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„Im Jahre 1940“, so schrieb die Heidelbergerin Marie Baum (1874-1964) aus dem Rückblick von 1952, „traf die Juden als erste eines größeren Bezirkes die Austreibung in ein unbekanntes Schicksal; sie wurden in das in den Pyrenäen im damals noch unbesetzten Frankreich gelegene Lager Gurs verbracht, einer Unterkunft von übelster Beschaffenheit.'“ „Übelste Beschaffenheit“ - das klingt noch sehr maßvoll, geradezu euphemistisch, wenn man sich die Bedingungen vor Augen führt, in die sich die über 6.500 badischen und pfälzischen Juden, darunter etwa 400 aus Heidelberg und Umgebung, in Gurs einfinden mussten. Das Lager, einige Jahre zuvor zur Internierung republikanischer Kämpfer des spanischen Bürgerkriegs errichtet, bestand aus hunderten von Baracken hinter Stacheldraht und versank im Schlamm, Familien wurden durch die strenge Aufteilung in Frauen und Männer getrennt. Im harten Winter 1940/41 starben bereits viele der aus Baden Kommenden, meistens ältere Menschen: Wer eine Zukunftsperspektive anderswo gesehen hatte, war meist schon vor Oktober 1940 emigriert. Doch trotz der vielen Toten pro Tag in Gurs, trotz der späteren Transporte in die Vernichtung nach Osten: Etwa ein Viertel der badischen Juden hatte die Chance, Gurs zu überleben, durch Flucht, durch Auswanderung noch aus Frankreich in andere Länder. Aber das konnte in Heidelberg am 22. Oktober 1940 niemand wissen, als in den frühen Morgenstunden Polizisten an den Wohnungstüren jüdischer Einwohner klingelten und die Nachricht überbrachten, man habe sich innerhalb einer oder zweier Stunden mit wenig Gepäck am Bahnhof einzufinden. Auch Maximilian (1877-1940) und Zilla Neu, geb. Baruch (1885-1940) wussten es nicht, und zu Illusionen hatten sie keinen Anlass. Sie handelten entschlossen. Wahrscheinlich hatten sie kaum Zeit, auf die eigene Geschichte zurückzublicken.
Zu Beginn der 1980er Jahre bat mich ein befreundeter Antiquar, Reproduktionen von Bildern aus einer Mappe zu machen, die er bei einer Auktion ersteigert hatte. Die Blätter der Mappe wurden anschließend einzeln verkauft. Erst kürzlich stieß ich in meinem Archiv wieder auf diese Dias, die heute der einzige Beleg für den Inhalt der vollständigen Mappe sind. Es handelte sich um 74 kolorierte Bilder von Philibert de Graimberg, dem Sohn des in Heidelberg gut bekannten Kunstsammlers, Zeichners und so genannten ,Retters der Schlossruine‘, Graf Charles de Graimberg-Belleau (1774-1864).
Vater Graimberg war 1810 als französischer Emigrant nach Heidelberg gekommen und hat durch sein Engagement und seine eigenen Bilder verhindert, dass diese Ruine vollends zum Steinbruch verkam. Durch seine zahlreichen Detailzeichnungen, die er vervielfältigte und in seinem am Kornmarkt gelegenen Cabinett ausstellte, trug er zum Ruhme Heidelbergs und der Schlossruine wesentlich bei. Die Romantik tat ein Übriges. Man muss all die Namen derer nicht nennen, die durch Gedichte, Gemälde und Erzählungen Anteil hatten an dieser Strömung. Seltsamerweise gibt es über Philibert de Graimberg kaum Nachrichten. Sein Name ist bekannt, aber man weiß im Allgemeinen wenig über ihn, obwohl er eine große Anzahl Veduten der Stadt und ihrer Umgebung angefertigt hat: Weinheim in malerischen Darstellungen, Reiseberichte aus der Pfalz und dem Neckartal.
Sühne für die Schuld Europas
(2011)
„Die Heidelberger Universität war die erste, auf welche ein Jude (Spinoza) als Professor der Philosophie berufen worden; sie war die erste, auf welcher ein Lehrstuhl für Natur- und Völkerrecht (für Pufendorf) errichtet wurde; möge ihre hochwürdige theologische Fakultät die Erste seyn, welche durch Ertheilung der Doctorwürde an einen, dem in Nordamerika mishandelten und verachteten Menschenstamm Angehörigen, dazu beiträgt, eine, wider Natur- und Völkerrecht an diesem Stamm von Europa verwirkte Schuld zu sühnen!“ Diese Bitte richtete Friedrich Wilhelm Carove, ein freisinniger katholischer Schriftsteller, am 17. November 1849 für James William Charles Pennington an die Theologische Fakultät der Universität Heidelberg.
Am 1. August 1859 starb Johann (oder Hans) Lorenz Küchler in seinem 51. Lebensjahr in Nidau (Schweiz) an einem Schlaganfall. Der Heidelberger Anwalt war Mitbegründer und Vorstand sowohl der Deutsch katholischen Gemeinde als auch des Turnvereins, des Gewerbevereins und des Kreditvereins in Heidelberg gewesen. Als mutiger Verteidiger von Aufständischen vor dem Mannheimer Standgericht 1849 war er überregional bekannt geworden. Sein Freund Jakob Venedey verfasste sogar eine Biografie, die bald nach Küchlers Tod erschien. Das war eine Würdigung, wie sie keinem anderen Heidelberger jener Zeit zuteil wurde und uns relativ gut über sein Leben informiert. Wie kam es zu diesem Text? Jakob Venedey (1805-1871) war einer der bedeutendsten deutschen demokratischen Politiker und Publizisten seines Jahrhunderts. Küchler könnte ihn schon 1832 beim Hambacher Fest kennen gelernt haben. Fast gleichzeitig gingen sie Ende 1832 bzw. Mitte 1833 ins Exil nach Paris. Dort wurde Küchler Mitglied im „Bund der Geächteten“, den Venedey leitete. Eine enge familiäre Verbundenheit entstand dann, als beide 1856 bis 1858 in Heidelberg wohnten und auch ihre Frauen Freundschaft schlossen.
Ein Platz für Menschen
(2011)
Im vergangenen Jahr (2010) fanden, in Kooperation zwischen der Arbeitsgruppe „Kunst Heidelberg“, der Architektenkammer und dem Stadtplanungsamt, verschiedene Veranstaltungen zum Thema „Kunst im Öffentlichen Raum“ statt, die fortgesetzt werden und über die theoretische Erörterung hinaus möglichst auch zu konkreten, sinnvollen und durchdachten Ergebnissen führen sollen - zweifellos eine begrüßenswerte Initiative. Manche Diskussionsbeiträge konnten freilich so verstanden werden, als hätte Heidelberg auf diesem Gebiet bislang nichts Bemerkenswertes vorzuweisen. Dass dem nicht so ist, zeigen im Bereich der Altstadt etwa Beiträge wie der - im Volksmund so benannte - „Spaghettibrunnen“ des Berliner Künstlerpaares Matschinsky-Denninghoff am Bismarckplatz oder der Sebastian-Münster-Brunnen von Michael Schoenholtz auf dem Karlsplatz. Beides Arbeiten, die durchaus Anspruch auf überregionale Beachtung erheben können, und dies gilt erst recht für die künstlerischen Beiträge im Neuklinikum und im Universitätscampus des Neuenheimer Feldes.
Im Nachlass Domenico Martinellis findet sich eine Skizze des Straßengrundrisses der Heidelberger Kernaltstadt, deren Autor aber nicht der berühmte italienische Architekt (1650-1719) selbst ist. Kurfürst Johann Wilhelm hatte ihm einen Auftrag zur Gestaltung des Wiederaufbaus der Stadt Heidelberg nach den Zerstörungen von 1689 und 1693 in Aussicht gestellt, aber dann doch nicht erteilt. Welchen Zustand Heidelbergs dieser Plan wiedergibt, wurde seit seiner Entdeckung unterschiedlich beurteilt. 1978 deutete Jörg Gamer den Plan als Darstellung eines künftigen, regulierten Straßennetzes; insbesondere an der „gestaffelten Führung“ der Straßenfronten von Haupt- und lngrimstraße meinte er neue Elemente der Stadtgestaltung ausmachen
zu können. Carmen und Thomas Flum haben 2009 in ihrem Katalogbeitrag zur Ausstellung „Heidelberg im Barock“ diese Deutung zurückgewiesen und mit einer Argumentation, die hauptsächlich auf der fehlenden Winkelgenauigkeit der Skizze fußt, begründet, dass die Skizze kein Entwurfsplan ist, sondern „den Zustand Heidelbergs um 1700“ darstellt.
Erich von Baeyer (1909-1990)
(2011)
Am Anfang war ein Bild: Das Zentrum für Kinder- und Jugendmedizin (ZKJM), richtete 2010 ein Symposium mit einem Begleitbuch zu seinem 150. Geburtstag aus. Dafür war im Universitätsarchiv Heidelberg (UAH) ein Bild des damals 36-jährigen ersten Direktors Dr. Theodor von Dusch aus mehreren Fotografien ausgesucht worden. Beim Herausgehen aus den hinteren Räumen stießen wir auf die dort aufgehängte Karikatur Ernst Moros (1874-1951), des ersten Ordinarius für Kinderheilkunde in Heidelberg, signiert „v. B. 1932“. Welche Person und Geschichte sich hinter den Initialen verbergen, war im ZKJM, aber nicht im UAH bekannt.
"Die Juden werden abgeholt."
(2011)
Ende Oktober des Kriegsjahres 1940 waren Vorgänge in Baden und in der Pfalz selbst für höchste Repräsentanten des NS-Regimes in Berlin von außergewöhnlichem Interesse. Für den Chef des Reichssicherheitshauptamtes Reinhard Heydrich, der später Hauptorganisator der „Endlösung der Judenfrage“, also der systematischen Ermordung der europäischen Juden wurde, war die Verschleppung von 6504 Juden aus dem deutschen Südwesten in die noch unbesetzte Zone Frankreichs ein erster Schritt zu diesem Ziel und Anlass für eine Erfolgsmeldung.
Aufgewachsen in einer aufstiegsorientierten Familie besucht er das altsprachliche Gymnasium einer mittelbadischen Stadt und legt eine hervorragende Abiturprüfung ab. Anschließend studiert er an der Universität Heidelberg Geschichte, Deutsch und Französisch; sein Studium schließt er sowohl mit dem Staatsexamen als auch mit der Promotion ab. Nach der Referendarzeit unterrichtet er als Studienassessor an verschiedenen Schulen und wird Studienrat an einem Mannheimer Gymnasium. In der Folgezeit engagiert er sich in einer bürgerlich-konservativen Partei, wird in seinem Wohnort zum Stadtrat und zum Landtagsabgeordneten gewählt. Seine vielfältigen Aktivitäten helfen ihm dabei, Schulleiter eines neu gegründeten Gymnasiums zu werden. Unermüdlich weist er auf die Raumnot seiner Schule hin, bis die Stadtverwaltung einen Neubau genehmigt. Den Einzug in das neue Gebäude und die folgenden Jahre erlebt er als würdige Krönung seiner Lebensleistung. So könnte ein Lebensweg in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts verlaufen sein. Ganz anders sieht das Schicksal des Mannes aus, dem sich der folgende Aufsatz widmet. 1899 geboren, erlebte er die Kriege und politischen Systemwechsel, die die deutsche Geschichte in der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts prägten. Wie wirkten sich Umbrüche und Katastrophen dieser Jahrzehnte auf die berufliche und private Existenz eines „Normalbürgers“ aus? Welche politischen und staatlichen Entscheidungen warfen ihn aus der gewohnten Bahn und stellten ihn vor völlig neue Herausforderungen? Wie reagierte er darauf, welche persönlichen Charaktermerkmale wurden sichtbar? Schließlich: Welche Folgen hatte dies für seine Familie? Diese Fragen - soweit es die Quellenlage erlaubt - aufzuklären und eine individuelle Lebensgeschichte im Kontext der allgemeinen und lokalen Entwicklung darzustellen, ist das Ziel der Studie. Wie bei jeder historischen Biographie wird das dabei gewonnene Bild bis zu einem gewissen Grad fragmentarisch, vielleicht auch widersprüchlich bleiben.
Hunderte von Kindern wurden während der NS-Zeit Opfer verbrecherischer medizinischer Forschung. Am bekanntesten sind in diesem Zusammenhang wohl die Zwillingsversuche Josef Mengeles in Auschwitz. Doch nicht nur in mehr oder weniger abgelegenen Konzentrationslagern wurde an Kindern und Jugendlichen geforscht, sondern auch mitten in der Gesellschaft: Im Zusammenhang mit dem nationalsozialistischen Krankenmord an Psychiatriepatientinnen und -patienten und an behinderten Kindern nutzten manche Psychiater und Hirnforscher die „Gunst der Stunde“, um ihren wissenschaftlichen Zielen näher zu kommen. Bekannt in der Öffentlichkeit wurde in den letzten Jahren in diesem Zusammenhang besonders die 1940 eingerichtete Wiener „Jugendfürsorgeanstalt“ „Am Spiegelgrund“: Noch in der Nachkriegszeit hatte der Psychiater Heinrich Grass an den konservierten Gehirnen ermordeter Kinder geforscht, und erst im Jahr 2002 konnten diese bestattet werden. Doch solche Forschung entsprach nicht etwa einem abseitigen Interesse einzelner fehlgeleiteter Wissenschaftler, Vertretern einer vermeintlichen Pseudowissenschaft: Renommierte Forschungsinstitute, namentlich Kaiser-Wilhelm-Institute, Vorgänger heutiger Max-Planck-Institute, arbeiteten damals mit psychiatrischen Einrichtungen bei der Forschung an „Euthanasie“-Opfern zusammen. Neben der Heil- und Pflegeanstalt Görden in Brandenburg gilt dies auch für eine Universitätsklinik, die Heidelberger Psychiatrisch-Neurologische Klinik, die sich zuvor in ihrer bis 1878 zurück reichenden Geschichte wegen ihrer bekannten Lehrstuhlvertreter und ihrer wissenschaftlichen Aktivität vor allem auf psychopathologischem Gebiet einen überregionalen Ruf erworben hatte. Eine weitere Gemeinsamkeit verband die Gördener Anstalt unter dem Kinderpsychiater Hans Heinze mit der Heidelberger Klinik, geleitet von Ordinarius Carl Schneider, der aus der Anstaltspsychiatrie stammte, später den von Bodelschwinghschen Anstalten in Bethel ärztlich vorgestanden hatte, und dann in die Elite der NS-Psychiatrie aufgestiegen war: An beiden Institutionen wurden 1942 spezielle Forschungsabteilungen eingerichtet, die der Dienststelle der Kanzlei des Führers in der Berliner Tiergartenstraße 4 („T 4“), die die Krankentötungen seit 1939 zentral koordinierte und organisierte, unterstanden. Die beiden Forschungsabteilungen standen auch untereinander in enger Verbindung.
Die Inanspruchnahme und Instrumentalisierung von Schillers literarischem Werk und freiheitlichem Ideengut schritt durch die bürgerliche Emanzipationsbewegung von den Befreiungskriegen der Jahre 1813/15 über Wartburgfest von 1817, den Vormärz mit Hambacher Fest und 1848er Revolution unaufhaltsam fort. Da die Reaktion seit den Jahren um 1830 alle patriotischen Regungen erstickte, gewann zugleich die Ideologisierung Schillers stetig an Boden, zumal seine ästhetische Freiheit in der Restaurationszeit keine politische Heimat gefunden hatte. Die politisch-nationale Deutung des Schillerschen Gedankenguts trieb bisweilen bizarre Blüten, zugleich fanden sich intellektuelle Überformungen von einiger Tragweite. Zu letzterer Kategorie gehören die Arbeiten des in Heidelberg tätigen Gelehrten und Politikers Georg Gottfried Gervinus (1805-1871), der sich maßgeblich mit Schillers Dichtung und ästhetischer Theorie auseinandersetzte.
Die Gründungsgeschichte der lutherischen Gemeinde in Heidelberg nach dem Dreißigjährigen Krieg und der Bau der Providenzkirche sind untrennbar mit der Person Kurfürst Karl Ludwigs von der Pfalz verknüpft. Obwohl er selbst der reformierten Konfessionsrichtung angehörte, gestattete er die Etablierung einer lutherischen Gemeinschaft in seiner Residenzstadt und förderte sie durch die Bauerlaubnis zu einer eigenen Kirche, zu der er persönlich den Grundstein legte. Diese großzügige und tolerante Geste eines Herrschers des siebzehnten Jahrhunderts gegenüber einer konfessionellen Minderheit war dabei keineswegs die Regel und Zeitgenossen rühmten die für die Epoche ungewöhnliche Einstellung des pfälzischen Kurfürsten. Vor allem die ältere Forschung erklärte die Bauerlaubnis fast ausschließlich aus seinem aufgeschlossenen Charakter und daraus folgend aus seinem Toleranzverständnis. Gerade im Fall der Heidelberger Providenzkirche spielte aber noch eine Reihe von weiteren innenpolitischen und privaten Beweggründen eine wichtige Rolle.
Justus Reuber, aus einer alteingesessenen westfälischen Patrizierfamilie stammend, welche zuletzt auf dem Gut Engar bei Warburg wohnte, ist in seiner Heimat sowie auch in Heidelberg heute weitgehend in Vergessenheit geraten. Er wurde gegen Ende des 16. Jahrhunderts für fünf Jahre Kanzler der Kurpfalz. Eine überaus verantwortliche Position - denn unser ehemaliges Territorium mit der Hauptstadt Heidelberg war eines der sieben Kurfürstentümer des alten Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation.
Kirchennamen sind weit mehr als Orts- und Flurnamen von programmatischer Bedeutung. In ihnen spiegeln sich neben theologischen und frömmigkeitsgeschichtlichen Aspekten stets auch die Kraftlinien territorialer Herrschaft, kultureller Einflüsse und sozialer Schichtung. Da die Kirchenpatrozinien mit der Siedlungsgeschichte eng verzahnt sind und daher weit in Zeiten zurückreichen, für die es nur wenige Quellen
gibt, kann ihre Erforschung wichtige Ergänzungen zur schriftlichen und zur archäologischen Überlieferung beitragen.
100 Jahre Zupfgeigenhansl
(2010)
Anlässlich des Jubiläums des Wandervogelliederbuches „Zupfgeigenhansl“, das vor 100 Jahren in Heidelberg herausgegeben wurde, fand vom 10. Oktober bis zum 23. Dezember 2009 eine kleine Ausstellung statt. Auftraggeber waren der Heidelberger Geschichtsverein e.V. und das Kulturamt der Stadt Heidelberg in Zusammenarbeit mit dem Pfadfinderbund Nordbaden e.V. und dem Germanistischen Seminar der Universität Heidelberg, das die Räumlichkeiten am Karlsplatz zur Verfügung stellte. Der Titel lautete: „100 Jahre Zupfgeigenhansl - Hans Breuer und der Wandervogel in Heidelberg“.
Bevor der Gemeinderat am 15. April 2010 einen Antrag auf Zulassung des Projekts Stolpersteine annahm, hatte er am 19. März 2009 zunächst die Verwaltung beauftragt, ein Konzept zur „Allgemeinen Kultur des Erinnerns“ vorzulegen. Ein erster Entwurf des Gutachtens wurde bei einer Anhörung zum Thema „Erinnern“ am 28. September 2009 im Großen Rathaussaal den Vertreter/inne/n von Institutionen, Vereinen und Initiativen, die sich in Heidelberg mit dem Thema befassen, vorgestellt. Das Gutachten wurde auf Grundlage der Ergebnisse der Anhörung überarbeitet und als Verwaltungsvorlage den Gemeinderatsgremien vorgelegt. In die hier abgedruckte Version sind nun auch die Ergebnisse der Beratungen und Beschlüsse des Gemeinderats vom 15. April 2010 eingearbeitet.
Bittbrief an Conze
(2010)
Eine der bemerkenswerten Erscheinungen der 68er Protestbewegung waren die Flugblätter. Schnell geschrieben, mit einfachen technischen Mitteln billig hergestellt und sofort verteilt waren sie ein immer zahlreicher genutztes Medium für eine neue, von den bis dahin wirksamen Instanzen unabhängige Öffentlichkeit. An manchen Tagen wurden an der Mensa gut mehr als ein Dutzend unterschiedlicher Texte verteilt: Berichte, Kritiken, Polemiken, manchmal Satiren, und sie wurden gelesen. Dabei meldeten sich nicht nur die politischen Gruppen zu Wort. Auch Einzelne nutzten die Chance, gelesen zu werden, wurden zu Autoren von politisch, manchmal auch literarisch auffälligen Texten und verteilten sie eigenhändig.
Kommt man in Heidelberg mit jemandem aus der älteren (oder der mittleren) Generation ins Gespräch, der in der unmittelbaren Nachkriegszeit Kinder großzog bzw. damals selbst noch Kind war, hört man nicht selten den Namen von Frau Dr. Sandels, wenn von Kinderärzten die Rede ist. Oft ist dann der Namen verbunden mit Bruchstücken einer besonderen Geschichte: die Kinderärztin sei Jüdin gewesen und habe während der NS-Diktatur lange Zeit versteckt gelebt. Dass in ihrer Patienten-Klientel entschiedene Hitler-Gegner eine wichtige Rolle spielten und sie weiterempfahlen, ist nicht verwunderlich.
75 Jahre "Gläserner Zug"
(2010)
Die These von der grundsätzlich „industriefeindlichen“ Kommunalpolitik Heidelbergs ist schon vor längerer Zeit widerlegt worden. Die vergleichsweise schlechte Industrialisierung Heidelbergs um 1900 (Heidelberg rangierte unter den badischen Städten mit über 20 000 Einwohnern an vorletzter Stelle) ist weniger einer absichtlich industriefeindlichen Gesinnung zuzuschreiben als vielmehr strukturellen Problemen, die sich aus der geographischen Lage der Stadt und den damit verbundenen jahrzehntelangen Auseinandersetzungen um die Verlegung des Bahnhofs ergaben. Aufstrebende Industriebetriebe, wie sie sich Ende des 19. Jahrhunderts auch in Heidelberg entwickelten, verließen die Stadt vor allem deshalb, weil sie anderswo die für ihre Entwicklung zwingend notwendigen Eisenbahnanbindungen fanden. Bestes Beispiel dafür sind die beiden Weltfirmen, die noch heute den Namen Heidelbergs tragen: Heidelberger Zement und Heidelberger Druckmaschinen. Sie fanden südlich von Heidelberg in Leimen bzw. Wiesloch die Infrastruktur und die Möglichkeiten, die sie in Heidelberg vergeblich gesucht hatten, solange hier der stadtnahe Bahnhof am Ausgang des engen Talkessels ihre direkte Anbindung und damit ihre Expansionsbestrebungen verhinderte.
Vor 17 Jahren erbte ich von der Heidelbergerin Hedwig Wolf (1904-1996), mit der ich 1987-1992 in der Theaterstraße 7 wohnte, Briefe und frühe Kompositionen ihres Jugendfreundes Gerhard Frommel (1906-1984) - und drei Fotoalben, in denen viele Fotos schon entnommen waren. Fast 60 Jahre lebte die unverheiratete Ausdruckstänzerin in der Theaterstraße, bis sie 1992 nach Rohrbach in ein Altersheim zog, wo ihre ältere, einzige Schwester Hildegard Wolf wohnte. Aufgrund des dortigen Platzmangels musste sie sich von vielem „alten Kram“, wie sie sagte, schweren Herzens trennen: Sie verkaufte ihren Sechstein-Flügel aus den 1930er-Jahren, den größten Teil ihrer Möbel, Bücher und gedruckten Noten - letztere an den Nachfolger des Antiquariats Kehrle in der Plöck. Wenige Tage vor ihrem Auszug schenkte sie mir eine Schachtel mit Briefen, u. a. von Gerhard Frommel, von dem sie mir oft erzählt hatte, und eine kleine Mappe mit Kompositionen und anderen Dokumenten. Erst 2004 wurde ich durch einen Zeitungsartikel zum 100-jährigen Geburtstag Frommels wieder an diese Hinterlassenschaft erinnert, und ich entschloss mich, diese bisher unbekannten Briefe und Kompositionen zu publizieren.
Marianne von Willemer (20.11.1784-6.12.1860) gehört zu den interessantesten und eindrucksvollsten Frauen der deutschen Geistesgeschichte des 19. Jahrhunderts. Meist wurde ihr ungewöhnlicher Lebensweg durch die „Brille“ der Goethe-Forscher beschrieben, er weckt darüber hinaus Neugier auf diese begabte Frau. Wir wissen wenig darüber, wie sie, insbesondere während ihrer Witwenzeit ab 1839, ihr Leben strukturierte. Zeitlebens stand sie mit Goethe in engstem brieflichem Kontakt. Aber dann werden die Informationen schon recht dürftig; das Interesse an der großen Goethe-Freundin verflüchtigte sich nach dem Tod des Dichters. Immerhin verschaffte ihr diese Freundschaft einen dauerhaften Platz im kulturellen Gedächtnis der Nation. Eine vergleichbare Auszeichnung blieb hingegen Sophie Schlosser (22.12.1786-24.5.1865) versagt. Bis auf einen jüngst erschienenen ausführlichen Beitrag über sie wurde ihre bemerkenswerte Persönlichkeit wenig beachtet.
Als ich im Frühjahr 2006 in Baden-Baden mein neues Hüftgelenk von der Reha-Klinik in die Innenstadt bewegte, führte der Weg entlang des dortigen „Friesenberg". Auf Krücken wurde mir klar, dass Herbert Derweins Herleitung des Heidelberger „Friesenberg" von einem Familiennamen „Fries" revisionsbedürftig ist. Denn wenn Straßennamen an mehreren Orten vorkommen, scheiden lokale Deutungen aus und ist nach topografisch-funktionalen Gegebenheiten zu suchen, die es im Grundsatz überall gab oder gibt. Für unsere Gegenwart wäre es entsprechend absurd, Post- oder Bahnhofstraßen von Familiennamen ableiten zu wollen, auch dann, wenn - wie in Heidelberg - die jeweiligen Einrichtungen nicht mehr an den nach ihnen einst benannten Straßen liegen. (Immerhin ist das Stadttheater an der Theaterstraße geblieben.)
In diesem Beitrag soll kurz auf die Vorgeschichte des Kirchengebäudes eingegangen werden. Dann werden der erste Entwurf von 1905 und das heute noch bestehende, 1910 eingeweihte Kirchengebäude beschrieben. Schließlich folgt ein kurzer Blick auf Leben und Werk des Architekten Hermann Behaghel (1839-1921). Die Geschichte der Schlierbacher evangelischen Gemeinde und die nach der Errichtung des Gebäudes erfolgten baulichen Veränderungen wurden bereits durch Karl Günther und Bernhard Drüssel ausführlich dargestellt, so dass hier auf eine erneute Darstellung verzichtet wird.
An die fünftausendmal bin ich an der Sakristei der Heiliggeistkirche am Fischmarkt vorbeigekommen, bis mir zum ersten Mal eine kleine, vorspringende Ausgusstülle auffiel. Es handelt sich um ein bauliches Detail, das in den Zusammenhang des mittelalterlichen Messritus gehört und sich an vielen alten Kirchen erhalten hat, oft aber auch nicht mehr vorhanden ist. In der einschlägigen Geschichte der Heiliggeistkirche findet sich kein Hinweis auf dieses Detail, kaum auch zur Sakristei insgesamt.
Baugestalt und Baugeschichte der Heidelberger Heiliggeistkirche geben bis heute Rätsel auf. Weder kennt man das genau Datum des Baubeginns noch das der endgültigen Fertigstellung. Sicher scheint nur zu sein, dass der Chor der Vorgängerkirche vor 1399 abgebrochen wurde und man mit dem Bau des neuen, größeren, des heutigen Chores begann. Es handelt sich um einen sogenannten Hallenumgangschor oder Hallenchor. Nur wenige nicht kathedrale spätmittelalterliche Kirchen weisen eine derartige Baugestalt auf, so z.B. St. Sebald und St. Lorenz in Nürnberg oder das Heilig-Kreuz-Münster in Schwäbisch Gmünd, dessen Bauidee Vorbild für weitere Anlagen dieser Art wurde. In einer Kathedrale machte sich ein solcher Chor durch den Ritus der Amtseinsetzung des Bischofs notwendig. Ein frühes Beispiel einer nicht kathedralen Kirche mit einem angenäherten Hallenchor findet sich in der Marienkirche in Lübeck. Hier allerdings hatten die kathedralen Bauelemente eine eindeutig politische Motivation in der Auseinandersetzung mit dem Bischof von Lübeck, der Ansprüche auf die Herrschaft über die Stadt erhob.
Denkt man an die „Goldenen Jahre des Kinos", so fallen einem sofort die Fünfziger Jahre ein. Millionenerfolge wie die drei „Sissi-Filme" und „Grün ist die Heide" stehen neben Skandal-Filmen wie „Die Sünderin" (1951), „Das Mädchen Rosemarie" und „Die Halbstarken" (1958). Für das Bewusstsein der jungen Bundesrepublik spielte die Filmproduktion eine große Rolle - sowohl in dem, was sie zeigte, wie in dem, was sie verschwieg. Bereits in „Film ohne Titel" (Rudolf Jugert, 1949) berät ein Drehbuch-Team, wie ein zeitgemäßer Film jenseits der Trümmer-Ästhetik aussehen könnte. Dass in diesem Film-Projekt die junge Hildegard Knef die Hauptrolle spielen sollte, passte, denn das junge, unverbrauchte Gesicht ließ bereits den künftigen Welt-Star ahnen. Tatsächlich prägte sie neben Romy Schneider, Sonja Ziemann, Ruth Leuwerik und Liselotte Pulver als junge Hauptdarstellerin das Bild des deutschen Kinos in den Fünfziger und Sechziger Jahren.
Im Kapitel „Die Geheimlehrer“ in der ersten Auflage von „Geist der Utopie“ schreibt Ernst Bloch 1918 über Stefan George und den Kult um ihn: „Hier sind vor allem diejenigen zu zählen, die die religiöse Farbe der Zeit bestimmen. So zunächst Stefan George, ein gewaltiger Lyriker und dem, der an ihn glaubt, auch Priester. Es wäre oberflächlich, um ihn herum nur eitelstes Mittunwollen, Mittundürfen lebendig zu sehen. Denn dieses gilt nur für die zahlreichen streberischen oder affenhaften Naturen, die nirgends fehlen, wo es um heraushebende Klüngels geht, und die nirgends darüber entscheiden. überall sonst hat der Georgekult zweifellos vieles Gute unter die Jugend gebracht, Demut, verecundia, entsagenden, zeitfremden Sinn fürs Echte, Freude am schönen, am formvollen Gewachsensein, Ablehnung aller frechen Verständigkeit, die die Sprünge nicht ahnt, und der notwendigen Armseligkeit ihres Subjekts dahinter.“
Nachdem die persönlichen Beziehungen Schillers zu Heidelberg und die über die Quellen greifbare Rezeption seines Werks in der Universitätsstadt für die Jahre unmittelbar nach seinem Ableben in Teil I dieser Artikelreihe abgehandelt wurden, beleuchtet Teil II das hierhin reichende Beziehungsgeflecht der engsten Angehörigen Schillers in den Jahren von 1810 bis hinein in das Zeitalter der Restauration. Herausragend ist hierbei der von der Forschung nahezu unberücksichtigte Heidelberg-Aufenthalt seiner Witwe Charlotte von Schiller im Spätsommer 1810 und das Studium beider Dichter-Söhne an der Ruperto-Carola in den Jahren 1810-1813. Eine ganze Reihe bislang unveröffentlichten Quellenmaterials, darunter ein weitgehend unbekanntes Fragment einer 1815 von Charlotte v. Schiller verfassten Reisebeschreibung, setzten hierbei neue Forschungsakzente.
„Lichtfest Tages Arbeit, abends Gäste! Saure Wochen, frohe Feste! So munter war die Nation, als es sie noch nicht gab, damals zu Goethe-Zeiten und lange vor der Reichsgründung. Unmunter, feiermüde, der Selbstbeweihräucherung abhold wurde Deutschland erst später, und obwohl dies tiefere Gründe hatte, um nicht zu sagen, die allerschrecklichsten Ursachen, ist die Klage über unseren Mangel an Festkultur nie ganz verstummt. Die deutsche Unfähigkeit zu feiern ist ein neokonservatives Diskursklischee, doch nun haben die Leipziger Bürger es feierlich außer Kraft gesetzt. Am vergangenen Freitag zogen 100 000 in memoriam revolutionis pacificae über den Innenstadtring, an illuminierten Häusern vorbei: ohne große Parolen und Transparente, ohne demonstrative Ausgelassenheit und Wir-sind-wieder-wer-Gejuchze. Still, aber nicht fromm. Heiter, aber nicht blasiert. So spazierten sie in die Nacht. Es war eine Nationalfeier ohne falschen Nationalstolz.ja beinahe ohne Nation.“ So ein Kommentar in der Wochenzeitung „Die Zeit“ zu der Feier, mit der die Leipziger Bevölkerung am 9. Oktober 2009 das 20-jährige Jubiläum der Montagsdemonstration vom 9. Oktober 1989 beging, die über den Fortgang der friedlichen Revolution in der DDR entschied. Um Freiheit und Nation ging es auch fast 200 Jahre zuvor, zur angesprochenen Goethezeit, als viele Deutsche am 18. Oktober 1814 den Jahrestag der „Völkerschlacht" bei Leipzig (16.-19. Oktober 1813) feierten. Diese Schlacht wurde wegen der gewaltigen Zahl von Soldaten und Opfern sowie wegen ihres überraschenden Ausgangs sogleich zum entscheidenden Sieg über Napoleon verklärt, obwohl sie noch keine endgültige Entscheidung oder die Entmachtung Napoleons gebracht hatte. Gefeiert wurde ein Jahr später nicht nur in Leipzig sondern in weiten Teilen Deutschlands, vor allem im Westen und Südwesten, so auch in Heidelberg.
Ruprecht 1410 - 2010
(2010)
Jubiläen sind von Menschen erdacht, Knotenpunkte im Konstrukt der Zeit. Für einen Augenblick gerinnt latentes Wissen zu gezielter Erinnerung. Mit unserer Feierstunde zum 600. Todestag König Ruprechts erfüllen wir mittelalterliche Hoffnungen auf Memoria, anders freilich, als es sich der sterbende Ruprecht 1410 vorgestellt hätte. Die feierliche Rahmung, die Musik, sogar die Rede eines Heidelberger Professors - all das wäre auch im 15. Jahrhundert denkbar gewesen. Das ausgehende Mittelalter hätte das Jahrgedächtnis freilich in einen sakralen Rahmen gebettet, in die kirchliche Messfeier am Grab, welche die Verbundenheit der Lebenden mit den Toten garantierte - Memoria als totales kulturelles Phänomen.
Zum Stadtkreis Heidelberg zählt seit der Eingemeindung Ziegelhausens im Jahr 1975 auch die einzige heute noch bestehende Tochtergründung des ehemaligen karolingischen Königsklosters Lorsch an der Bergstraße, die Benediktinerabtei Neuburg am Neckar. Während man, wie ein Blick in die einschlägige Literatur zeigt, über Neuburgs spätmittelalterlich-frühneuzeitliche Vergangenheit sowie insbesondere die Zeit zwischen der Auflösung des Klosters um 1562/72 und seiner Neugründung um 1926/29 recht gut unterrichtet zu sein scheint, liegen seine hochmittelalterlichen Anfänge offenbar weitgehend im Dunkel der Geschichte, werden sie doch meist in nur wenigen, immer wieder ähnlich lautenden Sätzen abgehandelt. Das dürfte nicht allein auf die großen Lücken zurückzuführen sein, die in der historischen Überlieferung klaffen, sondern, wie bereits Hermann Schefers von der UNESCO-Welterbestätte Kloster Lorsch für das Mutterkloster feststellte, auch darauf, dass „sich die Forschung bisher lieber den Blütezeiten des Klosters, also der Karolinger- und Ottonenzeit zuwandte, als sich mit der Epoche des ,Niedergangs' zu beschäftigen“. In Letztere, als in salisch-staufischer Zeit die großen Schenkungen ausblieben und die Herrscherbesuche rar wurden, fällt aber die Stiftung der jüngsten Lorscher Filiale.
„Max Weber und Stefan George galten für manche als die geistigen Titanen ihrer Zeit, nicht nur für Heidelberg, sondern für Deutschland überhaupt. Das Verhältnis beider war, wie von Soziologie und George überhaupt, zunächst eher ein Nicht-Verhältnis. Ende der 1890er Jahre versuchte der Philosoph Heinrich Rickert dem Freund Max Weber den Dichter nahe zubringen, aber der frischgebackene Professor der Nationalökonomie verschmähte die Poesie. Doch das änderte sich einige Jahre später. Durch eine langjährige Lebenskrise geläutert, entdeckte der Rekonvaleszent seine poetische Ader (...); er las George und trug Gedichte selbst vor.“ Was Rickert in Freiburg noch nicht gelungen war, kam dann im Jahr 1910 in Heidelberg zustande. Diesmal war es eine Studentin, Dora Jellinek, die den folgenreichen Kontakt zustande brachte. Sie hatte für eine germanistische Seminarveranstaltung einen Vortrag (s.u. Quellenanhang) ausgearbeitet, der wohl durch Vermittlung ihres Vaters Georg Jellinek an das Ehepaar Weber kam und sowohl Marianne Weber („die Arbeit einer begabten Frau“) als auch Max Weber beeindruckte. Max Weber würdigte das Referat in einem ausführlichen Brief an die Studentin und setzte sich dabei auch mit Stefan George, mit seiner Dichtung und mit seinem Freundeskreis auseinander.
Der Philosoph Karl Löwith (1897-1973) war eine der großen akademischen Persönlichkeiten, die den Heidelberger Geisteswissenschaften in der Zeit zwischen der universitären Restituierung nach dem Krieg und der Hochschulkrise um 1968 weite Resonanz verschafften. Wie kaum ein anderer seiner Zeit verkörperte der deutsch-jüdische Gelehrte an der Ruperto Carola den mittlerweile weitgehend verschwundenen Typus des Geistesaristokraten, wobei er - darin seiner Wirkungsstätte am Neckar nicht unähnlich - auf eigentümliche Weise über die Zeitläufte erhaben wirkte.
Wer war der "Kümmelspalter"?
(2009)
An dem Haus Hauptstraße 117 findet sich am zweiten Obergeschoss ein Wirtshausemblem: Ein gnomartiger Mann schwingt ein Beil, um ein Kümmelkorn zu spalten, und eine Inschrift in stilisierter Fraktur lässt keinen Zweifel: „Kümmel-Spalterei“ (Abb. 1). Wer sich auf die Suche nach dem Ursprung dieses Namens macht, findet nicht eben viel. Karl Christ streift in seiner sonst so elementaren Schrift „Alt-Heidelberger Wirtschaften“ eine Weinschenke Müller, die den Spitznamen „Kümmelspalterei“ habe. Konrad Winkler erzählt 1967/68 von einem Bäcker und Weinwirt namens Müller, der ein Geizkragen war und die Körner für seine Kümmelbrötchen zuvor spaltete. Sowohl Christ als auch Winkler versetzen diese Geschichte an den Anfang des 19. Jahrhunderts. Christ beruft sich auf Wundt, der 1805 für die Vorstadt eine Weinschenke Müller nennt, Winkler beruft sich - ohne Quellenangabe - auf Achim von Arnim, der von seiner Wohnung auf eine Weinwirtschaft Müller geblickt habe.
Der vergessene Dichter Johann Georg Deeg (1814-1846) und die Heidelberger Zeitschrift "Braga"
(2009)
Über den Schriftsteller Johann Georg Deeg ist wohl zum letzten Mal etwas nach seinem frühen Tod in Heidelberg geschrieben worden: Ein erstaunlicher Nekrolog erschien in der Mannheimer Abendzeitung, dem Sprachrohr der radikalen und demokratischen badischen Opposition. Es scheint reizvoll, diesen vergessenen Autor zunächst mit dem eindrucksvollen Text vorzustellen. Der Artikel wurde wie üblich anonym veröffentlicht unter einem Verfasserzeichen. Es war nicht möglich, die Identität dieses wohl in Heidelberg wohnenden Korrespondenten aufzudecken.
Wenn heute in Heidelberg heftig über die „Jahrhundertchance ,Stadt an den Fluss‘“ und „Stadt am Fluss light“ debattiert wird, wenn sich eine Bürgerinitiative aus Gegnern des geplanten Neckarufertunnels bildet, so gewinnt der Kampf einer der frühesten Heidelberger Bürgerinitiativen, des „Ausschusses zum Schutze des Neckartals und der Alten Brücke zu Heidelberg“ neue Aktualität. Und wenn sich auch seit der Mitte der 1920er Jahre vieles in der politischen Kultur verändert hat, sind doch Parallelen zwischen der damaligen und der heutigen Auseinandersetzung und den in ihnen angewandten Argumentations- und Handlungsstrategien unverkennbar.
Der folgende „kleine Beitrag“ fiel mir bei der Vorbereitung zur Ausstellung „Mit Spaten und Feder, Johann Metzger 1789-1852“, die 2008 im Universitätsmuseum in Heidelberg stattfand, in die Hände. Er ist 1852 in der Zeitschrift „Die Natur“ in Halle erschienen und möchte dem Leser einen Ausschnitt aus der wechselvollen Geschichte des heutigen Friedrich-Ebert-Platzes vor Augen führen, den Sachzwänge und Gleichgültigkeit, gepaart mit Ignoranz und Unwissenheit immer weiter zerstört haben: Ein prächtiger Garten ist verschwunden, der mit seinem alten und seltenen Baumbestand einst zu den touristischen Attraktionen Heidelbergs zählte.
Woran erinnern sich Menschen, als Individuen, als Gruppe, als Nation? In welcher Form äußern sie diese Erinnerung? In welchen Jahrestagen und Orten konkretisiert sich die Erinnerung? Wie benutzt das politische System die Erinnerung? Individuelles und kollektives Gedächtnis, Erinnerungskultur, Erinnerungsritual, Gedächtnisort, Geschichtskultur, Geschichtspolitik - diese Begriffe haben seit Mitte der 1990er Jahre Eingang in die Kultur-und Geschichtswissenschaften gefunden. Nicht das erinnerte Ereignis steht im Mittelpunkt der Betrachtung, sondern seine Interpretation und Bewertung, seine Bedeutung für das politisch-historische Bewusstsein. Dabei erweisen sich die Studien von Aleida Assmann, Ute Frevert, Peter Reichel und Edgar Wolfrum als besonders erhellend.
Ghetto ohne Ghetto
(2009)
Als man die Menschen aus ihren Wohnungen vertrieb, als man sie nach Gesetzen, die Willkür legitimierten, ihres Umfelds beraubte, sie mit ihren Habseligkeiten durch die Stadt ziehen ließ, vor aller Augen demütigte und in Behausungen drängte, die schon übervoll mit Menschen waren, sie dort warten ließ auf den Abtransport, sie erleben ließ, wie es dem einen Mitbewohner gerade noch gelingt, das rettende Visum zu erhalten, wie andere nach und nach „abgeholt“ werden, dann wird sichtbar, dass der Weg in den Holocaust viele Stationen hatte, an denen Entwürdigung, Entrechtung und Zerstörung stattfanden. Stationen, an denen aber auch Solidarität, Courage und Überlebenskraft sichtbar wurden. Davon zeugen die Vorgänge um die „Zusammenfassung“ jüdischer Einwohner in so genannte „Judenhäuser“, ein Vorgang, der in größeren Orten und in Großstädten seit 1939 von staatlichen, städtischen und Parteibehörden vorangetrieben wurde.
Die Enkelin des Philosophen
(2009)
Fragt man heute die Wenigen, die - meist als Kinder - die Heidelberger Ärztin Marie Clauss noch gekannt haben, so fördert ihre Erinnerung ungefähr folgendes Bild: Sie war eine eher kleine, unscheinbare Frau, freundlich und gütig; war immer da, wenn man sie brauchte. Sanft war sie, aber entschieden; still und unerschrocken; immer wieder wird diese Mischung von deutlicher Entschlossenheit und Milde hervorgehoben. Als Ärztin besaß sie eine starke Ausstrahlung, man fasste schnell Zutrauen zu ihr. Sie hatte einen riesigen Patientenkreis, sowohl als Hausärztin vieler Professorenfamilien als auch bei den Armen in den heruntergekommenen Hinterhöfen der Altstadt. „Sie und Dr. Thorspecken waren die Starärzte von Heidelberg“, urteilt eine jüngere Kollegin, die sie noch kannte. Mittellose behandelte Marie Clauss unentgeltlich. Sie lebte bescheiden. Was ihr am entschiedensten Profil gibt, ist, was sich sonst noch herumsprach, ohne dass man damals Genaueres wusste, weil Verschwiegenheit geboten war: Sie setzte sich für die verfemten Juden ein. „lm Grunde war sie eine Kämpfernatur. Dass sie nicht ins KZ kam, war ein Wunder.“
"Sündig und süß"
(2009)
Um das Ende der Stummfilmzeit in Heidelberg zu verstehen, muss man zunächst die Situation in der Stabilisierungsphase nach der Inflation (1923) betrachten: Es gab zwei „Monopol-Filmtheater“ (Erstaufführungskinos mit Monopolstatus), das „Odeon“ (Hauptstr. 37, mit 350 Plätzen) von Friedrich Schulten 1911 als Kinopalast mit Kellerlokal und Konzert-Cafe erbaut und die „Kammer“-Lichtspiele (Hauptstr. 88, 375 PI.) der Gebrüder Bayer. Daneben gab es noch das „Neue Theater“ des Holländers Drukker in der Hauptstr. 42 ( heute „Schloß“-Kino, 250 Pl.) - ein mehr oder weniger schlecht beleumundetes Kintopp minderer Güte, das sich jedoch regen Publikumszuspruchs erfreute. Und es gab- seit Mai 1924 - die „Kulturfilmbühne“ (heute „Gloria“-Kino, 190 PI.), ein gemeinnütziges, ja kommunales Kino, dem der Vorsitzende des örtlichen Zensurausschusses, Dr. Karl Ammann, als Geschäftsführer vorstand. Das Ende der Stummfilmära bescherte Heidelberg jedoch noch einen Knalleffekt, der sozusagen der krönende Abschluss jener Entwicklung bildete und zugleich auf künftige Entwicklungen voraus wies.
Die persönlichen Beziehungen Friedrich Schillers (1759-1805) zu Heidelberg waren marginaler Natur: Nur wenige Male kam er während seiner Mannheimer Jahre zu einem kurzen Besuch herübergereist, ein nennenswerter literarischer Austausch mit hier ansässigen Persönlichkeiten ist über die Quellen nicht dokumentiert. Dennoch ergaben sich wichtige Berührungspunkte, etwa bezüglich Schillers Kontakten zu den Heidelberger Mitgliedern des Illuminaten-Ordens oder einzelnen Vertretern der Studentenschaft. Eine Erweiterung des Betrachtungshorizonts über seine Person hinweg offenbart zudem für die Jahre nach seinem Tod ein durchaus dichtes Beziehungsgefüge zwischen Weimar und Heidelberg, in dessen Mittelpunkt die Familien Schiller und Voss stehen; auch weilten beide Schiller-Söhne in den Jahren um 1810/13 als Studenten an hiesiger Universität. Darüber hinaus hatte mit dem Ableben des Dichters am Neckar und andernorts jene Bewegung an Dynamik gewonnen, die sich bis über die Mitte des 19. Jahrhunderts nachgerade zu einem Taumel nationaler Selbstidentifizierung steigern sollte und auf deren imaginärem ideengeschichtlichem Banner Schillers Bildnis als Nationaldichter und Identifikationsfigur wie ein Fanal der Hoffnung prangte. So erscheint es lohnenswert, den Hauptaspekten dieses komplexen literatur- und kulturgeschichtlichen Phänomens in seinen wichtigsten Handlungssträngen erstmals mit monographischem Blick auf das geistesgeschichtliche Milieu der Universitätsstadt und seiner Bewohner nachzugehen, nicht zuletzt um die Beiträge einzelner Protagonisten einer kritischen Revision zu unterziehen: Denn viele Namen seiner einstigen hier lebenden Bezugspersonen sind heute der Vergessenheit anheim gefallen, so dass sich eine Neubewertung auf Grundlage der Primärliteratur und unbekannter Quellen anbietet. Dies ist auch insofern überfällig, als die Schillerrezeption für Mannheim und den Oberrhein als hinreichend dokumentiert zu gelten hat, Heidelberg dort jedoch
nur ganz am Rande berührt wird. Keineswegs soll im Folgenden eine literaturwissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem gut erforschten und spannungsreichen System der Heidelberger Romantik und ihrer Rezeption der Schillerschen Dichtung angestrengt werden. Dieser Komplex wird gleichwohl gestreift und auf seine maßgeblichen Tendenzen hin überprüft. Die nachfolgenden Ausführungen bilden den ersten Teil einer längeren Untersuchung, die sich auf die Jahre bis um 1810 konzentriert. Dem Heidelberg-Besuch der Dichter-Witwe Charlotte v. Schiller (1766-1826) vom August/September 1810 und den Studentenjahren der beiden Schiller-Söhne ist ein zweiter Teil gewidmet, der im nächsten Jahrbuch erscheinen wird. Ein dritter Teil beschließt das Panorama mit einer Betrachtung der Vereinnahmung Schillers durch die liberale Bewegung, dies mit Fokus
auf den Heidelberger Gelehrten Gervinus und die beiden großen Schiller-Feiern der Jahre 1859 und 1905.
Bereits in den 1920er Jahren scharte der Heidelberger Vermessungsingenieur Albert Metzler (1895-1963) eine Reihe Gleichgesinnter aus Stadt und Landkreis Heidelberg um sich, die sich in ihrer Freizeit mit Heimat- und Familienforschung beschäftigten. In den 1950er Jahren wurden aus diesen zwanglosen Treffen regelmäßige Zusammenkünfte mit festen Programmpunkten und der 11. April 1956 so zum offiziellen Gründungstag. 2006 wird nun auf ein halbes Jahrhundert zurückgeblickt, während dessen der Öffentlichkeit im Raum Heidelberg einmal im Monat, also alles in allem 600 Mal, eine Abendveranstaltung zu historischen Themen geboten wurde.
Der Verein "Begegnung"
(2006)
Mehrere Vereinen, Initiativen und Institutionen sind in Heidelberg an der Ausgestaltung der Beziehungen zwischen Juden und Nichtjuden, an Gedenken und Erinnern und dem Aufbau stabiler Kontakte aktiv. Zu ihnen zählt die Gesellschaft für christlichjüdische Zusammenarbeit, die sich dem interkonfessionellen Dialog ebenso verpflichtet fühlt wie zeitgeschichtlichen Fragen, das Partnerschaftskomitee mit der israelischen Stadt Rehovot, der Freundeskreis der jüdischen Hochschule und das (kultur) räumliche Angebot der jüdischen Gemeinde. Der Erforschung jüdischer Geschichte ist neben den wissenschaftlich-dokumentierenden Institutionen (der Jüdischen Hochschule und dem Zentralarchiv zur Erforschung der Geschichte der Juden in Deutschland) auch der Heidelberger Geschichtsverein verpflichtet. In zahlreichen Stadtführungen verschiedener Organisationen wird seit über einem Jahrzehnt die jüdische Stadtgeschichte „begangen“.
Max Weber, der von manchen Zeitgenossen so genannte „Mythos von Heidelberg“, gehört zu den Lieblingsthemen der geistes- und sozialwissenschaftlichen Forschung der vergangenen Dekaden. Eine stattliche Reihe dickleibiger und teurer Bände der Max-Weber-Gesamtausgabe, Dutzende von Tagungsbänden über das Thema „Max Weber und ... “, Hunderte von Aufsätzen zu Einzelaspekten von Webers Werk füllen die Bibliotheken der soziologischen, historischen, religionswissenschaftlichen und juristischen Seminare nicht nur der deutschen Universitäten. Doch, so meinte Gregor Schöllgen vor einigen Jahren, eine letzte große „Herausforderung für die Weber-Forschung“ blieb: die „Biographie ihres Helden“. Zwar hat es manche Versuche gegeben, eine wissenschaftliche Weber-Biographie zu schreiben, doch sie führten bislang zu keinem oder jedenfalls keinem befriedigenden Ergebnis. So blieb schließlich jahrzehntelang das berühmte „Lebensbild“ von Webers Witwe Marianne das, wegen der persönlichen Nähe von Biographin und Gegenstand freilich problematische, Standardwerk.
Die Grundstücksakten im Heidelberger Stadtarchiv sind gelegentlich dann von wissenschaftsgeschichtlichem Interesse, wenn es um die Lokalisierungen von Institutionen oder Wohnungen geht. In diesem Bestand jedoch auf Originalbriefe von Else Jaffé (1874-1973) und Alfred Weber (1868-1958) zu stoßen, ist nur ein Verdienst des Zufalls. Bevor zwei der Briefe im Wortlaut mitgeteilt werden, soll auf die Heidelberger Bauleitplanung der 1920er Jahre, auf die Biografien der handelnden Personen und auf das eigentliche Grundstücksgeschäft näher eingegangen werden.