die Staaten, deren Armeen das nationalsozialistische Deutschland niedergerungen hatten, die
Verbrechen der Deutschen zu beschreiben und Maßstäbe zu ihrer Verurteilung zu
schaffen. Dass sie einen ganz wichtigen rechtsstaatlichen Grundsatz unterliefen,
indem sie den Straftatbestand erst definierten, nachdem die Taten begangen waren,
war allseits bewusst. Angesichts der jahrelangen, geplanten, massenhaft praktizierten
ungeheuerlichen Brutalität des Terror-Regimes und aller, die es unterstützten, wurde
dieser Verstoß gegen einen formalen Rechtsgrundsatz in Kauf genommen. Unter anderem auch, weil »Verbrechen gegen die Menschlichkeit« zwar eine neue Formulierung war, im Kern aber nur gewachsene Grundlagen des modernen Rechts zusammenfasste – bis hin zu biblischen Grundsätzen wie »Liebe deinen Nächsten wie dich
selbst« oder eben »Du sollst nicht töten«. Diese und alle darauf aufbauenden Gebote
und Verbote brauchten angesichts der zwölf Millionen Menschen, die von den Nazis
gezielt ermordet worden waren, dringend neue Schubkraft.
Im Angesicht des Terrors
(2015)
Wenn es gilt, dass die Stadt Vaihingen vom ersten bis zum letzten Tag in das nationalsozialistische Unrechtssystem eingebunden war, dann heißt das auch, dass sich die
Vaihinger Bevölkerung vielfach ganz konkret mit den Untaten des Dritten Reichs
auseinandersetzen musste und viele vor die Entscheidung gestellt wurden, wie sie
sich angesichts einer bislang unbekannten Abweichung vom kleinbürgerlichen Alltag
verhalten sollten. Und so vielgestaltig wie die Herausforderungen waren die Erfordernisse bzw. die Möglichkeiten, darauf zu reagieren.
In seinem sehr sachlichen und detaillierten Rechenschaftsbericht zu Beginn des Jahres 1933 sah Georg Würth, der im April 1932 für weitere zehn Jahre wiedergewählte Ortsvorsteher von Korntal, der zukünftigen Entwicklung seiner Gemeinde mit Optimismus entgegen. Dieser Bericht führte eine ganze Reihe von Maßnahmen zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit – der »größten Not des Jahres 1932« – an. Im letzten Teil seiner Rede beklagte er dann allerdings eine durch fortgesetzte Wahlen entstandene »dauernde Unruhe« und stellte in diesem Zusammenhang fest: »Eine Wahl löst die andere ab. So hatten wir im abgelaufenen Jahre in der Gemeinde Korntal nicht weniger als neun Wahlen, und zwar am 24. Januar 1932 die
Landwirtschaftskammer-Wahl, am 13. März und 10. April Reichspräsidenten-Wahl, am 20. April Gesellschaftsrats-Wahl, am 23. April Ortsvorsteher-Wahl, am 24. April Landtags-Wahl, am 19. Juli Pfarr-Wahl, am 31. Juli und 6. November Reichstags-Wahl.«
Der 15. Juli 1942 war ein Mittwoch. Reinhold Birmele, achtundzwanzigjähriger Gehilfe in der Gärtnerei Rappenecker, bearbeitete ein Grundstück in der Freiburger Beethovenstraße. Wegen epileptischer Anfälle in der Vergangenheit hatte er nicht als Soldat in den Krieg ziehen müssen. Nebenan, Nr. 9, lag der Garten, der zur Villa des ehemaligen Bankdirektors Hein gehörte. Birmele hatte schon oft dort gearbeitet. Nur flüchtig war er hingegen bisher der achtundfünfzigjährigen Hausgehilfin der Familie Hein, Maria Weber [Name geändert, H. H.], begegnet, die gerade in den Garten trat; er wußte nicht einmal ihren Namen. Sie kamen ins Gespräch. Dabei stellte sich heraus, daß Frau Weber in St. Peter beheimatet war und Reinhold Birmele ihre dort verheiratete Schwester kannte. Sie habe jetzt Ferien und wolle ihre Schwester wieder einmal besuchen, meinte Birmele die Hausgehilfin zu verstehen. Ihm kam die Idee, sie zu fragen, ob sie nicht gemeinsam dorthin wandern wollten. Er war ein großer Naturfreund und jeden Sonntag draußen in den Bergen. Birmele wollte dann, nach dem Besuch der Bekannten in St. Peter, über den Kandel zurück nach Kollnau laufen, wo er wohnte. Eine richtige Verabredung war es wohl nicht, aber Birmele dachte, Maria Weber habe seinem Plan zugestimmt.
„Die Schwarzen sind da, der Krieg ist aus!" Dieses Bild vom Einmarsch dunkelhäutiger marokkanischer Soldaten, die in der französischen Armee dienten, bestimmt die Erinnerung an das Kriegsende in Zell am Harmersbach am 19. April 1945. Schon wenige Wochen vor dem offiziellen Ende des Zweiten Weltkrieges in Europa am 8. Mai 1945 erlebte die Bevölkerung in Südbaden ihren „Tag der Befreiung", wie ihn Ex-Bundespräsident Richard von Weizsäcker in seiner weltweit beachteten Rede in der Feierstunde am 8. Mai 1985 im Deutschen Bundestag in Bonn zum 50. Jahrestag des Kriegsendes bezeichnete. Die detailgetreue Erinnerung an dieses historische Datum ist als einschneidendes Erlebnis bei Zeitzeugen und in Publikationen noch präsent. Im Tausendjährigen Reich nahmen viele nach der anfänglichen Begeisterung über Hitler die brutale Diktatur erst richtig wahr, als sie durch die Kriegswirren mit Not, Hunger, Angst, Luftschutzkeller, Volkssturm ... für jeden selbst spürbar wurde.
Welche Auswirkungen hat die große Politik auf das Alltagsleben? Das zeigen am besten die Tageszeitungen mit ihrem Nebeneinander von lokalen und nationalen Ereignissen. Alltagsgeschichte gehört inzwischen längst zu den anerkannten Forschungsrichtungen der Historiker, und auch in Offenburg spiegeln die Zeitungsberichte die Geschichte einer turbulenten Zeit. Als am 18. November 1918 rückkehrende Soldaten der 301. Felddivision in das beflaggte Offenburg einmarschieren, werden sie als „moralische Sieger" des Ersten Weltkriegs begrüßt. ,,Leider nicht als physische Sieger", spiegelt ein Pressebericht im „Offenburger Tageblatt" die Stimmung der Bevölkerung wider. Wenn auch im vierten Kriegsjahr die Sehnsucht nach Frieden vorherrscht, legt sich das völlig unerwartete Waffenstillstandsgesuch von deutscher Seite wie ein drückender Alp auf die Gemüter. Ein solches Ende des „furchtbarsten aller Kriege" hatte keiner erwartet, und in die Freude über die heimkehrenden Soldaten mischt sich die Enttäuschung über die Niederlage. Gleichwohl bemüht sich die Stadt um einen „liebevollen Empfang" ist am 19. November im „Offenburger Tageblatt" nachzulesen.
Mit großer Mehrheit hat der Deutsche Bundestag am 6. Juli 2000 das Gesetz zur Errichtung einer Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft" verabschiedet. Es trat am 12. August 2000 in Kraft. Zweck der Stiftung ist es, über Partnerorganisationen Finanzmittel zur Gewährung von
Leistungen an ehemalige Zwangsarbeiter aus der Zeit des Nationalsozialismus bereitzustellen.
Eine wichtige Rolle bei der Beschaffung von Daten der Nachweise nehmen die Archive ein. Denn ohne die in Archiven verwahrten Unterlagen
können die meisten ehemaligen Zwangsarbeiter den Nachweis nicht erbringen.
Es dürfte wenig Schulen in Deutschland geben, die so gut erforscht sind wie die Reichsschule für Volksdeutsche, die von 1940 bis 1944 in der Illenau bei Achern eingerichtet war. Die dortige Heil- und Pflegeanstalt war im Zuge der Euthanasieaktionen geräumt worden. In den Jahren 1990/91 sind an der Universität Innsbruck gleich zwei Magisterarbeiten über die Schule in Achern entstanden. Beide Arbeiten beruhen nicht auf Archivstudien, sondern auf Interviews mit Schülerinnen, Lehrerinnen und Unterrichtsleiterinnen. Nachdem die Autorinnen Wieser und Mayr festgestellt hatten, dass sie am gleichen Thema arbeiten, einigten sie sich darauf, die Interviews mit den Schülerinnen in Südtirol regional aufzuteilen. Die Interviews mit Lehrerinnen und Direktorinnen in Deutschland führten sie gemeinsam, so dass die Ergebnisse der beiden Arbeiten nicht stark voneinander abweichen.
Zur Erinnerung an dieses Ereignis, von dem
auch Menschen aus Villingen betroffen waren,
wurde eine Veranstaltungsreihe organisiert.
VS-Villingen. „Es ist unsere Aufgabe zu erinnern: an die, die unter dieser Diktatur gelitten
haben und ermordet wurden und an die, die
diese Verbrechen begangen haben. Wir dürfen
nicht vergessen“, heißt es im Grußwort des Oberbürgermeisters Jürgen Roth. Das katholische
Bildungszentrum, die evangelische Erwachsenenbildung und die Volkshochschule VS haben
eine Veranstaltungsreihe zum Gedenken an die
Deportation der Juden aus Baden in das Lager
Gurs in Frankreich am 22. Oktober 1940 organisiert. Viele Unterstützer sind mit dabei, und wollen zeigen: Wir stehen hinter dieser Idee. Darunter finden sich zum Beispiel der Geschichts- und
Heimatverein Villingen und das Amt für Kultur
VS. Dieses historische Ereignis hat zudem regionalen Bezug. Unter den Verschleppten waren
auch Villinger, Donaueschinger und Triberger.
Für viele der Deportierten ging der Weg später
weiter in die Vernichtungslager in Osteuropa …
Interniert in Kislau
(2019)
Weder die deutsche Öffentlichkeit noch die Geschichtswissenschaft beschäftigte sich nach Ende des „Dritten Reiches“ mit dem Schicksal der Menschen, die im Nationalsozialismus als „Asoziale“ verfolgt wurden. Noch weniger bekannt ist, dass sich deren Stigmatisierung und Ausgrenzung nicht auf die Zeit zwischen 1933 und 1945 begrenzte, sondern bereits im Kaiserreich praktiziert wurde und auch in der Bundesrepublik weiter anhielt. Die Betroffenen – insbesondere Menschen ohne festen Wohnsitz – waren noch Jahrzehnte nach Kriegsende mit Ressentiments und Kriminalitätszuschreibungen konfrontiert. Da sie nicht als Opfer „rassischer Verfolgung“ anerkannt wurden, hatten sie keine Ansprüche auf finanzielle Entschädigung für das erlebte Leid. Die Forschung lenkte ihren Blick erstmals und auch nur vereinzelt in den 1980er-Jahren auf das Schicksal der als „asozial“ Stigmatisierten. Dies geschah im Zuge der generellen Entdeckung sogenannter „vergessener Opfer“, die sich nach Kriegsende nicht in Opferverbänden zusammengeschlossen hatten und daher kaum öffentlich wahrgenommen wurden. Mittlerweile sind viele der „vergessenen Opfer“ anerkannt worden, wie die Homosexuellen, Sinti und Roma, Zwangssterilisierte oder sowjetische Zwangsarbeiter, allerdings fehlen bis heute die „Asozialen“. Als „asozial“ abgestempelte Personen wurden in nationalsozialistische Konzentrationslager eingewiesen – meist versehen mit dem schwarzen oder grünen Winkel – und dort zu Tausenden ermordet, aber auch in reichsweit existierenden Arbeitshäusern interniert. Darunter befand sich ein badisches Arbeitshaus, das auf dem Gelände des Schlosses Kislau bei Mingolsheim (heute Bad Schönborn) untergebracht war.
Die Geschichte des badischen Landesverbands der Deutschnationalen Volkpartei (DNVP) ist ein Desiderat der südwestdeutschen Landesforschung, obwohl die Partei eine nicht unwesentliche Rolle bei der Erosion der badischen Demokratie spielte. In Baden repräsentierte die DNVP bis zu den Landtagswahlen 1929, bei denen die rechtsextremistische NSDAP insbesondere den Deutschnationalen Stimmen abschöpfen konnte und mit sechs Abgeordneten in das Karlsruher Ständehaus einzog, alleine die rechte, ja rechtsradikale sowie deutlich antisemitisch eingefärbte Opposition, zumal sie anders als im Reich niemals an der Regierungsverantwortung beteiligt war. Gemäßigte rechte Elemente, die nicht in fundamentaler Opposition zum Weimarer Staat standen, wurden in Baden bis Mitte der 1920er Jahre ausgeschieden; so verteidigte der erste Landesvorsitzende Adelbert Düringer nach der Ermordung Walther Rathenaus die Verabschiedung des
Republikschutzgesetzes, woraufhin er aus der DNVP gedrängt wurde. In der Folgezeit betrieb die badische DNVP eine radikale Obstruktionspolitik gegen das „System Weimar“ und verteidigte alle rechtsradikalen Aktivitäten und Kampagnen. 1924 forderte sie im Landtag die Aufhebung des infolge des gescheiterten Hitler-Putsches erlassenen Verbots der NSDAP. Nach den Landtagswahlen im Oktober 1929 betrieben die badischen Deutschnationalen im Landtag unter ihrem Wortführer Paul Schmitthenner einen deutlichen Annäherungskurs an die NSDAP und unterstützten deren Anträge sowie provozierende Einlassungen. Der vorliegende Aufsatz ist ein Destillat der an der Universität Heidelberg vorgelegten und von Frank Engehausen sowie Eike Wolgast betreuten Masterarbeit und kann lediglich, nicht zuletzt aufgrund der schwierigen Quellenlage, neben der Gründungsphase vor allem auf die Jahre nach 1929 detailliert eingehen.
Am Abend des 29. Dezember 1936 notierte Marie Luise Kaschnitz, die das Jahresende auf dem
elterlichen Schloss in Bollschweil verbrachte, in ihr Tagebuch: 'Gespräch über das Kinderheim.
Mama bedauert, dass es nicht möglich ist, die Kinder vor dem Ablauf des Mietkontraktes zu
vertreiben. Es sei eine Schande für eine Gemeinde. Diese Äußerung erschütterte mich sehr. Vor
2 Jahren noch hätte sie den Fall, einer natürlichen Gutmütigkeit folgend, ganz anders beurteilt.'
Die Erinnerung an das hier angesprochene Kinderheim, da jüdische Kinderheim „Sonnenhalde", ist heute fast ganz untergegangen - nur wenige der älteren Bollschweiler wissen noch
davon-, und auch die Herausgeber der Kaschnitz-Tagebücher konnten es nicht verifizieren, im
Anmerkungsapparat fehlt, obwohl die Textstelle au ich heraus nicht recht verständlich wird,
jeder erläuternde Hinweis. Erst spät, und für manche Fragen zu spät, ist auch der Verfasser
durch eine Anfrage au Jerusalem auf da Kinderheim aufmerksam geworden, dessen kurze
Geschichte durchaus allgemeine Interesse beanspruchen kann, allein schon weil es eines jener zahlreichen lokalen Beispiele dafür ist wie ich jüdische Bürgerinnen und Bürger in der
NS-Zeit trotz aller Repressalien neue Lebens- und Berufschancen zu schaffen suchten.
Als am Morgen des 6. März 1933 am Freiburger Rathaus die Hakenkreuzflagge gehisst wurde,
bedeutete dies ein Fanal: Von jetzt an hatte die NSDAP mit ihren braunen Helfershelfern in der
SA und anderen Organisationen das Sagen, und zwar nicht nur in Berlin, wo tags zuvor die
Reichstagswahl zwar nicht ganz so überzeugend wie erwartet, so doch reichlich „braun" ausgefallen war, sondern auch in Freiburg, wo die NSDAP mit 35,8% zur stärksten Partei avancierte. Obwohl hier noch nicht wirklich installiert, hissten die Nazis trotz des durch den noch
amtierenden demokratisch gewählten Zentrums-Oberbürgermeister Karl Bender ausgesprochenen Verbots die Hakenkreuzfahne auf dem Balkon des Rathauses, also am zentralen Ort
kommunaler Machtausübung.
Als Ende der 1990er-Jahre die Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft" auf den Weg
gebracht wurde, die Entschädigungsleistungen an ehemalige Zwangsarbeiterinnen und
Zwangsarbeiter in Deutschland aus Mitteln des Bundes und der Wirtschaft bereitstellen und
verteilen sollte, da war die Zwangsarbeitergeschichte und die Auseinandersetzung mit ihr in aller Munde. Sie wurde im Vorfeld der Gesetzgebung lebhaft und strittig diskutiert, und zwar
nicht nur hierzulande. Schon während der Auszahlung der 5, 1 Milliarden Euro aus dem
Stiftungsfond an die Betroffenen, die nach einem aufwendigen und mühseligen Antrag - und
Prüfungsverfahren zustande kam und die gewiss in vielen Fällen segensreich, in anderen aber
auch mit Härten und Enttäuschungen verbunden war, begann aber da öffentliche Interesse an
der Zwangsarbeiterthematik nachzulassen. Heute ist sie aus dem Bewusstsein des Normalbürgers bereits wieder weitgehend verdrängt.
Die Stadt Freiburg, die damals, auf dem Höhepunkt der Debatte im Mai 2001 , sozusagen als
Soforthilfe in Anbetracht de ich immer wieder verzögernden Au zahlungsbeginn eine eigene
städtische Entschädigungsleistung an ehemalige Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen im
Stadtgebiet beschlossen hatte, ist allerdings immer noch mit dem Thema befasst. Erst 2007 hat
sich nämlich die russische Zwangsarbeiterstiftung bereitgefunden, sich mit der Stadt vertraglich über die Zahlung an ihre betroffenen Landsleute zu einigen, so dass nun endlich auch die
letzten Gelder fließen können.
Bitterkeit empfindet Johanna F., geb. Santo, wenn sie an die vielen rhetorisch ausgefeilten Reden denkt, die am 27. Januar 2005 von Politikern zum 60. Jahrestag der Befreiung des Konzentrations- und Vernichtungslagers Auschwitz gehalten wurden. Keiner der Volksvertreter vergaß, an die Opfer von Nazi-Deutschland zu erinnern. Die KZ-Opfer nicht zu vergessen,
nie mehr Unrecht auf deutschem Boden zu dulden, war Inhalt aller Gedenkansprachen. Doch war die moralische Entrüstung, die Einforderung von Toleranz und Humanität im gesellschaftlichen Zusammenleben immer auch ein ernst zu nehmendes Anliegen der Redner? Entsprangen die lautstark vorgetragenen Anklagen stets auch einer edlen Gesinnung? Die Mutter von Johanna F., Elsa Santo, war vom 24. November 1944 bis zum 28. April 1945 als politisch Verfolgte im Frauen-Konzentrationslager Ravensbrück inhaftiert. Eine Wiedergutmachung hat sie als Opfer des Faschismus trotz ihrer Anträge und Eingaben an die zuständigen Behörden im Land Baden-Württemberg nie erfahren. Aktenunterdrückung und
Rechtsbeugung haben jegliche Wiedergutmachung verhindert. Dieter Wiefelspütz (MdB), Innenpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, fasst sein Unverständnis und seine Empörung über die Vorgehensweise der Behörden gegenüber Johanna F. in einem Schreiben vom 8. September 2000 in folgenden Worten zusammen: „Ihr Schicksal und das Ihrer Mutter haben mich tief berührt und Ihr Leidensweg durch die bundesdeutsche Gerichtsbarkeit erfüllt mich mit Zorn und gleichzeitig mit Ohnmacht." Nachfolgend eine Dokumentation zu dem Schicksal von Frau Elsa Santo und ihrer Tochter Johanna.
Wenn man sich mit der Geschichte Offenburgs in der Zeit des Dritten Reiches befasst, stößt man immer wieder auf den Namen Rombach. Allerdings verbergen sich hinter diesem Namen zwei Personen, die nicht mit einander verwandt gewesen sind. Beiden Rombachs gemeinsam war die stark ausgeprägte nationalsozialistische Gesinnung; was sie unterschied, waren das Temperament und die Rigorosität, mit der sie diese Gesinnung in die Tat umsetzten. Beide waren Funktionsträger des nationalsozialistischen Regimes, pflegten aber einen unterschiedlichen politischen Stil, vermutlich als Folge einer divergierenden sozialen Herkunft und Sozialisation. Bevor ich auf das Verhältnis der beiden lokalen NS-Leute eingehe,
möchte ich einen Blick auf die Biographie des Offenburger Oberbürgermeisters werfen. Dabei werde ich an mehreren Stellen aus Wolfram Rombachs Lebenserinnerungen zitieren, die er Mitte der 1960er Jahre schrieb und später dem Stadtarchiv Offenburg zur Verfügung stellte. Bis zu seinem Tod blieben sie gesperrt.
Ab 1940 entwickelte sich die leergeräumte Heil- und Pflegeanstalt Illenau bei Achern zu einem Zentrum nationalsozialistischer Schulpolitik. Zuerst wurde eine Reichsschule für Volksdeutsche eingerichtet. Gemeint sind Südtiroler Mädchen, deren Eltern für die Auswanderung nach Deutschland optiert hatten, nachdem Hitler Mussolini Südtirol überlassen hatte. Diese Mädchen sollten in der Illenau auf das Leben in Deutschland und das deutsche Schulwesen vorbereitet werden. Hinzu kam 1941 eine Nationalpolitische Erziehungsanstalt (Napola) für Mädchen, eine Eliteschule, die aber bereits 1943 in die Schule des Klosters Hegne am Bodensee umzog, wo sie unter dem Namen Deutsche Heimschule als Versuchsschule weitermachte. Dafür wurde in der Illenau im September 1943 auch noch eine Napola für Jungen gegründet.
Felix Wankel sind die höchsten Weihen der Bundesrepublik Deutschland zuteil geworden: Träger des Bundesverdienstkreuzes und Professor honoris causa des Landes Baden-Württemberg; beinahe wäre sogar ein Gymnasium in Lahr nach ihm, dem auf Grund seines Drehkolbenmotors renommierten Kind und Ehrenbürger der Stadt, benannt worden - Lorbeeren, die als moralisch haltbar erachtet worden sind; zumindest von denjenigen, welche in Wankel den politisch Unwissenden und erfinderisch Selbstvergessenen gesehen haben, der zwar mit seinen Erfindungen der Wehrmacht zugearbeitet, nie jedoch daran gedacht habe, dass er so das verbrecherische Nazi-Regime unterstützen könne, und deshalb auch als „Minderbelasteter"
vor der Spruchkammer Lindau verurteilt worden sei.
Oskar Wiegert
(2009)
In fast allen Veröffentlichungen zur Geschichte des Nationalsozialismus in Offenburg, zuletzt in Martin Ruchs Publikation über das Novemberpogrom in Offenburg, fällt der Name Oskar Wiegert als fanatischer und skrupelloser Nazitäter. Im Rahmen der Untersuchung der Entnazifizierung der Stadtverwaltung Offenburg fand der Autor weitere Archivdokumente, die bisher noch nicht ausgewertet wurden und interessante Aufschlüsse über seine Nachkriegsbiografie bringen. Zu Beginn der fünfziger Jahre lässt sich in der Bundesrepublik eine Abkehr von der im vorigen Beitrag beschriebenen Entnazifizierungspolitik feststellen. Schritt für Schritt setzte sich ein Nazi-Begriff durch, ,,der auf Rabauken und Sadisten passte, aber die partei-organisatorisch nicht recht greifbaren Unterstützer in herausragenden Positionen - Wirtschaftsmanager, Richter, Bürokraten, Professoren - ausfilterten." Dieses Milieu hatte sich nicht mit den kleinen Pöstchen abgegeben, wie Kassenverwalter, Zellenleiter, Blockwart etc. Einfach zu belangen waren die Raufbolde, Querulanten. Sie besaßen teilweise Hemmungen, den plebejischen NS-Verbänden mehr als nominell beizutreten und hatten ihren Einsatz auf viel effizientere Weise bewiesen, nur blieb davon im formalen Raster der Entnazifizierung nicht viel hängen. Letztendlich existierte in den fünfziger Jahren ein „gewisses Solidaritätsgefühl zwischen Nazis und Nicht-Nazis." In vielen Gemeinden gab es oftmals eher eine Sympathie für den verteufelten Nazi als für die Opfer des Nationalsozialismus. Die Mitarbeiter der Spruchkammern, die im Gegensatz zur Mehrheit der Bevölkerung sich dem System widersetzt hatten, waren bereits gegen eine Wand des Schweigens gestoßen. Sie waren der Bevölkerungsmehrheit oft fremd, suspekt und lästig.
Im Frühjahr 1933 bereiteten die deutschen Turner ihr 5. Deutsches Turnfest in Stuttgart (21. - 30. Juli 1933) vor. Aus diesem Anlass bat Edmund Neuendorff, der Vorsitzende der Deutschen Turnerschaft, Adolf Hitler um die Schirmherrschaft. In diesem Antragsschreiben war zu lesen: ,,Mit ungeheurem Jubel ist von der gesamten Deutschen Turnerschaft der Sieg der
Deutschen Freiheitsbewegung und die Ergreifung der Macht durch Sie mein Führer begrüßt worden. Die Deutsche Turnerschaft hat sich sofort der nationalen Regierung zur Verfügung gestellt (...) und sie hat, soweit es überhaupt noch nötig war, sofort eine Neugestaltung ihres äußeren und inneren Aufbaus vorgenommen. Die verhältnismäßig wenigen Marxisten
und Juden, die sich in der Turnerschaft befanden, haben sie verlassen müssen. (...) Der Führergedanke ist durchgeführt. (... ) Schulter an Schulter mit SA und Stahlhelm tritt die Turnerschaft den Vormarsch ins Dritte Reich an."
Trotz der Zeit der starken Männer, die die Zeit des Nationalsozialismus zu sein schien, war dies auch die Zeit der Frauen, da die meisten Männer abwesend und dadurch handlungsunfähig waren. Und es war die Zeit der Verfolgung, die Zeit des Krieges, der Besatzung und des Wiederaufbaus und die Zeit danach. In dieser Epoche bewiesen meine Uroma und meine Oma Mut. Die eine, weil sie ihren Mann liebte, und die andere, weil sie ihren Vater liebte. Neben dem Leid meines Uropas sind es aber auch die Willenskraft und das Engagement einer Martha Schanzenbach wert, einen Aufsatz über diese Frauen zu schreiben. Ich habe mit meinem Vater oft über Geschichten dieser Art in der Geo-Bücher-Reihe gesprochen. Es waren Geschichten über den Blizzard von New York anfangs des 20. Jahrhunderts, oder die Geschichte aus einem Zeitungsbericht über die Schlacht bei Verdun im Ersten Weltkrieg, aber auch ein Bericht über den Feuersturm über Hamburg im Zweiten Weltkrieg. Diese Geschichten zeugen doch davon, wie schnell Geschichte in Vergessenheit geraten kann und wie wenig man dann über die Vergangenheit weiss. Mit diesem Aufsatz will ich einen kleinen Beitrag dazu leisten, dass ein Teil der Geschichte, ein Teil der Geschichte meiner Familie, nicht vergessen wird.
Von Anfang an nutzte der NS-Staat die längst vorhandenen Vorurteile großer Teile der deutschen
Bevölkerung gegen Homosexuelle aus. Die Nazis erreichten mit ihrer Propaganda gegen
gleichgeschlechtliche Beziehungen, dass Homosexuelle nunmehr als „Abschaum" angesehen
wurden.
Die Hauptgründe der Verfolgung homosexueller Männer durch das NS-Regime lagen in der
Überhöhung des Gedankens der Volksgemeinschaft und in der Rassenideologie der Nazis. Für
sie waren die „Arier" eine überlegene Rasse. Andere galten als minderwertig, als „Untermenschen".
Wichtig war es, die Reinheit der eigenen Rasse durch sogenannte „Rassenhygiene" zu
erhalten. Das war der Grund für die Vernichtung der Juden, der Sinti und Roma sowie der
Behinderten. Auch Homosexuelle waren laut Nazi-Ideologie eine Gefahr für die arische Rasse,
pflanzten sie sich doch nicht fort, nahmen somit nicht an der Vermehrung der arischen „Herrenrasse"
teil und waren daher „bevölkerungspolitische Blindgänger". Hinzu kam, dass die
Nazis Angst vor der „Seuche" Homosexualität hatten. Sie befürchteten, einige wenige Homosexuelle
könnten viele junge Männer „verführen" und dadurch an der Vermehrung hindern.
Sie galten als „Staatsfeinde".
Am Karfreitag 1945 verhaftete eine Volkssturmeinheit unweit von Bad Rippoldsau, das unterhalb des Kniebismassivs liegt,
zwei Flüchtlinge: zwei junge Menschen, welche die Not der Zeit in die Welt hinausgeworfen hatte, wo sie versuchten, ihr
Leben zu retten. Doch sie trafen auf den SS- und SD-Führer, SS-Totenkopfringträger, SS-Ehrendegenträger und „Inhaber des
SS-Julleuchters", den zeitweiligen NSDAP-Ortsgruppenleiter von Wolfach, Karl Hauger, der seines Zeichens - sozusagen
neben seinen unzähligen NS-Parteibeschäftigungen - auch noch Forstamtsleiter des Staatlichen Forstamtes II in Wolfach,
der damals für Bad Rippoldsau zuständigen Forstbehörde, war. Ein Mann, der seine Unterwürfigkeit zu Partei und Staat auch
durch die Tatsache zum Ausdruck brachte, dass er nicht etwa, wie damals noch weithin üblich, im Frack und Zylinder zum
Traualtar schritt: Der Forstmann heiratete 1934 auch nicht, wie eigentlich zu erwarten gewesen wäre, in Forstuniform, sondern
in der schwarzen Uniform der SS. Karl Hauger, im Volksmund von manchen noch heute der „kleine Hitler von Wolfach" genannt, war sich selbst nicht zu schade dafür, sich eigenmächtig zum Richter zu erheben und zum Hinrichter zu erniedrigen.
In der so facettenreichen Berufsbiografie Baders hat seine Tätigkeit als Rechtsanwalt einen
eher sekundären Stellenwert. Es ist jedenfalls nicht der Anwalt, mit dem Juristen, Landeshistoriker
und eine interessierte Öffentlichkeit seinen Namen assoziierten und noch immer assoziieren.
Karl Siegfried Bader, das war für viele Nachkriegsdeutsche der gestrenge Generalstaatsanwalt
im französisch besetzten Südbaden, der, wie selbst das Wochenmagazin „Der
Spiegel" anerkennend feststellte,[1] die Hauptverantwortlichen des beschönigend „Euthanasie"
genannten Behindertenmordes in Baden noch dann mit der Härte des Gesetzes konfrontierte,
als andernorts längst die „Gnade der späten Verurteilung" (Christian Meier) grassierte. Bader,
das war der Chefankläger in einem der spektakulärsten Strafprozesse nach 1945 gegen einen
der beiden Mörder des Weimarer Reichsfinanzministers Matthias Erzberger. Neben dem großen
Nürnberger Prozess, so Baders Wahrnehmung, hat kein anderes Gerichtsverfahren unserer
Nachkriegszeit mehr Aufsehen erregt und ... ein stärkeres Echo gefunden als das im Sommer
1946 eingeleitete Strafverfahren,[2] das bekanntlich mit einem Skandal endete: Dem Freispruch
des Täters, der Urteilskassation durch die Besatzungsmacht, dem Rücktritt des quasi Justizministers
Paul Zürcher aus Differenz nicht etwa in der Sache, aber in der Form - des für den
Wiederaufbau des Rechtsstaats für schädlich erachteten Eingriffs in die Justiz. Baders Plädoyer
in jenem ersten, in Offenburg verhandelten Verfahren hielt die Nachkriegspublizistik für so bedeutsam,
dass es Dolf Sternberger im vollem Wortlaut in seine Monatsschrift „Die Wandlung"
aufnahm.